Frauenkampftag 2019

Heute war es soweit: Zum ersten Mal ist der Internationale Frauentag in Berlin gesetzlicher Feiertag. Und da ich ja nun dieses Wochenende doch nicht in Prag bin, konnte ich den Tag auch gut für feministische Zwecke nutzen. Die ersten Stunden verbrachte ich damit, gut für mich selbst zu sorgen (ein nicht zu vernachlässigender Aspekt!): lange im Bett liegen bleiben, meditieren, gesund frühstücken, guten Tee trinken (schwarzer Tee mit frischem Ingwer, frischem Kurkuma und jamaikanischem Honig), Katzen kuscheln, Serien gucken, gesundes Mittag essen…

Die nächsten Stunden verbrachte ich gemeinsam mit meinen beiden Berliner Cousinen, dem Lieblingsnachbar und jeweils noch Freundinnen der drei auf der großen Demo zum Frauenkampftag. Vermutlich lag es daran, dass Feiertag war (und dass der Regen auch pünktlich zur Startzeit aufhörte), aber diese Demo war richtig groß und voll – zwischendurch sprachen die Veranstalter*innen von über 20.000 Teilnehmer*innen. Was mir außerdem aufgefallen ist: Es waren für mich überraschend viele Männer am Start. Natürlich verschätzt man sich da auch schnell, aber ich würde sagen das waren schon mindestens 30% und eher ein paar mehr – gerade bei den jüngeren Teilnehmer*innen.

Und das macht dann doch auch wieder ganz schön viel Mut und gibt Hoffnung für die Zukunft – trotz allem, was ich in den letzten Wochen darüber diskutiert habe, dass echte Gleichberechtigung nur gemeinsam erreicht werden kann und es eben nicht reicht, wenn man den Frauen “seinen Segen gibt”, aber selbst den Arsch nicht hochbekommt. Auch trotz der Tatsache, dass ich vor zwei Tagen tatsächlich vorargumentiert bekam, dass es doch wohl zu viel verlangt wäre, sich diskriminierungsfreie Schimpfwörter zu überlegen, wenn man seinen Frust über anstrengende Menschen, die zufällig Frauen sind, loswerden möchte und dass es doch völlig normal und quasi alternativlos ist, dann von einer dummen F*tze zu sprechen. Und natürlich trotz allem, was in letzter Zeit mal wieder durch die Medien gegangen ist und die Gemüter erregt hat. Trotz $218 und $219a, trotz AKK, trotz all der AltenWeißenMänner und des aktuell hochkochenden Backlashes:

Irgendwann werden wir in einer Gesellschaft leben, die noch diverser, inklusiver und gleichberechtigter ist als unsere heutige, und zwar für Menschen aller Gender, Geschlechter, sexuellen Orientierungen usw. Feminismus ist für alle da! Und wenn wir das endlich verstanden haben, dann lösen wir alle anderen Probleme auch irgendwie – gemeinsam!

Wochenend-Tagebuch: Freunde, Filme, Feminismus

Dieses war ein sehr schönes Wochenende, mit vielen Freunden, guten Gesprächen und trotzdem genug Zeit, um mich von der Woche zu erholen, den Feedreader leer zu lesen und alle verpassten Serienfolgen aufzuholen. Wir hatten Besuch von einem guten Freund des Hasen (die beiden sind schon sehr niedlich, der Hase schickt dem Freund jeden Tag ein Foto von Streetart, die ihm über den Weg läuft, der Freund revanchiert sich jeweils mit einem Song). Den Sonnabend Abend verbrachten die beiden zusammen auf einem Konzert und ich besuchte zwei liebe Freundinnen, die ich schon seit Monaten nicht mehr gesehen hatte, um Filme zu gucken. Der erste war der ziemlich tolle To Each, Her Own (dicke Empfehlung!), als zweites begannen wir noch Clue, den wir aber nicht mehr geschafft haben, da wir vor und nach dem ersten Film ja auch noch erzählen mussten, wie es uns seit dem heißen Sommer so ergangen ist. Den muss ich auf jeden Fall auch nochmal in Gänze und mit der nötigen Konzentration gucken, der wirkte sehr vielversprechend.

Am Sonntag waren wir wieder bei den Lieblingsnachbar*innen, heute gab es Blaubeer-Muffins, Apfelkuchen und selbstgemachte Panna cotta. Und natürlich wieder jede Menge gute Gespräche und so wie es aussieht, machen wir das jetzt zu einem regelmäßigen Sonntagsritual.

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Zwischen all dem habe ich dann auch noch interessant (und meiner Meinung nach auch recht gelassen und konstruktiv) auf Facebook über Feminismus diskutiert (vor allem über die Außenwirkung) und im Zuge dessen alle Kraft zusammengenommen und mir The Red Pill angesehen, das mir in den letzten Wochen zweimal genannt wurde, wenn ich meinte, dass ich keine Feminist*innen kennen würde, die Männer hassen bzw. sie unterdrücken wollen würden. Aus wissenschaftlichem Interesse und um mitreden zu können, musste ich mir das dann natürlich auch selbst mal aus der Nähe ansehen. (For those who don’t know, es handelt sich um einen Dokumentarfilm einer selbstbezeichneteten Feministin über Männerrechtler in den USA und am Ende des Films bezeichnet sie sich dann nicht mehr als Feministin.) Puh, keine dicke Empfehlung, aber trotzdem ganz interessant. Ich kopiere einfach mal meine Einschätzung (aus der Facebook-Diskussion auf Bitte von Slackwidow) ans Ende dieses Blogeintrags, falls es jemanden interessiert.

Abgesehen davon habe ich dann auch noch zwei weniger aufreibende, aber umso empfehlenswertere Dokus gesehen, nämlich Meschugge, oder was: Jude werden, Jude sein in Deutschland von Dmitrij Kapitelman und Min Herzing, die bekannte Fischfrau aus Warnemünde, eine DEFA-Produktion von 1974, die mein Onkel auf Facebook geteilt hatte. Zum Ausklang des Wochenendes werden der Hase und ich uns jetzt noch einen der Oscar-nominierten Filme ansehen, bevor er zu wieder anderen Freunden aufbricht, um den SuperBowl zu sehen.

 

Über The Red Pill:

So, ich habs mir angesehen und hoffe, dass ich jetzt auch nach 1 Uhr noch einen halbwegs reflektierten und ausgewogenen Bericht abgeben kann.

 

1. Als Beispiel für überzogenen Feminismus finde ich die Dokumentation nicht geeignet, da erstens nur sehr wenige Feminist*innen zu Wort kommen und von denen wiederum nur sehr wenige Meinungen äußern, die sich gegen Männer richten oder tatsächlich in irgendeiner Form radikal sind. Eigentlich geht es immer um das System, um Sexismus, um patriarchale Strukturen. Eine Vertreterin wirkt ein bisschen verbitterter, die ist allerdings auch schon ne Generation älter…

2. Es werden durchaus ein paar wichtige Punkte angesprochen, bei denen Männer “benachteiligt” sind. Die meisten davon lassen sich allerdings relativ eindeutig auf tradierte Geschlechterrollen zurückführen, die der Feminismus ja überwinden möchte, und nicht etwa auf Unterdrückung durch Frauen oder gar durch Feminismus geschaffene Veränderungen.

3. Viele andere Punkte und Probleme, die angesprochen werden, sind tendenziös/biased dargestellt, unsauber recherchiert und/oder es werden Korrelation und Kausalität vermischt (etwa die Boko-Haram-Geschichte, die Opferzahlen in Kriegen oder die ganze Thematik rund um untergeschobene Kinder).

Insgesamt definitiv keine ausgewogene, neutrale Berichterstattung und ziemlich stark mit Emotionen spielend (z.B. Nahaufnahme einer Beschneidung im Säuglingsalter). In sich geschlossen sind viele Argumentationen nachvollziehbar, aber wenn man ein wenig nachrecherchiert, fallen schnell die Ungereimtheiten, falsches Datenmaterial oder schiefen Grundannahmen auf (“Gender Studies are Women’s Studies”, „Women have always been responsible for reproduction and men for production“), ohne die die Argumentation dann nicht mehr funktioniert.

Wer sich mit der Thematik nicht viel auseinandersetzt, findet hier schnell “Beweise” für krude Thesen oder eben ein stimmiges Bild, dass er sich aneignen kann. Und es wird halt auch völlig ausgeblendet, wie stark MRAs (meine Pauschalisierung, in der Doku werden mindestens 3 Gruppierungen unterschieden: eine kritisiert das System der Geschlechterrollen, eine will das System gegen Frauen nutzen, eine dem System entfliehen) gegen Feminist*innen, Aktivist*innen und Frauen im Allgemeinen hetzen und mit welch konzertierten Aktionen sie diese online trollen, stalken, belästigen und damit indirekt zum Schweigen bringen, weil sie sich vor ihnen schützen wollen. Sind natürlich alle ganz harmlos und lieb, wie sie sich dort vor der Kamera präsentieren.

Bin trotzdem froh, dass ich mir das jetzt mal angeschaut habe und verstehe ein bisschen besser, woher manche Argumente kommen, die ich von Leuten gehört habe, bei denen es mich wundert, wie sie dazu gekommen sind. Mein Leben und Denken verändert hat die Doku allerdings nicht 😉

Weg mit § 219a, § 218 und den Papayas!

Sonnabende sind Demo-Tage, stelle ich immer wieder fest. Letzte Woche waren wir auf der “Wir haben es satt“-Demo und erst dort bekam ich mit, dass direkt davor an der gleichen Stelle der diesjährige Women’s March stattgefunden hatte, an dem ich eigentlich auch gerne teilgenommen hätte. Irgendwie war mir das trotz meiner doch sehr feministischen Filterblase durch die Lappen gegangen. Heute stellte ich dann auf der Couch liegend fest, dass gerade eine Kundgebung des Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung für die Abschaffung des § 219a stattfand. Da ich sowieso demnächst loswollte und meine Route nur geringfügig umstellen musste, brach ich also schnell auf und war zumindest bei diesem wichtigen Anliegen mit dabei.

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Falls es jemand noch nicht mitbekommen haben sollte: Der § 219a untersagt es Ärzt*innen, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren (das Strafgesetzbuch nennt diese Art der Information fälschlicher- oder zumindest veralteterweise Werbung). Nun ist es natürlich schon an sich ein unsäglicher Zustand, dass Abtreibungen in Deutschland immer noch strafbar sind und die Strafe nur unter bestimmten Bedingungen ausgesetzt wird. Dass es aber bei Strafe verboten ist, darüber zu informieren, dass und in welchen Praxen solche Abbrüche durchgeführt werden, schlägt dem Fass quasi noch den Boden aus. Ein Mensch namens Yannic Hendricks hat es sich, wie Ihr wahrscheinlich alle schon gelesen habt, zum Hobby gemacht, Ärzt*innen anzuzeigen, die trotz des Verbots darüber informieren und die deswegen nun von erheblichen Geld- und sogar Freiheitsstrafen bedroht sind. Einfach weil er findet, dass Abtreibungen nicht OK sind.

Lieber Yannic, lass Dir sagen: Niemand treibt gerne ab, wer das tut, hat gute Gründe. Einmal ganz abgesehen von den ethisch-moralischen Bedenken, die die meisten Betroffenen haben ist es auch ein verdammt unschöner Eingriff, der mit Schmerzen, Nebenwirkungen und erheblichen Risiken einhergehen kann. Niemand tut das, weil es so schön leicht und einfach ist. Und immer geht dem eine sehr, sehr gründliche Überlegung voraus. Ich war zwar selbst noch nie ungewollt schwanger, aber ich habe mir von mehreren Freundinnen erzählen lassen, wie sich das anfühlt. Und wie schwierig es ist, sich unter dem psychischen Stress, den solch ein Zustand auslöst (und dem physischen, eine Frühschwangerschaft ist im Allgemeinen kein Kinderspiel, ob gewollt oder nicht) umfassend (in alle Richtungen) zu informieren. Und wie schwer die Entscheidung am Ende fällt. Und obwohl ich selbst noch nicht abgetrieben habe, weiß ich aus schmerzlicher eigener Erfahrung leider ganz genau, wie sich dieser Vorgang körperlich anfühlt. Und ich weiß außerdem, was für ein schlechtes Gewissen Patient*innen mitunter gemacht wird, schon wenn sie nur die “Pille danach” wollen, was ja nun gar nichts damit zu tun hat, bestehendes “Leben” zu töten. (“Und wieso möchten Sie das Kind nicht haben?” “Da ist ja kein Kind, sondern ich will nicht, dass da evtl. eins entsteht, nur weil das Kondom gerissen ist. Weil meine Lebensumstände und der potenzielle “Vater” dazu gerade nicht passen.” “Na das hätten Sie sich ja überlegen können, bevor Sie mit so jemandem Sex haben.” Hackts?!)

Auf der Kundgebung sprachen sich Vertreterinnen aller im Bundestag vertretenen Parteien (also außer CDU/CSU und AfD, natürlich, von denen war niemand da) für die Abschaffung dieser beiden Paragraphen aus. Weil sie einerseits Mediziner*innen ohne Not kriminalisieren und weil sie andererseits Schwangeren dringend benötigte medizinische Hilfe erschweren oder gar verwehren. Eine der Rednerinnen sprach an, dass es sicherlich nicht besonders schwer sei, in einer Stadt eine passende Praxis für einen Schwangerschaftsabbruch zu finden. Auf dem platten Land aber, wo Ärzt*innen dünn gesät sind, kann es schwierig bis unmöglich werden, weil man vielleicht weite Wege auf sich nehmen muss, nur um dann vor Ort festzustellen, dass eine Praxis keine Abbrüche vornimmt oder nicht dazu beraten möchte. Deswegen müssen diese Informationen online und für jeden zugänglich sein (und auf dem platten Land muss es natürlich vernünftige Internetverbindungen geben).

Wichtig sind diese Informationen auch deswegen, weil sich Schwangere in Deutschland zunächst mit offenem Ausgang zu ihren Optionen beraten lassen müssen (und zwar nicht von den durchführenden Ärzt*innen selbst) und dann noch eine Wartefrist eingehalten werden muss, bis der Eingriff durchgeführt werden darf. All das muss bis zur vollendeten 12. Schwangerschaftswoche passieren, da man hinterher nur noch aus dringenden medizinischen Gründen straffrei abtreiben darf*. Nun ist es so, dass eine Schwangerschaft frühestens in der 5. Schwangerschaftswoche bemerkt und durch einen Frühtest nachgewiesen werden kann. Je nach Zyklusschwankungen, Lebensstil (Krankheiten, Reisetätigkeit, Stress) wird eine Schwangerschaft auch erst viel später bemerkt. Und auf den positiven Test folgt dann normalerweise nochmal ein zweiter bei der*dem Gynäkolog*in. Hinzu kommt, dass viele Schwangerschaften auf natürlichem Wege wieder abgehen. Bis man also sicher weiß, dass man schwanger ist und die Schwangerschaft intakt ist, ist der Point of no Return schon ganz schön nahe gerückt. Wenn man dann in einer Gegend lebt, wo es nicht viele Praxen und vielleicht gar keine Beratungsstellen gibt, kann es echt eng werden. Das Land Berlin geht übrigens mit gutem Beispiel voran und hat selbst entsprechende Adressen veröffentlicht, da die Ärzt*innen selbst es nicht dürfen.

Das nächste Problem ist, dass aufgrund der Gesetzeslage an den Universitäten der Schwangerschaftsabbruch quasi gar nicht gelehrt wird. Ein Unding, selbst wenn man alle ethisch-moralischen Bedenken außen vor lässt. Schließlich gibt es auch diverse medizinische Gründe, aus denen eine Schwangerschaft beendet werden muss, etwa wenn das Leben der schwangeren Person in Gefahr ist. Deswegen haben auch die Medical Students for Choice Berlin auf der Kundgebung gesprochen und deutlich gemacht, dass sie ihren Beruf nicht korrekt ausüben können, wenn sie nie lernen dürfen, wie ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt wird. Da für diesen Eingriff nicht einmal medizinische Modelle bereitstehen, führen die Studierenden Workshops durch, in denen sie ihre Kolleg*innen die Prozedur an Papayas üben lassen. Papayas, verdammte Axt! Die sind zum Essen da!

Und da haben wir über den ganzen Feminismus-Aspekt noch nicht einmal gesprochen. Dass es natürlich allen Menschen, die schwanger werden können, selbst überlassen sein muss, ob sie das auch möchten. Noch einmal: Eine Schwangerschaft ist in vielen Fällen kein Spaß. Das sollten nur Menschen machen, die wirklich dahinterstehen. Ebenso wie Kinder in die Welt zu setzen nichts ist, was man gegen seinen Willen tun sollte. Kinder sollen erwünscht und geliebt sein und mit Wärme, Geborgenheit, Nähe, Zuwendung usw. aufwachsen dürfen! Wer das nicht versteht, sollte vielleicht nochmal “Das weiße Band” angucken.  😉 (Und zur Abtreibungsproblematik natürlich Gottes Werk und Teufels Beitrag.)

*Die Juramama hat übrigens in ihrem zu Recht für den besten Blogtext des Jahres nominiertem Post “Raus aus meinem Uterus. Der § 219a und seine Freunde” aufgeschrieben, warum das ganze rechtlich eigentlich so kompliziert ist (der ganze Artikel ist lesenswert!):

Historisch interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es dieses „eigene Recht auf Leben des Ungeborenen“ ab der Einnistung der Eizelle in die Gebärmutter sehr, sehr jung ist und man erst auf diese Idee kam, als gleichberechtigte Frauenrechte wirklich nicht mehr zu verhindern waren. Abtreibungen waren schon zu den Zeiten verboten, in denen Frauen wirklich gar keine eigenen Rechte hatten. Hier war sie aber nicht etwa deswegen verboten, weil  der Fötus ein entkoppeltes Recht auf Leben hatte und die Mutter sich dem beugen musste, sondern es ging rechtshistorisch ausschließlich um den Maßstab des „Willens des Vaters“ und gegen die „Selbstabtreibung“ durch die Frau. Wollte der Vater das Kind nicht, finden sich viele Beispiele, wie das straflos oder zumindest faktisch konsequenzenlos in Recht und Gesetz integriert werden konnte. Auch die aktuell gern zitierte Bibel sah in einer authentischen Fassung des Alten Testaments Schadenersatz in Geld für den Vater vor, wenn seine Frau von einem anderen Mann so verprügelt wurde, dass sie einen Abgang erlitt. Der Leibesfrucht selbst aber kam kein eigener Status oder Verlustwert seines eigenen Lebens zu und auch das römische Recht verneinte das ausdrücklich. Hier wurde ein Fötus ganz klar als Teil des mütterlichen Körpers betrachtet, und eine Abtreibung dann bestraft, wenn die Frau den Manne „um seine Kinder betrügt”. Die dann folgende, aber ausschließlich kirchlich vorangetriebene Theorie der „Beseelung“ des Menschen schon im Mutterleib zeigt ebenso Bemerkenswertes: Weibliche Föten galten zu Zeiten des kanonischen Rechts erst mit 80 Tagen im Mutterleib als beseelt. Männliche Föten hatten dagegen bereits nach 40 Tagen eine Seele.

Im 18. Jahrhundert kam das medizinische Problem auf, dass man feststellte, dass die Mittelchen, die Frauen für einen Abort gegeben wurden oder die sie selbst einnahmen, wohl eher wirkungslos waren und die Frauen ihre Kinder einfach so verloren hatten. Oh nein! Wie sollten sie nun das Machtinstrument “Abtreibungsverbot” retten, wenn es doch gar keine wirksamen Mittel gab? Die Jurisprudenz ersann folgendes Konstrukt: Eine bestimmte Kraft in der „Maschine des Weibes“ sei in der Lage, einer für sich wirkungslosen Droge zu seiner Wirksamkeit zu verhelfen und –puh, das war knapp- man konnte die Frauen und Ärzt*innen und Hebammen wieder bestrafen, wenn sie es auch nur versuchten. Heute ist ein Grundsatz des Strafrechts, dass der untaugliche Versuch zwar nicht straflos ist, aber in Fällen wie diesen von Strafe abgesehen werden kann.*

Im letzten Jahrhundert kam dann Gustav Radbruch, der kurz vor der Machtergreifung Hitlers eine deutlich liberalere Form als wir sie heute haben forderte: Die reine Fristenlösung. Aber da kam der schnauzbärtige Irre und brockte uns das ein, was wir in diesem Zusammenhang seitdem nur in Deutschland auf diese absurde Art ausbaden müssen. Das „Recht des Fötus“ wurde historisch erstmals insofern relevant, als es nur für die Föten galt, die den Rassegesetzen entsprachen. Deren Abtreibungen wurde wieder mit der Todesstrafe geahndet, diese Föten mussten also geboren werden. Andere Frauen, deren Fötus im Bauch kein Recht auf Leben hatten, wurden dagegen nach Hitlers Rassegesetzen zur Abtreibung gezwungen. Menschen mit bestimmten Behinderungen hatten gar ein komplettes Fortpflanzungsverbot. Das heutige in unserem Recht verankerte, eigene Lebensrecht eines Ungeborenen ist also ein sehr neuer Ansatz für eine alte Machtfrage, um die wir aktuell derartig peinlich rumschleichen, dass ich es eigentlich nicht fassen kann. Erst als immer mehr absehbar war, dass sich durch Aufklärung und Rechtsfortbildung die Rechte der Frauen auf körperliche Selbstbestimmung  komplett vom Mann entkoppeln, wurde rechtstheoretisch das „Lebensrecht des Ungeborenen selbst“ zur Maxime. Es geht also im Kern ganz simpel und archaisch um Macht über die Fortpflanzung. (Wer die Rechtshistorie nachlesen will: „Die juristische Konstruktion des Abtreibungsverbots“ von Prof. Dr. iur, Dr.phil. Günter Jerouschek)

 

Date Night im “To Beef Or Not To Beef”

Der gestrige Abend endete völlig anders, als wir es am Morgen noch gedacht hätten. Eigentlich waren wir nämlich wie fast jeden Freitag zu Freunden zum Mobster Dinner eingeladen. Leider musste dieses aus Gründen verschoben werden und so hatten wir plötzlich die Aussicht auf einen gänzlich unverplanten Abend, an dem wir aber trotzdem etwas tolles machen wollten. Möglicherweise spielten dabei ein unnötiger unglücklicher Zusammenstoß am Morgen oder die Tatsache, dass wir in dieser Woche unser 6,5-jähriges hatten eine Rolle. Jedenfalls schlug der Hase vor, dass wir seinen Geburtstagsgutschein von seinem Team einlösen und im “To Beef Or Not To Beef” essen gehen. (Wie bereits gesagt: Wir lösten einen Gutschein ein – und bezahlten den Rest der Rechnung aus eigener Tasche, es handelt sich hier also um keine bezahlte Werbung oder einen gesponsorten Post!)

Da er mit seinem Team an diesem Abend außerdem noch einen gelungenen Projektabschluss zu feiern hatte, fuhr ich nach Feierabend zunächst einmal aus meinem Büro zu seinem und half beim Anstoßen. Das war auch eine schöne Gelegenheit, noch ein paar mehr seiner Kolleg*innen kennenzulernen (und sie beim Tischtennis alle gnadenlos abzuziehen (Möglicherweise spielte dabei eine Rolle, dass ich nur _ein_ Glas Champagner und _eine_ Flasche Radler getrunken hatte.)).

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Gegen halb 9 trafen wir dann jedenfalls im Restaurant ein und ergatterten auch ohne Reservierung noch einen kleinen Tisch am Tresen, mit für den Hasen perfektem Blick in die Küche.

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Zunächst einmal studierten wir ausgiebig die Karte – hier im wunderschönen Buch-Look – und ließen uns zu den verschiedenen verfügbaren Fleischstücken beraten. Die Spezialität des Hauses ist nämlich – wie der Name schon sagt – Rindfleisch, das vom italienischen “Starmetzger” Dario Cecchini entsprechend der “Nose-to-Tail”-Philosophie zugeschnitten wird. Es ist also ganz besonderes Fleisch, das natürlich auch einen entsprechenden Preis hat.*

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Und weil der Hase gestern die Spendierhosen anhatte, durfte ich mir dann dazu auch noch einen Wein meiner Wahl aussuchen. Normalerweise hätten wir uns wohl für 1 bis 2 einzelne Gläser entschieden, aber im To Beef Or Not To Beef haben sie tatsächlich einige Tasca-d’Almerita-Weine auf der Karte, allerdings nur in Flaschen. Aufmerksame Leser*innen erinnern sich an dieser Stelle, dass ich zu Tasca d’Almerita eine ganz besondere Beziehung habe:

Vor fast vier Jahren verbrachte ich einige der schönsten Wochen meines Lebens bei einem Foodwriting-Workshop in der Kochschule Anna Tasca Lanza auf der Tenuta Regaleali in Sizilien, dem Stammweingut der Familie Tasca. Dort gab es zu jeder Mahlzeit diese tollen Weine und natürlich machten wir auch eine Führung durch den Weinkeller und bekamen eine professionelle Weinprobe. Mit Fabrizia, der Leiterin der Kochschule bin ich seitdem befreundet und vor zwei Jahren haben der Hase und ich ein tolles Wochenende mit ihr hier in Berlin verbracht. Vor wenigen Wochen sahen wir sie ein weiteres Mal hier in Berlin und auch da gab es wieder Tasca-d’Almerita-Weine. Das ist relativ ungewöhnlich, da es diese in Deutschland nur sehr selten in Läden zu kaufen gibt und eigentlich nur einige wenige Restaurants direkt beliefert werden.

Auf der Karte gestern fanden wir jedenfalls den Leone (meinen Lieblingsweißen von Tasca d’Almerita, der als Weißwein allerdings meines Erachtens nicht so gut zu den von uns ausgewählten Speisen gepasst hätte) und den Rosso del Conte, den Signature Wine oder auch den “Mercedes” unter den Tasca-d’Almerita-Weinen. Diesen Wein aus 62% Nero d’Avola und 38% nur in Sizilien wachsendem Perricone hat Fabrizias Onkel, Conte Guiseppe Tasca 1970 komponiert. Seitdem gewinnt er regelmäßig diverse Preise. Wir bekamen gestern eine Flasche des 2013er Jahrgangs serviert, die ich wirklich umwerfend fand und aus der ich die in der Speisekarte aufgeführten Noten von Vanille, Tabak und Kirschen definitiv herausgeschmeckt habe. Der Hase tut sich ja immer noch ein bisschen schwer mit sehr trockenen Roten, aber nachdem der Wein ein wenig geatmet hatte und in Kombination mit dem Essen fand er ihn dann auch ziemlich gut…

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Als Gruß aus der Küche bekamen wir hauchdünn geschnittene Mortadella aus Bologna serviert, mit gutem italienischen Weißbrot und einem sehr leckeren, grasigen Olivenöl mit nur einer ganz leichten Schärfe im Abgang (auch das etwas, womit der Hase nicht so gut umgehen kann, während ich in dem Öl hätte baden können).

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Als Vorspeise hatte sich der Hase die Arancini ausgesucht, die noch ganz heiß auf den Tisch kamen – zwei mit Käse gefüllt und zwei mit Ragù, dazu gab es eine Käse-Béchamel-Sauce und Tomaten-Chili-Ragout. Natürlich haben wir alles geteilt und waren beide sehr begeistert.

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Für mich gab es dann noch den Tartar, mit flüssigem Wachtelei, gehackten Kapern, grobem Salz und sardischem Carasau-Brot – sehr, sehr lecker! Der Hase hat auch gekostet (zum dritten Mal nach Modena und Urbino im Oktober) und fragt sich jetzt endgültig, welches Problem Mr. Bean eigentlich mit Tartar hatte… Wobei der bei uns schon immer appetitlicher aussieht. So unglaublich lecker, das Zeug!

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Zum Hauptgang bekam ich das “kleinstmögliche” Stück des Panzanese, einer “sehr mageren und geschmacksintensivem” Scheibe aus dem Schenkelinneren, 28 Tage gereift und in meinem Fall medium rare. Das kleinstmögliche Stück sind übrigens 250 g, die ich mit einigen Mühen aber dennoch gut geschafft habe. Dazu bestellte ich mir typisch toskanische Cannelini-Bohnen mit Kräutern.

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Für den Hasen gab es etwas ganz edles, nämlich Côte de Boeuf, 30 Tage gereift, in der 750-g-Variante (allerdings wird der Knochen mitgewogen, tatsächlich war es also nicht dreimal so viel wie meine Version, trotzdem aber immer noch sehr viel). Bei diesem Stück sind mageres und fettes Fleisch miteinander vermischt und wie man sieht, bestellte der Hase es medium und nicht medium rare. (Beim letzten Besuch hatte er das Bistecca fiorentina in medium rare und das war ihm ein wenig zu roh.) Für uns beide gab es dazu dann noch ein mit Kräutern aromatisiertes Salz, das wir aber sehr vorsichtig dosieren sollten, um das Fleischaroma nicht zu überlagern. Das Côte de Boeuf wurde mit Wildkräutersalat, Kartoffel-Senf-Püree und Sauce Bearnaise serviert.

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Wir schlemmten und erzählten und tranken und hatten eine wundervolle Mahlzeit. Gegen Ende probierte der Hase noch vom italienischen Craft Beer und einen “milden, romantischen Grappa”, während ich mir eine sehr köstliche, fluffige Crème brûlée schmecken ließ.

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Dann liefen wir satt, zufrieden und einigermaßen angetrunken zur S-Bahn, fuhren mit der Ringbahn nach Hause, gaben den Katzen ihr Abendbrot und setzten uns dann immer noch erzählend auf die Couch. Nach zwei Stunden fielen mir langsam die Augen zu, sonst hätten wir wahrscheinlich noch bis heute morgen weiter geredet. So ein tolles Date war das nämlich!

 

*Wir haben am Ende des Abends etwas über den doppelten Wert des Geschenkgutscheins ausgegeben, ungefähr viermal so viel, wie uns normalerweise ein gemeinsames 3-Gänge-Menü in einem typischen Berliner Durchschnittsrestaurant gekostet hätte. Für diesen Abend, diesen Wein und dieses Fleisch war es das auf jeden Fall wert. Generell finden wir es eine gute Idee, wenn Fleisch hochwertig produziert und dementsprechend teuer ist. Die nächsten Wochen werden jetzt dementsprechend auch sehr fleischarm werden – einerseits, weil nur wenig an dieses Essen heranreichen könnte, andererseits, weil wir keine Lust haben, mit billig produziertem, minderwertigem Fleisch Massentierhaltung und alles was damit zusammen hängt zu unterstützen. Lieber selten und gut, als oft und billig – das ist für alle Beteiligten am besten!

Diskriminierungsfreie Sprache für Einsteiger

Ich beschäftige mich ja schon seit Jahren – mal mehr und mal weniger tiefgründig – mit den sogenannten Ismen (bzw. der *istischen Kackscheiße), mit geschlechtergerechter Sprache, mit diskriminierungsfreien Begriffen usw. Rassismus, Sexismus, Ableismus, Homosexuellenfeindichkeit, Heteronormativität… You name it. Das Thema begegnet mir auf Schritt und Tritt auf meinen Streifzügen durchs Internet, in den Podcasts, die ich höre, in meinen Facebook- und Twitter-Timelines oder ganz einfach im Freundes- und Bekanntenkreis, in dem es z. B. schwule, lesbische und bisexuelle Menschen gibt, transidente und nichtbinäre Menschen, Menschen verschiedenster Hautfarben und ethnischer Hintergründe sowie diverser Religionen. Interessanterweise sind die meisten Menschen in meinem Umfeld noch nicht behindert, aber ich denke mal, je älter ich werde, desto höher wird auch der Anteil von Menschen mit Behinderung werden.

Jedenfalls bewege ich mich relativ sicher in all den theoretischen Hintergründen und Begrifflichkeiten und gelte oft auch als diejenige, vor der eins auf seine/ihre Sprache besonders achtgeben muss, damit eins keinen auf den Deckel bekommt… Was das allerdings mit sich bringt, ist, dass vieles davon für mich völlig selbstverständlich ist (auch wenn natürlich auch mir immer noch regelmäßig Fehler unterlaufen) und ich irgendwie davon ausgehe, dass es für andere auch so ist. Und dann schmeiße ich manchmal auch mit Begriffen um mich wie Deadnaming oder Blackfacing oder Misgendering oder Cis-Mann/-Frau und dann gucken die Leute ganz oft wie Autos, verstehen nicht, was ich meine und wenden sich dann lieber anderen Themen zu.

Deswegen hat es mich heute ganz besonders gefreut und inspiriert, mal einen ganz niedrigschwelligen und leicht zugänglichen Einstieg in das Thema zu hören. Zunächst stellte sich eine Person hin und zählte all die Punkte auf, für die sie in ihrem Leben bereits diskriminiert wurde oder in denen sie diskriminierbar ist (Frau, im Vergleich zum Umfeld alt, klein, Ausländerin, nichtdeutscher Nachname). Man merkte direkt, wie es bei der Zuhörerschaft im Kopf ratterte und einige dieser Punkte ihr gar nicht bewusst gewesen waren. Und das irgendwie auch zu Recht, denn wie sie richtig sagte, ist es ja für die Zusammenarbeit zumindest theoretisch völlig egal, ob jemand jung oder alt, weiblich oder männlich, transgender, schwul, lesbisch oder polyamourös ist. Dann stellte sich eine zweite Person hin (männlich, weiß, heterosexuell, deutsch) und spielte den Erklärbär (man könnte jetzt Mansplaining unterstellen, aber ich glaube in der Konstellation waren die Geschlechterrollen nur zufällig passend verteilt):

Wenn wir im Alltag auf unsere Mitmenschen treffen, wissen wir in den allermeisten Fällen nicht alles über sie. Wir kennen weder ihre sexuelle Identität noch ihre Religion, wahrscheinlich nicht ihre ethnische Herkunft oder den Grad einer eventuellen Behinderung, wir wissen nichts über vergangene oder aktuelle traumatisierende Erfahrungen und wir wissen auch nicht, in welchem sozialen und kulturellen Umfeld sie aufgewachsen sind. Worte, Stereotype und Witze, die für uns in unserem gesellschaftlichen Kontext völlig normal und harmlos sind, können für unser Gegenüber daher verletzend sein, ohne dass wir das wissen oder gar beabsichtigen. Dessen sollten wir uns stets bewusst sein und uns immer wieder hinterfragen und das, was uns manchmal einfach so herausplatzt vielleicht vorher noch einmal filtern.

Bäm. So einfach erklärt, so schwierig einzuhalten. Ich fand das einen extrem guten Auftritt von den beiden in diesem Kontext und ich hoffe, dass ihre Worte auch beim Rest des Publikums einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich möchte mir diesen einfachen Erklärungsansatz jedenfalls gerne aufschreiben (erledigt) und in Zukunft verwenden, wenn ich mit Menschen über das Thema spreche, die weder feministische Blogs noch Texte zu Genderthemen oder Blackfacing-Debatten verfolgen. Danke Ihr beiden!

 

PS: Aufgefallen ist mir, dass als Beispiele für Religionen in dem Zusammenhang nur Christentum, Islam und Atheismus genannt wurden. Nun wird man für Buddhismus, Hinduismus oder Pastafarianism zumindest hier in Deutschland selten diskriminiert, aber dass das Judentum in dem Vortrag keine Rolle spielte, zeigt einmal mehr, wie unsichtbar Juden und Jüdinnen in unserem Alltag sind. Dazu und zu dem wachsendem Antisemitismus in Deutschland lese ich gerade das erschütternde und unbedingt empfehlenswerte Buch “Schonzeit vorbei. Über das Leben mit dem alltäglichen Antisemitismus” von der wundervollen Juna Grossmann, dass ich Euch allen gerne ans Herz legen möchte (unbezahlte Werbung, ich bekam das Buch zu Weihnachten geschenkt).

PPS: Jeder Blogbeitrag braucht ein Bild, ich habe aber bei der Veranstaltung keins gemacht, stattdessen gibt es einen schönen Noosa-Schnappschuss. Passt immer.

Lebensrealitäten

Dieses Wochenende wird mir trotz G20 in Erinnerung bleiben als eines voller Herzlichkeit, spannender neuer Menschen und extrem gegensätzlicher Lebensrealitäten. 

Am Freitagabend trikontinentales Dinner in einer doppelstöckigen Altbaudachgeschosseigentumswohnung in Ku’dammnähe, gekocht im Schatten einer Kitchen Aid und unter Verwendung von gefühlt der Gesamtkollektion von Le Creuset. Samstags im Schrebergarten Werkeln und Grillen in Pankow-Rosenthal mit DDR-Geschirr. Südafrikanisches Bobotie mit KaDeWe-Chutney und Curcuma-Pulver von Ja! im Dachgeschoss und Milchreis mit Apfelmus, Mandel-Aprikosen-Kuchen, Johannisbeer-Baiser-Kuchen und Kokoswasser im Garten.

Weltbürgertum und Einsatz für Opfer von Ausbeutung, Verfolgung und sexueller Gewalt zum Einen (in Pankow wie in Charlottenburg), Verschwörungstheorien und Angst vor Islamisierung in Deutschland zum Anderen. Linksgrünversiffte unterbezahlte Kunst-Wissenschaft-Sozialberufe-Twitter-Bubble mit viel Flausch auf der einen Seite, Startup-Gründer-nach-Millionen-Exit mit ebenso viel Flausch auf der anderen. 

Der gefühlte aktuelle Stern der deutschen Bloggerszene kennt die Dörfer der Hasenheimat ebenso gut wie indische Slums und sudanesische Kriegsgebiete; der Urberliner CPO volunteert in afrikanischen Schulen und sein ehemaliger Mitschüler und sehr guter Freund arbeitet bei einem Anzeigenblatt in Köpenick. Beim gemeinsamen Unkraut jäten zeigt sich, dass vor den Unbillen von Natur und Medizin alle gleich sind.

Dazwischen viele kleine niedliche Babies und viel zu lachen. Am Ende sind sich alle gar nicht so unähnlich, wie man vermuten würde. Der Islamistenfürchter grillte bereitwillig koschere Grillspieße, obwohl er “noch nie einen Juden gesehen hatte”; Südafrikaner und Australier lachten gemeinsam mit Deutschen über nicht jugendfreie Witze und amerikanische Rednecks und über die Bedeutung von gutem Essen waren sich sowieso alle einig. 

Vielleicht muss man die einfach alle mal zusammenbringen, dann gibt es Hoffnung.

Alles hängt mit allem zusammen
Alles hängt mit allem zusammen

Anyone we know dead?

Voldemort hat das Ministerium übernommen, alle wichtigen Positionen sind mit Todessern besetzt worden und der Widerstand formiert sich im Verborgenen. Jeden Morgen nach dem Aufwachen die bange Frage “Anyone we know dead?”… Die momentane weltpolitische Lage weckt in mir jede Menge Harry-Potter-Assoziationen. Der erste und der letzte Blick des Tages gelten Twitter, wenn noch Zeit bleibt folgen in geringerem Maße Facebook, YouTube und SPON. Bei allem, was vor sich geht bleibt mir oft nur das Liken und/oder Retweeten, denn für alles andere fehlen Kraft, Energie und Überblick.

Poohead
Bild vom Women’s March in Berlin

Die Augen verschließen und einfach nur hoffen, dass alles bald wieder gut wird kann ich aber auch nicht. Ein paar Serienfolgen hier und da schaffe ich, aber für größere eskapistische Ausflüchte in Form von Spielfilmen oder gar Büchern reicht es momentan irgendwie nicht. Beim Nicht-Verrückt-Werden helfen hoffnungmachende Aktionen wie der Women’s March, die Proteste gegen den Muslim Ban, Kommentare von Stephen Colbert, Seth Meyers, Trevor Noah oder Samantha Bee und die inoffiziellen Twitter-Accounts von NASA und EPA.

Und dann gibt es ja trotz allem immer noch das eigene Leben, das mitunter auch ne Menge Aufmerksamkeit verlangt. Die letzten Wochen und Monate waren vom medizinischen Standpunkt aus gelinde gesagt aufregend, man drücke die Daumen, dass da jetzt langsam mal Ruhe einkehrt. Auf Arbeit gerät momentan auch einiges in spannende Bewegung und verlangt gesteigerte Aufmerksamkeit.

Und dann gibt es auch noch die positiven Nachrichten. Die beste Freundin bekam ihr zweites Kind und der Fratz somit eine kleine Schwester. Die beiden im Sommer erfolgreich verheirateten Freundinnen sind kurz davor, das Projekt “Umzug nach Berlin” abschließen zu können. Genauso geht es “unseren” Syrern. Am Montag konnten die drei nach fast zwei Jahren endlich ihre Mutter und Schwester wieder in die Arme schließen, die im Rahmen der Familienzusammenführung ein Visum bekommen haben und jetzt mit in der kleinen 1,5-Zimmer-Wohnung in Neukölln wohnen. Sogar oberleckere Süßigkeiten haben sie noch aus Damaskus mitgebracht. Der Hase verbrachte einen guten Teil der letzten Woche damit, den beiden bei den unendlich vielen Behördengängen zu helfen. Die Hochzeit von Bruder und Schwägerin-in-spe schreitet außerdem mit riesigen Schritten voran und gestern haben der Hase und ich mit vereinten kreativ-kulinarischen Kräften und professioneller Unterstützung die Hochzeitstorte entworfen und bestellt. Apropos Bruder, der ist jetzt auch auf Twitter, ebenso wie die Teeniecousine, die außerdem auch noch YouTube unsicher macht.

Außerdem habe ich mir in den letzten Wochen den regelmäßigen Kuchenkonsum meiner Kindheit und Jugend wieder angewöhnt, im Zuge dessen backe ich nachher auch endlich mal wieder, nämlich diesen Orangen-Mandel-Kuchen.

Es ist also nicht alles schlecht. Vielleicht gibt es sogar ab und zu was zu bloggen, das wäre doch auch schön, nachdem ich aufgrund des Schweigens der letzten Wochen bei den Iron Bloggern schon punted bin.

Erfahrungsbericht: Alltagsrassismus in Bautzen

Im Zuge der ganzen Diskussionen über dieses ganze Bautzen-Ding haben sich auch einige Bekannte von mir kritisch über die rassistischen Strukturen in Deutschland und speziell in Bautzen geäußert. Speziell meine ich, weil es halt um Bautzen ging, nicht weil Bautzen zwingend rassistischer ist als andere Orte. Das glaube ich nämlich tatsächlich nicht.

In Bautzen kommt zu dem Grundrassismus, der in Deutschland und vielen anderen traditionell weißen Ländern vorherrscht, noch einiges anderes hinzu – hohe Arbeitslosigkeit, daraus resultierende Abwanderung junger Leute, Perspektivlosigkeit, ein seit Jahrhunderten eher konservatives Weltbild und manches mehr. Unter anderem auch eine verdrängte “Sorbenfrage”. Kurzer Exkurs: Ich fand zum Beispiel die These sehr spannend, dass gerade in einer Gegend, in der das sorbische Erbe über Jahrzehnte und Jahrhunderte immer wieder versteckt, marginalisiert und verdrängt wurde, eine unbewusste Überanpassung an die Identität der dominanten Mehrheitsbevölkerung zu verzeichnen ist. Beispiele dafür fanden sich auch aus anderen Ländern und ich glaube, dass sich das durchaus zu erforschen lohnt. Exkurs Ende.

Reichenturm

Diese Gemengelage in Bautzen und Umgebung machen sich die Nazis zunutze, um gezielt zu agitieren und sich breit und stark zu machen. Mir kommt es nicht darauf an, Bautzen als “rechtes Nest” darzustellen und anzuprangern. Vielmehr finde ich es gut, dass die gesamte Problematik jetzt einmal hochkocht, dass ein Bewusstsein dafür entsteht und die Leute aufwachen und sich vielleicht tatsächlich mal langfristig etwas bewegt.

Es gibt bereits diverse Initiativen in Bautzen, Sachen, Ostdeutschland und Gesamtdeutschland, die engagiert gegen Rechtsextremismus vorgehen. Dieser Gedanke wurde vor kurzem auch im Zusammenhang mit meinem Blogpost und meinen Posts bei Twitter und Facebook an mich herangetragen. Natürlich sollen diese Initiativen nicht unsichtbar gemacht und ihre Mitarbeiter nicht desillusioniert werden. Ich denke aber, dass diesen engagierten Menschen mit einem gesteigerten Bewusstsein für ihr generelles Anliegen mehr und grundsätzlicher geholfen ist, als wenn man nur ihre Arbeit feiert.

Und deswegen folgt jetzt hier ein weiterer Text, der von Alltagsrassismus in Bautzen handelt. Nachdem nämlich meine Stadträtinnen-Cousine ein von Bautzenern viel kritisiertes Interview gegeben hat, wurde sie von einer gemeinsamen Freundin verteidigt, die ihre These bestätigt, dass man es mit einem ausländischen Äußeren in Bautzen schwer hat, und zwar nicht erst seit ein paar Jahren, sondern auch schon in den 80ern. Diese Freundin hat eine Mutter aus einem Dorf bei Bautzen und einen indischen Vater. Nach dem sie zunächst in Indien aufwuchs, kam sie in den 80er Jahren dann nach Bautzen und machte am Schiller-Gymnasium ihr Abitur. Nach dem Studium in Dresden verließ sie Deutschland Mitte der 90er, um an der London School of Economics zu studieren. Seit einigen Jahren lebt und arbeitet sie nun als Politologin in Durham, England.

Ich habe sie gebeten, von ihren Erfahrungen in der Lausitz zu berichten und möchte Euch ihre Gedanken nicht vorenthalten:

Ich bin 1986 als Teenagerin in die DDR gekommen und habe Deutschland 1995 verlassen. In der damaligen DDR herrschte definitiv Ignoranz, was mit der Ghettoisierung von Ausländern zu tun hatte. Ich war z.B. erstaunt, dass “die Fijis” nicht von den Fiji-Inseln kamen sondern F-ietnamesen waren. 🙂 In meiner Familie gab es natürlich viele Ausländer (mein Vater, mein Onkel aus Kammbodscha, US-Verwandtschaft, indische Verwandtschaft in Westdeutschland) und es gab auch “Sonderfälle”, wie bei Schippers (Geburtsname meiner Stadträtinnen-Cousine, Anmerkung d. Red.) und Opels und Kretschmars… Aber woanders sah es düster aus.

Ich wurde oft gefragt, ob wir in Indien nur Bananen aßen, ob wir Schuhe hatten, ob es Schulen gab. Ok – Unwissenheit. Aber eben auch viel Intoleranz und Herabschauen auf das, was nicht “deutsch” war. “Bist du ein Indianer?” habe ich oft gehört. Später, im Studium, kamen Kommentare wie “Du siehst zu türkisch aus.” Das Problem mit Rassismus ist, dass es oft sehr subtil ist. Man fühlt es, ohne dass es ausgesprochen werden muss.

Was ich stark gemerkt habe – und weswegen ich lieber in England lebe – ist, dass nicht Integration erwartet wird (was beidseitig ist), sondern Assimilierung. Man soll eben zur Deutschen mutieren. Damit kann man Identitäten “verschlucken”. Dass Ausländer, die wie ich den Zwang zur Assimilierung gespürt haben, in Wut geraten, wundert mich nicht.

Noch ein Beispiel aus dem Ort: “Wieso dürfen Schwarze in der deutschen Fussballmannschaft mitspielen?? Das sind doch keine Deutschen…” Es gibt also diese beiden Welten: Die waschechten Nazis, die von der 30ern träumen und von einem Deutschland, das nie war. Und die tagtägliche Intoleranz, die alles, was nicht zur “Einheitskultur” passt, als Bedrohung ansieht. Man traut sich nicht mehr, “man selbst zu sein.

Es ist eine komplexe Geschichte. Deutschland konnte lange keine zivilgesellschaftliche Strukturen aufbauen. Es kamen die Repressionen der DDR hinzu, die Arroganz gegenüber dem so genannten Ostblock und eine Blindheit der Welt gegenüber. Nach dem zweiten Weltkrieg war Deutschland am Boden und der Marshall-Plan war der Kern der Rettung. Aber das ist vergessen und was blieb, ist das Gefühl der Obermacht.

Ich denke schon, dass die Intoleranz in Deutschland weit verbreitet ist und nicht nur ein Problem der Politik ist. Es ist ein Problem der Gesellschaft, die sich wenig mit sich selbst auseinandergesetzt hat. Ausländer und andersartige Menschen sind Zielscheiben und Projektionsflächen für eine Gesellschaft, die sich mit der eigenen Geschichte nicht so richtig auseinandergesetzt hat.

Egal warum, es tut Minderheiten weh. Als Teil einer Minderheit bin ich also lieber in einer Gesellschaft und nicht in einer Gemeinschaft. Lieber liberal 🙂 Und genau da bin ich früher angeeckt und würde es heute noch tun. Übrigens habe ich vor einigen Jahren fünf Monate in Frankfurt verbracht. Es war nicht viel besser! Aber der Osten hat schon ein ganz anderes Päckchen zu tragen. Nur, dass diese Last auf ausländische Schultern gelagert wird, geht nicht!

Dieses ganze Bautzen-Ding

Ich habe in den letzten Tagen sehr viel Zeit damit verbracht, mir Gedanken über Bautzen zu machen, in Erinnerungen zu kramen, Online-Kommentare zu lesen, mit Leuten auf Facebook, im Büro und auf dem Balkon zu diskutieren und was bleibt ist eine große Ratlosigkeit – weniger darüber, woher die Probleme rühren, als darüber, wie sich die Situation verbessern lässt.

Bautzen
In den ersten 19 Jahren meines Lebens habe ich am Rande einer Siedlung am Rand eines Dorfes kurz hinter (oder vor) Bautzen gelebt. Meine Familie führt seit 87 Jahren ein Geschäft in Bautzen, nur wenige Meter vom Kornmarkt entfernt. Meine Familie ist sehr groß und weit verstreut. Sie umfasst, so vermute ich, einige Vertreter der “besorgten Bürger”, sie umfasst Anwohner, die Angst vor der Gewalt vor Ort haben, sie umfasst eine Stadträtin, die sich für Flüchtlinge einsetzt, sie umfasst eine der diesjährigen Abiturient*innen des Sorbischen Gymnasiums, deren Schulkamerad*innen einerseits bei Parties von Rechten bedroht werden, andererseits aber auch Unterschriftenlisten gegen Flüchtlingsunterkünfte verteilen.

Vor zwei Jahren war ich auf einem Klassentreffen meiner alten Grundschulklasse. Da gingen gerade die Diskussionen über Flüchtlingsunterkünfte im Landkreis hoch her. Ein ehemaliger Klassenkamerad schlug vor, doch einfach mal an einer von denen vorbei zu fahren und bisschen Stunk zu machen und ich bin bis heute nicht sicher, ob das ein sarkastischer Scherz oder tatsächlich ernst gemeint war.

Ich denke dieser Tage oft zurück an meine Schulzeit in Bautzen und an meine damals beste Freundin, die gemeinsam mit ihren Geschwistern nach und nach immer mehr Freunde mit rechtem Gedankengut hatte. Obwohl sie selbst dieses Weltbild nicht teilte, führte diese Entwicklung mit dazu, dass wir uns nach und nach aus den Augen verloren. Ich war nicht mehr mit ihrem Freundeskreis kompatibel und ihr Freundeskreis nicht mit mir. Ich erinnere mich an einen letzten Versuch.

Ich war da, um sie und ihr Baby zu besuchen und wir hatten einen netten Nachmittag mit ihren Geschwistern, wie früher. Bis der Vater des Kindes auftauchte und anfing, mich mit rechten Parolen zu provozieren und mir Hitler-Reden von CD vorzuspielen, um mich zu ärgern. Ich war 18 und glaubte daran, mit Argumenten etwas ausrichten zu können. Recht schnell merkte ich, dass uns die Grundlage fehlte, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Diskutiert mal mit jemandem, der schon widerspricht, wenn man sagt, dass alle Menschen Menschen sind, die Würde und die gleichen Rechte haben. Ich weiß noch, dass mich der Nachmittag sehr aufgebracht hat, dass ich froh war, als meine Mutter mich abholen kam (nix mit vernünftigen Nahverkehr und für Fahrrad war es zu weit) und dass ich entsetzt war, wie meine Freundin und ihre Geschwister einfach gar nichts gesagt hatten oder sich sogar noch über die Situation und meine Hilflosigkeit darin amüsiert hatten.

14 Jahre später sind die Freundin und ich (wieder) befreundet. Sie ist vom Vater des damaligen Babys getrennt, der zwar angeblich kein Nazi mehr sei, auf Facebook aber immer noch rechte Parolen verbreitet. Sie hat noch zwei weitere, jüngere Kinder und mitunter Angst, mit denen in dieser Stadt spazieren zu gehen, in der es jederzeit zu Zusammenstößen zwischen Rechten und Asylbewerbern oder Rechten und Linken kommen kann.

Ihr 14-jähriger ältester Sohn ärgert sich ebenso wie meine 21-jährige Cousine, die wenige Meter vom Kornmarkt aufgewachsen ist, scheinbar vor allem über die Unruhe in der Stadt. Beide posteten in den letzten Tagen auf Facebook über Ihre Wut über die Situation in Bautzen. Beide positionierten sich dabei weder rechts noch links. Und das ist für mich irgendwie das Erschreckende. Genau wie schon vor 14 Jahren scheint man in Bautzen entweder offen rechts zu sein, oder sich herauszuhalten. Wer gegen die Rechten spricht, tut das nicht wegen deren Gesinnung und Menschenbild, sondern weil sie den Frieden in der Stadt stören.

Sicher gibt es auch Ausnahmen, gibt es linke, alternative Stimmen in der Stadt und politische Aktionen, die für ein offenes und buntes Bautzen arbeiten. Die überwiegende Mehrheit verschließt aber ihre Augen vor den rechten Strukturen, hält linke und rechte “Eventbetonte” und das “örtliche Trinkerklientel” (Zitate aus Polizeiberichten) für gleich schlimm und möchte am liebsten alle störenden Elemente aus ihrer Stadt verbannen. So bereiten sie den Nährboden für noch mehr Fremdenhass und Gewalt und geben den Rechten Macht über die Stadt. Die freuen sich natürlich über dieses gefundene Fressen und statuieren ein Exempel für weitere Städte.

Ich glaube auch vielen Bautzenern nicht, die sich jetzt über die Aufmerksamkeit für ihre Stadt aufregen und betonen, dass dort eben nicht nur Rechte ihre “Meinung” äußern, sondern auch viele “normale Bürger” dies tun. Gestern geriet ich auf dem Facebook-Profil des Teenager-Sohns meiner Freundin in eine Diskussion mit jemandem, der mir auf meine Argumente bezüglich der Nazis und Rassisten in der Stadt unterstellte, ich würde wohl die BILD-Zeitung lesen (Ich! die BILD!). Wir tauschten sehr zivilisiert Argumente aus und ich hatte tatsächlich Spaß an der Unterhaltung. Und dann lief es wie damals vor 14 Jahren aus dem Ruder:

Er sagte, die Asylbewerber würden sich nicht integrieren. Ich wies ihn darauf hin, dass Integration ein Prozess ist, an dem beide Seiten arbeiten müssten und holte die Duden-Definition des Begriffs hervor. Integration ist die “Einbeziehung und Eingliederung in ein größeres Ganzes”, die “Verbindung einer Vielheit von einzelnen Personen oder Gruppen zu einer gesellschaftlichen und kulturellen Einheit”. Man kann sich nicht allein integrieren, man wird integriert, muss aber dazu natürlich auch bereit sein. Seine Antwort war (sinngemäß): “Nein, Integration heißt Anpassung. Das ist Fakt.” Wieder einmal fehlte die gemeinsame Basis, um überhaupt diskutieren zu wollen. Es ist, als würde man sagen: “2+2 ist 4, deswegen ist…” und der andere sagt: “Nein, 2+2 ist 3, das ist Fakt.”

Er sagte auch: “Die wollen sich ja leider nicht integrieren.” Ich erzählte dann davon, wie der Hase und ich hier in Berlin guten Kontakt mit einer syrischen Familie haben, gemeinsam kochen und essen, mit den Jungs zum Fußball oder ins Museum gehen und trotz differierender Meinungen in manchen Punkten die Gemeinsamkeiten und das gegenseitige Wohlwollen dominiert. Dass dieses Einbinden die Basis für Integration sei. Mein Vorschlag an ihn war, doch mal ein paar der Asylbewerber auf einen Kaffee einzuladen, oder mit ihnen Fußball oder Computer zu spielen. Die Antwort: “Das ist das Letzte, was ich tun würde, ich bin doch nicht lebensmüde!”

Und da saß ich dann fassungslos vorm Bildschirm, genau so sprachlos wie vor 14 Jahren. Ich verstehe Veselin, der seinen Blog aufgibt, weil er an den Strukturen in Bautzen und Sachsen verzweifelt und nicht als linksalternatives Feigenblatt dienen möchte – wenige Tage nachdem er in einer Serie Neu-Bautzener vorgestellt hatte, die begeistert von ihrem Leben in der Stadt berichteten. Ich verstehe Robert, der gerade wieder zurück in die alte Heimat gezogen ist und jetzt nicht mehr bereit ist, Bautzen gegen Kritik zu verteidigen.

Ich hoffe, dass meine Stadträtinnen-Cousine die Kraft haben wird, weiter zu kämpfen. Ich hoffe, dass Wege gefunden werden, die Situation zu verbessern, damit weder meine Freundin und ihre Kinder, noch meine Cousine Angst haben müssen, durch die Stadt zu gehen. Ich hoffe vor allem, dass wir nicht bald mit noch schlimmeren Nachrichten aus Bautzen leben müssen und dass niemand, der in Deutschland Schutz vor Terror und Vertreibung sucht, in Bautzen genau das wieder erleben muss.

Und ich hoffe, dass es endlich ein Umdenken in der Politik gibt. Dass jede einzelne Beleidigung und Straftat geahndet wird. Dass die Verbreitung menschenverachtender Parolen und die organisierte Provokation nicht länger geduldet oder gar akzeptiert wird. Dass der Staat durchgreift und seine Macht ausübt und dass die angeblich so “normalen” Bürger endlich aufstehen und Gesicht zeigen.

Und wer bitte erlaubt es diesen Nazis, ein Bautzen nur für die Deutschen zu fordern, wenn die Stadt die Hauptstadt der Sorben ist? (An dieser Stelle stellt Euch einen Gernot-Hassknecht-mäßigen Rant vor, der am Ende aufgrund der Anzahl der Kraftausdrücke ausgeblendet wird…)

Tagebuch-5 im Januar 2016

Wie an jedem 5. fragt Frau Brüllen (ich wollte erst Brau Früllen schreiben und frage mich jetzt, ob Freud mit damit etwas sagen möchte) wieder: WMDEDGT? Das hier:

Der Wecker klingelt um 7:30 und obwohl es heute immer noch so kalt ist wie gestern schaffe ich den Sprung aus dem Bett schon nach wenigen Minuten. Ich verschwinde kurz im Bad, bemühe mich, beim Lesen meiner Facebook-Benachrichtigungen nicht in eine Diskussion über die Gewalt in Köln am Silvesterabend zu gelangen und stelle das Futter für das Katzenfrühstück ins heiße Wasserbad. Dann mummele ich mich für die heutige Meditation ein – die letzte 15-minütige, ab morgen geht es mit 20 Minuten weiter. So richtig will es mit dem Gedanken loslassen heute nicht klappen, ständig überlege ich, was ich als nächstes mache, was ich nicht vergessen darf und wie ich das Ganze heute beim Tagebuch-5 verbloggen werde. Währenddessen liegt Nimbin neben mir und meditiert mit, während Noosa aufgeregt herumspringt und die Vögel auf dem Hausdach gegenüber anknurrt. Ein schmerzender Rücken, Halsschmerzen und eine leicht verstopfte Nase tun ein Übriges, um meine Meditation zu sabotieren. Trotzdem fühle ich mich nach den 15 Minuten ziemlich ausgeglichen und weniger gestresst als vorher.

Es ist kurz nach 8 und draußen ist es inzwischen hell, so dass ich die leichte Schneeschicht sehen kann, die sich draußen gebildet ist – nur so leichter Puderzucker bisher. Die Katzen bekommen jetzt ihr Frühstück und ich flitze zurück ins Bad, putze mir die Zähne und kämme mir die Haare. Dann ziehe ich mich leise an, um den Hasen nicht zu wecken und nehme mir voller guter Vorsätze den Rucksack mit den Sportsachen hervor. Hinein wandern Portemonnaie, Taschentücher, Ersatzakku und Ladekabel sowie eine Dose mit Haferflocken, Leinsamen, Sonnenblumenkerne, Chiasamen, Sesam, Zimt und Vanille, die später im Büro mit Hilfe von Milch, Honig und Mikrowelle zum Frühstücksbrei werden. Während das Teewasser heiß wird, stecke ich noch schnell Bürokratiekram in einen Umschlag und pappe Briefmarken drauf – zweimal 62 Cent, denn seit 5 Tagen kostet so ein Brief 65 Cent. Da wir pro Jahr etwa 5 Briefe verschicken, haben wir noch einige alte Marken übrig und ich bin zu faul, erst noch einen Briefmarkenautomaten aufzusuchen, das würde Umwege bedeuten, auf die ich bei den Temperaturen verzichten kann.

Stiefel, Schal, Mütze, Handschuhe und Wintermantel an, Tee in den Becher, Schlüssel nicht vergessen und raus aus der Tür. Auf dem Weg zur Tram werfe ich den Brief ein und dann stehe ich erstmal fast zehn Minuten an der Haltestelle, weil eine Bahn ausgefallen ist – muss wohl am Schneechaos liegen 😉 Ich verliere den Humor nicht, wohl aber ist mir kalt – ebenso wie den anderen, weniger gut gelaunten Passagieren um mich herum. Die Tram ist dann auch brechend voll, dafür ergattere ich in der U-Bahn ohne Probleme einen Sitzplatz – bin ja auch später dran als sonst. Im Büro angekommen mache ich mir mein Frühstück warm und sitze dann mit dem Spotify Mix der Woche auf den Ohren vor meinem Rechner, bevor es um 11 zu einem Meeting geht.

Ansonsten tröpfelt der Arbeitstag so vor sich hin. Gegen 14 Uhr bekomme ich langsam Hunger – nach und nach kristallisiert sich heraus, dass es heute Nudeln geben soll. Auf Twitter befrage ich meine Follower, ob ich Asiatisch oder Italienisch essen soll. Kaum habe ich den Tweet abgeschickt, hat sich mein Gaumen schon für Italienisch entschieden – ich habe Appetit auf Olivenöl und brauche nur zwei Minuten, statt mindestens zehn für die asiatische Variante. Die Umfrage, die zu diesem Zeitpunkt für Asiatisch votiert, läuft ja noch bis morgen Mittag und das Ergebnis mir nicht weg.

Ich entscheide mich für eine Pasta Caprese und einen Obstsalat, da im Büro-Obstkorb heute morgen bereits wieder Ebbe war. Die Wartezeit vertreibe ich mir mit Bloggen und dem Beobachten eines Babys am Nebentisch. Es krakeelt fröhlich vor sich hin und hält zum Glück die Finger nicht in Papas dampfend heiße Lasagne. Dann kommt mein Essen: Frische, mit Tomate und Mozzarella gefüllte Ravioli in Tomaten-Butter-Salbei-Sauce. Mit dem Foto checke ich ein und stoße meinen Chef-Chef vom Mayor-Thron. Ha!

Am Nachmittag höre ich von der Freundin, die über Silvester bei uns zu Besuch war und jetzt wieder zurück in Toulouse ist. Sie hatte am Sonntag ihren Rückflug verpasst, ist dann mit ihren zufälligen Zugbekanntschaften weitergereist und hat spontan noch einen Zwischenstopp in Prag eingelegt und dann gestern von dort zurückgeflogen. Ja, es hat uns beide an Before Sunrise erinnert und ich bin auch ein bisschen neidisch geworden – die Reiselust wächst wieder! Außerdem schreibt mir die Teeniecousine, ich soll mal wieder was für sie bestellen – es geht um ein Faschingskostüm.

Ansonsten ist der Arbeitsnachmittag recht unauffällig, außer dass eine Kollegin vorbeischneit, weil sie das neue Hipsterzöpfchen des Kollegen hinter mir begutachten möchte, von dem ich leider heute kein Foto für Euch habe. Nach der Arbeit stelle ich fest, dass es auch draußen geschneit hat. Sofort ist allgemeine Laune merklich besser und alles wirkt gemütlicher, gedämpfter, pittoresker und sogar wärmer.

Ich fahre ich zum ersten Mal seit wirklich langer Zeit endlich mal wieder zum Sport (was für ein Glück, dass ausgerechnet heute der 5. ist, das sorgt für extra Motivation). Studio-Angestellte und Geräte erkennen mich wieder und das Training selbst geht besser als erwartet. Mein Rücken wird es mir danken (also sobald er sich erholt hat).

Ich stapfe freudig durch die frisch gefallene Schneeschicht nach Hause und fange die eine oder andere Flocke mit dem Mund auf. Ein bisschen bin ich wieder Kind, vor allem als ich dann zuhause die vor zwei Monaten im Sportrucksack vergessene Brotdose auspacke, ihr kennt das.

Der Hase erwartet mich mit heißer Rote Bete-Suppe, die ich mit Wasabi, eingelegtem Ingwer und Koriandergrün verfeinere, während der Kater auf dem Balkon schlittern übt. Zum Essen gib es frisch aufgetauten Ananassaft.

Danach bezwinge ich den seit dem Silvester-Dinner schon mehrfach in Angriff genommenen Abwaschberg endlich komplett (ohne Sauerstoffgerät!). Dann ist es 21:00 und der Hase und ich ziehen uns mit Katzen und Film (der mit den Lichtschwertern) aufs Sofa zurück.