Ich beschäftige mich ja schon seit Jahren – mal mehr und mal weniger tiefgründig – mit den sogenannten Ismen (bzw. der *istischen Kackscheiße), mit geschlechtergerechter Sprache, mit diskriminierungsfreien Begriffen usw. Rassismus, Sexismus, Ableismus, Homosexuellenfeindichkeit, Heteronormativität… You name it. Das Thema begegnet mir auf Schritt und Tritt auf meinen Streifzügen durchs Internet, in den Podcasts, die ich höre, in meinen Facebook- und Twitter-Timelines oder ganz einfach im Freundes- und Bekanntenkreis, in dem es z. B. schwule, lesbische und bisexuelle Menschen gibt, transidente und nichtbinäre Menschen, Menschen verschiedenster Hautfarben und ethnischer Hintergründe sowie diverser Religionen. Interessanterweise sind die meisten Menschen in meinem Umfeld noch nicht behindert, aber ich denke mal, je älter ich werde, desto höher wird auch der Anteil von Menschen mit Behinderung werden.
Jedenfalls bewege ich mich relativ sicher in all den theoretischen Hintergründen und Begrifflichkeiten und gelte oft auch als diejenige, vor der eins auf seine/ihre Sprache besonders achtgeben muss, damit eins keinen auf den Deckel bekommt… Was das allerdings mit sich bringt, ist, dass vieles davon für mich völlig selbstverständlich ist (auch wenn natürlich auch mir immer noch regelmäßig Fehler unterlaufen) und ich irgendwie davon ausgehe, dass es für andere auch so ist. Und dann schmeiße ich manchmal auch mit Begriffen um mich wie Deadnaming oder Blackfacing oder Misgendering oder Cis-Mann/-Frau und dann gucken die Leute ganz oft wie Autos, verstehen nicht, was ich meine und wenden sich dann lieber anderen Themen zu.
Deswegen hat es mich heute ganz besonders gefreut und inspiriert, mal einen ganz niedrigschwelligen und leicht zugänglichen Einstieg in das Thema zu hören. Zunächst stellte sich eine Person hin und zählte all die Punkte auf, für die sie in ihrem Leben bereits diskriminiert wurde oder in denen sie diskriminierbar ist (Frau, im Vergleich zum Umfeld alt, klein, Ausländerin, nichtdeutscher Nachname). Man merkte direkt, wie es bei der Zuhörerschaft im Kopf ratterte und einige dieser Punkte ihr gar nicht bewusst gewesen waren. Und das irgendwie auch zu Recht, denn wie sie richtig sagte, ist es ja für die Zusammenarbeit zumindest theoretisch völlig egal, ob jemand jung oder alt, weiblich oder männlich, transgender, schwul, lesbisch oder polyamourös ist. Dann stellte sich eine zweite Person hin (männlich, weiß, heterosexuell, deutsch) und spielte den Erklärbär (man könnte jetzt Mansplaining unterstellen, aber ich glaube in der Konstellation waren die Geschlechterrollen nur zufällig passend verteilt):
Wenn wir im Alltag auf unsere Mitmenschen treffen, wissen wir in den allermeisten Fällen nicht alles über sie. Wir kennen weder ihre sexuelle Identität noch ihre Religion, wahrscheinlich nicht ihre ethnische Herkunft oder den Grad einer eventuellen Behinderung, wir wissen nichts über vergangene oder aktuelle traumatisierende Erfahrungen und wir wissen auch nicht, in welchem sozialen und kulturellen Umfeld sie aufgewachsen sind. Worte, Stereotype und Witze, die für uns in unserem gesellschaftlichen Kontext völlig normal und harmlos sind, können für unser Gegenüber daher verletzend sein, ohne dass wir das wissen oder gar beabsichtigen. Dessen sollten wir uns stets bewusst sein und uns immer wieder hinterfragen und das, was uns manchmal einfach so herausplatzt vielleicht vorher noch einmal filtern.
Bäm. So einfach erklärt, so schwierig einzuhalten. Ich fand das einen extrem guten Auftritt von den beiden in diesem Kontext und ich hoffe, dass ihre Worte auch beim Rest des Publikums einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich möchte mir diesen einfachen Erklärungsansatz jedenfalls gerne aufschreiben (erledigt) und in Zukunft verwenden, wenn ich mit Menschen über das Thema spreche, die weder feministische Blogs noch Texte zu Genderthemen oder Blackfacing-Debatten verfolgen. Danke Ihr beiden!
PS: Aufgefallen ist mir, dass als Beispiele für Religionen in dem Zusammenhang nur Christentum, Islam und Atheismus genannt wurden. Nun wird man für Buddhismus, Hinduismus oder Pastafarianism zumindest hier in Deutschland selten diskriminiert, aber dass das Judentum in dem Vortrag keine Rolle spielte, zeigt einmal mehr, wie unsichtbar Juden und Jüdinnen in unserem Alltag sind. Dazu und zu dem wachsendem Antisemitismus in Deutschland lese ich gerade das erschütternde und unbedingt empfehlenswerte Buch “Schonzeit vorbei. Über das Leben mit dem alltäglichen Antisemitismus” von der wundervollen Juna Grossmann, dass ich Euch allen gerne ans Herz legen möchte (unbezahlte Werbung, ich bekam das Buch zu Weihnachten geschenkt).
PPS: Jeder Blogbeitrag braucht ein Bild, ich habe aber bei der Veranstaltung keins gemacht, stattdessen gibt es einen schönen Noosa-Schnappschuss. Passt immer.