Anyone we know dead?

Voldemort hat das Ministerium übernommen, alle wichtigen Positionen sind mit Todessern besetzt worden und der Widerstand formiert sich im Verborgenen. Jeden Morgen nach dem Aufwachen die bange Frage “Anyone we know dead?”… Die momentane weltpolitische Lage weckt in mir jede Menge Harry-Potter-Assoziationen. Der erste und der letzte Blick des Tages gelten Twitter, wenn noch Zeit bleibt folgen in geringerem Maße Facebook, YouTube und SPON. Bei allem, was vor sich geht bleibt mir oft nur das Liken und/oder Retweeten, denn für alles andere fehlen Kraft, Energie und Überblick.

Poohead
Bild vom Women’s March in Berlin

Die Augen verschließen und einfach nur hoffen, dass alles bald wieder gut wird kann ich aber auch nicht. Ein paar Serienfolgen hier und da schaffe ich, aber für größere eskapistische Ausflüchte in Form von Spielfilmen oder gar Büchern reicht es momentan irgendwie nicht. Beim Nicht-Verrückt-Werden helfen hoffnungmachende Aktionen wie der Women’s March, die Proteste gegen den Muslim Ban, Kommentare von Stephen Colbert, Seth Meyers, Trevor Noah oder Samantha Bee und die inoffiziellen Twitter-Accounts von NASA und EPA.

Und dann gibt es ja trotz allem immer noch das eigene Leben, das mitunter auch ne Menge Aufmerksamkeit verlangt. Die letzten Wochen und Monate waren vom medizinischen Standpunkt aus gelinde gesagt aufregend, man drücke die Daumen, dass da jetzt langsam mal Ruhe einkehrt. Auf Arbeit gerät momentan auch einiges in spannende Bewegung und verlangt gesteigerte Aufmerksamkeit.

Und dann gibt es auch noch die positiven Nachrichten. Die beste Freundin bekam ihr zweites Kind und der Fratz somit eine kleine Schwester. Die beiden im Sommer erfolgreich verheirateten Freundinnen sind kurz davor, das Projekt “Umzug nach Berlin” abschließen zu können. Genauso geht es “unseren” Syrern. Am Montag konnten die drei nach fast zwei Jahren endlich ihre Mutter und Schwester wieder in die Arme schließen, die im Rahmen der Familienzusammenführung ein Visum bekommen haben und jetzt mit in der kleinen 1,5-Zimmer-Wohnung in Neukölln wohnen. Sogar oberleckere Süßigkeiten haben sie noch aus Damaskus mitgebracht. Der Hase verbrachte einen guten Teil der letzten Woche damit, den beiden bei den unendlich vielen Behördengängen zu helfen. Die Hochzeit von Bruder und Schwägerin-in-spe schreitet außerdem mit riesigen Schritten voran und gestern haben der Hase und ich mit vereinten kreativ-kulinarischen Kräften und professioneller Unterstützung die Hochzeitstorte entworfen und bestellt. Apropos Bruder, der ist jetzt auch auf Twitter, ebenso wie die Teeniecousine, die außerdem auch noch YouTube unsicher macht.

Außerdem habe ich mir in den letzten Wochen den regelmäßigen Kuchenkonsum meiner Kindheit und Jugend wieder angewöhnt, im Zuge dessen backe ich nachher auch endlich mal wieder, nämlich diesen Orangen-Mandel-Kuchen.

Es ist also nicht alles schlecht. Vielleicht gibt es sogar ab und zu was zu bloggen, das wäre doch auch schön, nachdem ich aufgrund des Schweigens der letzten Wochen bei den Iron Bloggern schon punted bin.

Erfahrungsbericht: Alltagsrassismus in Bautzen

Im Zuge der ganzen Diskussionen über dieses ganze Bautzen-Ding haben sich auch einige Bekannte von mir kritisch über die rassistischen Strukturen in Deutschland und speziell in Bautzen geäußert. Speziell meine ich, weil es halt um Bautzen ging, nicht weil Bautzen zwingend rassistischer ist als andere Orte. Das glaube ich nämlich tatsächlich nicht.

In Bautzen kommt zu dem Grundrassismus, der in Deutschland und vielen anderen traditionell weißen Ländern vorherrscht, noch einiges anderes hinzu – hohe Arbeitslosigkeit, daraus resultierende Abwanderung junger Leute, Perspektivlosigkeit, ein seit Jahrhunderten eher konservatives Weltbild und manches mehr. Unter anderem auch eine verdrängte “Sorbenfrage”. Kurzer Exkurs: Ich fand zum Beispiel die These sehr spannend, dass gerade in einer Gegend, in der das sorbische Erbe über Jahrzehnte und Jahrhunderte immer wieder versteckt, marginalisiert und verdrängt wurde, eine unbewusste Überanpassung an die Identität der dominanten Mehrheitsbevölkerung zu verzeichnen ist. Beispiele dafür fanden sich auch aus anderen Ländern und ich glaube, dass sich das durchaus zu erforschen lohnt. Exkurs Ende.

Reichenturm

Diese Gemengelage in Bautzen und Umgebung machen sich die Nazis zunutze, um gezielt zu agitieren und sich breit und stark zu machen. Mir kommt es nicht darauf an, Bautzen als “rechtes Nest” darzustellen und anzuprangern. Vielmehr finde ich es gut, dass die gesamte Problematik jetzt einmal hochkocht, dass ein Bewusstsein dafür entsteht und die Leute aufwachen und sich vielleicht tatsächlich mal langfristig etwas bewegt.

Es gibt bereits diverse Initiativen in Bautzen, Sachen, Ostdeutschland und Gesamtdeutschland, die engagiert gegen Rechtsextremismus vorgehen. Dieser Gedanke wurde vor kurzem auch im Zusammenhang mit meinem Blogpost und meinen Posts bei Twitter und Facebook an mich herangetragen. Natürlich sollen diese Initiativen nicht unsichtbar gemacht und ihre Mitarbeiter nicht desillusioniert werden. Ich denke aber, dass diesen engagierten Menschen mit einem gesteigerten Bewusstsein für ihr generelles Anliegen mehr und grundsätzlicher geholfen ist, als wenn man nur ihre Arbeit feiert.

Und deswegen folgt jetzt hier ein weiterer Text, der von Alltagsrassismus in Bautzen handelt. Nachdem nämlich meine Stadträtinnen-Cousine ein von Bautzenern viel kritisiertes Interview gegeben hat, wurde sie von einer gemeinsamen Freundin verteidigt, die ihre These bestätigt, dass man es mit einem ausländischen Äußeren in Bautzen schwer hat, und zwar nicht erst seit ein paar Jahren, sondern auch schon in den 80ern. Diese Freundin hat eine Mutter aus einem Dorf bei Bautzen und einen indischen Vater. Nach dem sie zunächst in Indien aufwuchs, kam sie in den 80er Jahren dann nach Bautzen und machte am Schiller-Gymnasium ihr Abitur. Nach dem Studium in Dresden verließ sie Deutschland Mitte der 90er, um an der London School of Economics zu studieren. Seit einigen Jahren lebt und arbeitet sie nun als Politologin in Durham, England.

Ich habe sie gebeten, von ihren Erfahrungen in der Lausitz zu berichten und möchte Euch ihre Gedanken nicht vorenthalten:

Ich bin 1986 als Teenagerin in die DDR gekommen und habe Deutschland 1995 verlassen. In der damaligen DDR herrschte definitiv Ignoranz, was mit der Ghettoisierung von Ausländern zu tun hatte. Ich war z.B. erstaunt, dass “die Fijis” nicht von den Fiji-Inseln kamen sondern F-ietnamesen waren. 🙂 In meiner Familie gab es natürlich viele Ausländer (mein Vater, mein Onkel aus Kammbodscha, US-Verwandtschaft, indische Verwandtschaft in Westdeutschland) und es gab auch “Sonderfälle”, wie bei Schippers (Geburtsname meiner Stadträtinnen-Cousine, Anmerkung d. Red.) und Opels und Kretschmars… Aber woanders sah es düster aus.

Ich wurde oft gefragt, ob wir in Indien nur Bananen aßen, ob wir Schuhe hatten, ob es Schulen gab. Ok – Unwissenheit. Aber eben auch viel Intoleranz und Herabschauen auf das, was nicht “deutsch” war. “Bist du ein Indianer?” habe ich oft gehört. Später, im Studium, kamen Kommentare wie “Du siehst zu türkisch aus.” Das Problem mit Rassismus ist, dass es oft sehr subtil ist. Man fühlt es, ohne dass es ausgesprochen werden muss.

Was ich stark gemerkt habe – und weswegen ich lieber in England lebe – ist, dass nicht Integration erwartet wird (was beidseitig ist), sondern Assimilierung. Man soll eben zur Deutschen mutieren. Damit kann man Identitäten “verschlucken”. Dass Ausländer, die wie ich den Zwang zur Assimilierung gespürt haben, in Wut geraten, wundert mich nicht.

Noch ein Beispiel aus dem Ort: “Wieso dürfen Schwarze in der deutschen Fussballmannschaft mitspielen?? Das sind doch keine Deutschen…” Es gibt also diese beiden Welten: Die waschechten Nazis, die von der 30ern träumen und von einem Deutschland, das nie war. Und die tagtägliche Intoleranz, die alles, was nicht zur “Einheitskultur” passt, als Bedrohung ansieht. Man traut sich nicht mehr, “man selbst zu sein.

Es ist eine komplexe Geschichte. Deutschland konnte lange keine zivilgesellschaftliche Strukturen aufbauen. Es kamen die Repressionen der DDR hinzu, die Arroganz gegenüber dem so genannten Ostblock und eine Blindheit der Welt gegenüber. Nach dem zweiten Weltkrieg war Deutschland am Boden und der Marshall-Plan war der Kern der Rettung. Aber das ist vergessen und was blieb, ist das Gefühl der Obermacht.

Ich denke schon, dass die Intoleranz in Deutschland weit verbreitet ist und nicht nur ein Problem der Politik ist. Es ist ein Problem der Gesellschaft, die sich wenig mit sich selbst auseinandergesetzt hat. Ausländer und andersartige Menschen sind Zielscheiben und Projektionsflächen für eine Gesellschaft, die sich mit der eigenen Geschichte nicht so richtig auseinandergesetzt hat.

Egal warum, es tut Minderheiten weh. Als Teil einer Minderheit bin ich also lieber in einer Gesellschaft und nicht in einer Gemeinschaft. Lieber liberal 🙂 Und genau da bin ich früher angeeckt und würde es heute noch tun. Übrigens habe ich vor einigen Jahren fünf Monate in Frankfurt verbracht. Es war nicht viel besser! Aber der Osten hat schon ein ganz anderes Päckchen zu tragen. Nur, dass diese Last auf ausländische Schultern gelagert wird, geht nicht!

Dieses ganze Bautzen-Ding

Ich habe in den letzten Tagen sehr viel Zeit damit verbracht, mir Gedanken über Bautzen zu machen, in Erinnerungen zu kramen, Online-Kommentare zu lesen, mit Leuten auf Facebook, im Büro und auf dem Balkon zu diskutieren und was bleibt ist eine große Ratlosigkeit – weniger darüber, woher die Probleme rühren, als darüber, wie sich die Situation verbessern lässt.

Bautzen
In den ersten 19 Jahren meines Lebens habe ich am Rande einer Siedlung am Rand eines Dorfes kurz hinter (oder vor) Bautzen gelebt. Meine Familie führt seit 87 Jahren ein Geschäft in Bautzen, nur wenige Meter vom Kornmarkt entfernt. Meine Familie ist sehr groß und weit verstreut. Sie umfasst, so vermute ich, einige Vertreter der “besorgten Bürger”, sie umfasst Anwohner, die Angst vor der Gewalt vor Ort haben, sie umfasst eine Stadträtin, die sich für Flüchtlinge einsetzt, sie umfasst eine der diesjährigen Abiturient*innen des Sorbischen Gymnasiums, deren Schulkamerad*innen einerseits bei Parties von Rechten bedroht werden, andererseits aber auch Unterschriftenlisten gegen Flüchtlingsunterkünfte verteilen.

Vor zwei Jahren war ich auf einem Klassentreffen meiner alten Grundschulklasse. Da gingen gerade die Diskussionen über Flüchtlingsunterkünfte im Landkreis hoch her. Ein ehemaliger Klassenkamerad schlug vor, doch einfach mal an einer von denen vorbei zu fahren und bisschen Stunk zu machen und ich bin bis heute nicht sicher, ob das ein sarkastischer Scherz oder tatsächlich ernst gemeint war.

Ich denke dieser Tage oft zurück an meine Schulzeit in Bautzen und an meine damals beste Freundin, die gemeinsam mit ihren Geschwistern nach und nach immer mehr Freunde mit rechtem Gedankengut hatte. Obwohl sie selbst dieses Weltbild nicht teilte, führte diese Entwicklung mit dazu, dass wir uns nach und nach aus den Augen verloren. Ich war nicht mehr mit ihrem Freundeskreis kompatibel und ihr Freundeskreis nicht mit mir. Ich erinnere mich an einen letzten Versuch.

Ich war da, um sie und ihr Baby zu besuchen und wir hatten einen netten Nachmittag mit ihren Geschwistern, wie früher. Bis der Vater des Kindes auftauchte und anfing, mich mit rechten Parolen zu provozieren und mir Hitler-Reden von CD vorzuspielen, um mich zu ärgern. Ich war 18 und glaubte daran, mit Argumenten etwas ausrichten zu können. Recht schnell merkte ich, dass uns die Grundlage fehlte, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Diskutiert mal mit jemandem, der schon widerspricht, wenn man sagt, dass alle Menschen Menschen sind, die Würde und die gleichen Rechte haben. Ich weiß noch, dass mich der Nachmittag sehr aufgebracht hat, dass ich froh war, als meine Mutter mich abholen kam (nix mit vernünftigen Nahverkehr und für Fahrrad war es zu weit) und dass ich entsetzt war, wie meine Freundin und ihre Geschwister einfach gar nichts gesagt hatten oder sich sogar noch über die Situation und meine Hilflosigkeit darin amüsiert hatten.

14 Jahre später sind die Freundin und ich (wieder) befreundet. Sie ist vom Vater des damaligen Babys getrennt, der zwar angeblich kein Nazi mehr sei, auf Facebook aber immer noch rechte Parolen verbreitet. Sie hat noch zwei weitere, jüngere Kinder und mitunter Angst, mit denen in dieser Stadt spazieren zu gehen, in der es jederzeit zu Zusammenstößen zwischen Rechten und Asylbewerbern oder Rechten und Linken kommen kann.

Ihr 14-jähriger ältester Sohn ärgert sich ebenso wie meine 21-jährige Cousine, die wenige Meter vom Kornmarkt aufgewachsen ist, scheinbar vor allem über die Unruhe in der Stadt. Beide posteten in den letzten Tagen auf Facebook über Ihre Wut über die Situation in Bautzen. Beide positionierten sich dabei weder rechts noch links. Und das ist für mich irgendwie das Erschreckende. Genau wie schon vor 14 Jahren scheint man in Bautzen entweder offen rechts zu sein, oder sich herauszuhalten. Wer gegen die Rechten spricht, tut das nicht wegen deren Gesinnung und Menschenbild, sondern weil sie den Frieden in der Stadt stören.

Sicher gibt es auch Ausnahmen, gibt es linke, alternative Stimmen in der Stadt und politische Aktionen, die für ein offenes und buntes Bautzen arbeiten. Die überwiegende Mehrheit verschließt aber ihre Augen vor den rechten Strukturen, hält linke und rechte “Eventbetonte” und das “örtliche Trinkerklientel” (Zitate aus Polizeiberichten) für gleich schlimm und möchte am liebsten alle störenden Elemente aus ihrer Stadt verbannen. So bereiten sie den Nährboden für noch mehr Fremdenhass und Gewalt und geben den Rechten Macht über die Stadt. Die freuen sich natürlich über dieses gefundene Fressen und statuieren ein Exempel für weitere Städte.

Ich glaube auch vielen Bautzenern nicht, die sich jetzt über die Aufmerksamkeit für ihre Stadt aufregen und betonen, dass dort eben nicht nur Rechte ihre “Meinung” äußern, sondern auch viele “normale Bürger” dies tun. Gestern geriet ich auf dem Facebook-Profil des Teenager-Sohns meiner Freundin in eine Diskussion mit jemandem, der mir auf meine Argumente bezüglich der Nazis und Rassisten in der Stadt unterstellte, ich würde wohl die BILD-Zeitung lesen (Ich! die BILD!). Wir tauschten sehr zivilisiert Argumente aus und ich hatte tatsächlich Spaß an der Unterhaltung. Und dann lief es wie damals vor 14 Jahren aus dem Ruder:

Er sagte, die Asylbewerber würden sich nicht integrieren. Ich wies ihn darauf hin, dass Integration ein Prozess ist, an dem beide Seiten arbeiten müssten und holte die Duden-Definition des Begriffs hervor. Integration ist die “Einbeziehung und Eingliederung in ein größeres Ganzes”, die “Verbindung einer Vielheit von einzelnen Personen oder Gruppen zu einer gesellschaftlichen und kulturellen Einheit”. Man kann sich nicht allein integrieren, man wird integriert, muss aber dazu natürlich auch bereit sein. Seine Antwort war (sinngemäß): “Nein, Integration heißt Anpassung. Das ist Fakt.” Wieder einmal fehlte die gemeinsame Basis, um überhaupt diskutieren zu wollen. Es ist, als würde man sagen: “2+2 ist 4, deswegen ist…” und der andere sagt: “Nein, 2+2 ist 3, das ist Fakt.”

Er sagte auch: “Die wollen sich ja leider nicht integrieren.” Ich erzählte dann davon, wie der Hase und ich hier in Berlin guten Kontakt mit einer syrischen Familie haben, gemeinsam kochen und essen, mit den Jungs zum Fußball oder ins Museum gehen und trotz differierender Meinungen in manchen Punkten die Gemeinsamkeiten und das gegenseitige Wohlwollen dominiert. Dass dieses Einbinden die Basis für Integration sei. Mein Vorschlag an ihn war, doch mal ein paar der Asylbewerber auf einen Kaffee einzuladen, oder mit ihnen Fußball oder Computer zu spielen. Die Antwort: “Das ist das Letzte, was ich tun würde, ich bin doch nicht lebensmüde!”

Und da saß ich dann fassungslos vorm Bildschirm, genau so sprachlos wie vor 14 Jahren. Ich verstehe Veselin, der seinen Blog aufgibt, weil er an den Strukturen in Bautzen und Sachsen verzweifelt und nicht als linksalternatives Feigenblatt dienen möchte – wenige Tage nachdem er in einer Serie Neu-Bautzener vorgestellt hatte, die begeistert von ihrem Leben in der Stadt berichteten. Ich verstehe Robert, der gerade wieder zurück in die alte Heimat gezogen ist und jetzt nicht mehr bereit ist, Bautzen gegen Kritik zu verteidigen.

Ich hoffe, dass meine Stadträtinnen-Cousine die Kraft haben wird, weiter zu kämpfen. Ich hoffe, dass Wege gefunden werden, die Situation zu verbessern, damit weder meine Freundin und ihre Kinder, noch meine Cousine Angst haben müssen, durch die Stadt zu gehen. Ich hoffe vor allem, dass wir nicht bald mit noch schlimmeren Nachrichten aus Bautzen leben müssen und dass niemand, der in Deutschland Schutz vor Terror und Vertreibung sucht, in Bautzen genau das wieder erleben muss.

Und ich hoffe, dass es endlich ein Umdenken in der Politik gibt. Dass jede einzelne Beleidigung und Straftat geahndet wird. Dass die Verbreitung menschenverachtender Parolen und die organisierte Provokation nicht länger geduldet oder gar akzeptiert wird. Dass der Staat durchgreift und seine Macht ausübt und dass die angeblich so “normalen” Bürger endlich aufstehen und Gesicht zeigen.

Und wer bitte erlaubt es diesen Nazis, ein Bautzen nur für die Deutschen zu fordern, wenn die Stadt die Hauptstadt der Sorben ist? (An dieser Stelle stellt Euch einen Gernot-Hassknecht-mäßigen Rant vor, der am Ende aufgrund der Anzahl der Kraftausdrücke ausgeblendet wird…)

Tagebuch-5 im Juni 2016: Syrisches Essen und Rücken

Es ist mal wieder der 5. und wie jeden Monat fragt Frau Brüllen wieder: WMDEDGT?

Es ist heiß in Berlin. Gegen 10 wachen wir auf und stehen auch recht bald auf, da wir zum Mittagessen in Neukölln verabredet sind. Duschen, Zähneputzen, Anziehen, Katzen füttern… Zum Frühstück für uns gibts es einen schnellen Smoothie aus Pfirsichen, Aprikosen, Erdbeeren, Bananen und Eiswürfeln.

Smoothie

Dann gehen wir los zur S-Bahn und fahren mit der Ringbahn zum Treptower Park. Hier müssen wir in den Bus umsteigen und kaufen in einem Späti an der Bushaltestelle schnell noch eine Wassermelone. Ich trage sie ein paar Schritte lang (hauptsächlich um später sagen zu können: “Ich habe eine Wassermelone getragen.”), merke aber schnell, dass das meinem bereits schmerzenden Rücken nicht so richtig gut tut.

Melone

Wir fahren weiter nach Neukölln zu unseren syrischen Freunden. Gemeinsam mit einem befreundeten Paar sind wir dort heute zum Essen eingeladen. Während wir auf die beiden anderen warten unterhalten wir uns mit den Gastgebern über ihre Sprachfortschritte. Gerade der Vater ist erstaunlich weit, besonders im Lesen und Schreiben, weniger im Sprechen. Er spricht außer Syrisch und Englisch auch ganz gut Französisch und Spanisch, kein Wunder, dass er mit dem Deutschen so gut vorankommt. Leider wird er trotz sehr guter Leistungen in der Sprachschule eher zurückgehalten als gefördert und ist sehr enttäuscht darüber. Auch die beiden Jungs verstehen uns jetzt schon deutlich besser, aber sie sprechen trotzdem größtenteils Englisch mit uns, während wir versuchen, möglichst auf Deutsch zu antworten. Sprachpraxis ist schließlich alles. Im Fernsehen läuft Panda, Gorilla & Co., das ist schonmal ein guter Schritt 😉

Ich blättere durch die Lehrbücher aus der Sprachschule, finde sowas ja generell immer spannend. Als eines der Bücher droht, zu Boden zu fallen, beuge ich mich schnell vor, um es zu retten. Ab diesem Moment sind meine Bewegungen nur noch sehr eingeschränkt möglich und tun größtenteils weh. Die Kombination aus temperaturbedingtem Flip Flops tragen, Schwimmen am Donnerstag, Kieser Training am Samstag, Melone tragen und dieser plötzlichen Bewegung scheint meiner Lendenwirbelsäule mal wieder den Rest gegeben zu haben.

Da wir zu siebt und damit ein Stuhl zu wenig in der Wohnung vorhanden ist, setzt unsere Freundin auf dem Couchtisch. “Ist das OK?” fragt sie. Ihr Freund witzelt: “Klar ist das OK, die Ms. sind doch Christen, da ist alles OK.” T. reagiert prompt lachend: “Yes, we’re not Daesh!”

Mit Mühe schaffe ich es vom Sofa an den Esstisch. G. serviert heute gefüllte geschmorte Zucchini, die sehr interessant gewürzt sind und mit den Fingern gegessen werden, außerdem einen Gericht aus Zuckerschoten und Hackfleisch mit Reis. Zum Nachtisch gibt es unsere Melone sowie zwei verschiedene Süßigkeiten. Kleine runde Pfannkuchen werden an einer Seite zusammengedrückt wie Tüten. Die andere Seite wird gefüllt – einmal mit einer Creme und gehakten Pistazien, einmal mit Walnüssen. Über beide Varianten wird flüssiger Honig gegossen. Irgendwann zeigt G. mir, wie man das alles zubereitet, hat er versprochen.

Zucchini

Zuckerschoten

Syrisch

Walnuss

Pistazie
Während des Essens beginnt es draußen zu Donnern. Die drei Syrer zucken zusammen, bei ihnen löst das Geräusch Erinnerungen an Bomben in Damaskus aus. Sie erzählen uns in wenigen nüchternen Worten, was sie gesehen haben – viele viele Tote, darunter Freunde, Nachbarn, Kollegen, Kinder auf dem Schulweg… Es ist schwer, dazu etwas zu sagen, mehr als unser Mitgefühl und Verständnis auszudrücken, können wir nicht tun. Der Moment geht schnell vorüber und dann scherzen wir schon wieder und reden über die Arbeit. Unser Freund hat einen neuen Job bei einer Firma, die mit “IS…” anfängt, auch das wieder ein Anlass für ein wenig Galgenhumor.

Nach dem Essen lege ich mich und meinen Rücken ein wenig auf den Fußboden, in der Hoffnung, dass die Schmerzen doch noch nachlassen und ich mit den anderen zum Fußball gehen kann. Sie wollen zum Auswärtsspiel von TeBe beim BSV Hürtükel, hier um die Ecke. Leider macht mein Rücken da nicht mit – ich kann mich nicht gerade auf den Beinen halten. Also beschließe ich, stattdessen nach Hause zu fahren. Wir verabschieden uns alle gemeinsam von G. und bedanken uns für das tolle Essen. Auf dem Weg die Treppe hinunter merke ich, dass es illusorisch ist, mit Bus und Bahn nach Hause zu fahren – jede Treppenstufe ist eine Qual und solange ich stehe, muss ich gebückt bleiben, alles andere tut zu sehr weh.

Also nutze ich die Gelegenheit, endlich mal die myTaxi-App auszuprobieren. Die anderen gehen los zum Spiel und ich setze mich vor die Haustür und warte die fünf Minuten, bis mein Taxi da ist. Der Fahrer ist Türke und wir fachsimpeln über Fußball, den heute beginnenden Ramadan, Ischias-Nerven, Taxifahren in Berlin, die Flüchtlingssituation, den Krieg in Syrien und die Politik Erdogans. Bis auf den letzten Punkt sind wir uns sehr einig über alles, aber er ist überzeugt davon, dass Erdogan kein Diktator ist und die Medien sowohl hier als auch in der Türkei nicht die Wahrheit sagen. Nunja, in meiner Situation möchte ich mich nicht streiten und er bekommt natürlich trotzdem ein gutes Trinkgeld von mir.

Berlin
Ich schleppe mich zuhause die Treppen hoch, bringe meinen neuen Laptop, ein paar Bücher und etwas zu trinken zum Sofa und lege mich hin, eigentlich in der Hoffnung heute nicht noch einmal aufstehen zu müssen. Meine Eltern haben mir das Manuskript für ihr nächstes Buchprojekt geschickt, dass ich jetzt lese und kommentiere. Dabei merke ich schon, dass das Sofa für meine Situation suboptimal ist: Die Katzen lagern um mich herum und schränken meine Bewegungsfreiheit zusätzlich ein. Ich muss aber ab und an mal die Position wechseln, was so nicht gut möglich ist. Ich überlasse den Katzen also den Rest der Wohnung und verziehe mich aufs Bett im Schlafzimmer. Viel besser!

Ich schaue auf Netflix Blue Valentine und dann mehrere Folgen House of Cards. Irgendwann zwischendurch kommt der Hase mit unserem heutigen Übernachtungsbesuch nach Hause, der von einem Wochenendtrip nach Riga zurückgekommen ist und erst morgen weiter nach Hause fährt. Da ich immer noch liegen muss, schauen die beiden alleine einen Film und bringen mir zwischendurch noch ein wenig aufgewärmte Reis-Gemüse-Pfanne.

House of Cards
Solange ich liege, geht es mit den Schmerzen einigermaßen, ich hoffe also, morgen wieder einigermaßen beweglich zu sein. Ansonsten wird wohl diese Woche, ähnlich wie der heutige Tag, ganz anders ablaufen müssen als geplant…

 

Die sorbische Reconquista

Seit drei Wochen lerne ich nun (wieder) Sorbisch und da ich sowohl auf Twitter als auch im echten Leben schon gefragt wurde, warum ich das tue, die Antwort aber nicht in 140 Zeichen oder einen Satz passt, habe ich mir gedacht, ich blogge einfach darüber.

Tatsächlich gibt es auf diese Frage drei sehr verschiedene Antworten – eine linguistische, eine persönliche und eine politische.

 

Die linguistische Antwort

Die oberflächlichste ist, dass ich gerne Sprachen lerne, relativ sprachbegabt bin und schon des Öfteren einmal “einfach so” angefangen habe, Sprachen zu lernen. Zu Schulzeiten war das Niederländisch, während der Uni Schwedisch und jetzt im Arbeitsleben Spanisch. Englisch und Französisch gab es in der Schule gratis dazu und Italienisch ergab sich durch Urlaub, familiäre Beziehungen und schließlich die Liebe. Vielleicht war es, da in Liebesdingen nun seit über 3,5 Jahren wieder Deutsch gesprochen wird, einfach Zeit für eine neue Herausforderung für meine innere Linguistin?

Allerdings musste ich bisher feststellen, dass Erfolgserlebnisse anders als bei den germanischen und romanischen Sprachen beim Sorbisch lernen leider deutlich seltener gesät sind. Das Sorbische hat drei Geschlechter und sieben Fälle, in denen Substantive und Adjektive dekliniert werden müssen. Hinzu kommt neben dem Singular und dem Plural auch noch der Dual und für manche Wörter gibt es evangelische und katholische Übersetzungen sowie weitere regionale Varianten, etwa für (völlig überraschend) die Kartoffel, die bei evangelischen Sorben běrna, bei katholischen Sorben nepl und bei den Sorben rund um Schleife kulka heißt.

Zwischen all den Endungen und Konsonantenwechseln fallen die Konjugationen der Verben dann ja kaum noch ins Gewicht, aber all das will erstmal im Kopf ankommen und verarbeitet werden und sollte ich diesen Zustand irgendwann einmal erreicht haben, dann war das ja auch erst die Gegenwart. Ich gehe mal davon aus, dass mich später noch diverse Zeitformen und Modi ereilen werden. Heidewitzka, bzw. owowow und ajajaj! 🙂

Jedenfalls muss man sich diesen grammatikalischen Grundstock erst einmal zurechtzimmern, bevor man ganz entspannt Konversation betreiben oder Texte lesen kann und das ist, wie ich höre, wohl bei allen slawischen Sprachen so. Allerdings wurde mir heute auch gesagt, dass es beim Englischen z.B. ja so sei, dass es immer schwerer wird, je länger man es lernt (Kann ich bestätigen: Selbst wenn ich persönlich da inzwischen sämtliche grammatischen Hürden genommen habe und im Schlaf anwenden kann, lerne ich doch in der täglichen Arbeit immer noch komplizierte Redewendungen und x-silbige juristische Begriffe hinzu.) Beim Sorbischen hingegen (oder invece, wie der Italiener sagt), gäbe es erst einen steilen Berg (obersorbisch hora) zu erklimmen, bevor es dann angeblich leichter würde. Im Moment jedenfalls befinde ich mich noch ganz am Fuß dieses Berges und wenn ich nicht noch andere Motivationen als das linguistische Interesse hätte, würde ich meine Zeit vermutlich eher für die Vervollkommnung anderer angefangener Sprachen verwenden.

 

Die persönliche Antwort

Zum Glück gibt es ja aber noch andere Motivationen. Ich bin in der (Ober-)Lausitz aufgewachsen und mütterlicherseits zu einem Sechzehntel Sorbin. Meine Oma hat in ihrem Elternhaus noch Sorbisch gesprochen, meine Mutter und ihre Geschwister haben es nur noch in der Schule gelernt. Bei meinem Bruder und mir blieb dann nur noch etwas Grundschulsorbisch übrig, auch weil es später auf dem Gymnasium nicht angeboten wurde (wobei es in Bautzen auch ein Sorbisches Gymnasium gibt, auf das jetzt zumindest meine Cousine geht). Nun kann man sich vorstellen, dass Sorbisch-Unterricht in der 4. Klasse nicht besonders effektiv ist. In der ersten Klasse war ich mit der Lehrerin allein, weil niemand sonst in meiner Klasse Sorbisch lernen wollte. Die anderen hatten also nach der 4. Stunde Schluss, während ich noch mit der Lehrerin im Lehrerzimmer hockte. Ein paar Vokabeln habe ich da durchaus mitbekommen, aber noch nicht wirklich etwas von Grammatik, darauf war das Lehrbuch bei Erstklässlern gar nicht ausgelegt.

In der zweiten bis vierten Klasse gab es dann jahrgangsübergreifenden Sorbischunterricht, so dass wir irgendwann, meine ich, zu viert und später sogar zu fünft oder sechst waren – aber eben auf völlig unterschiedlichen Lernniveaus und mit den neuen Erstklässlern waren auch immer Kinder dabei, die noch nicht lesen konnten. Dafür haben wir relativ viel über die sorbische Kultur gelernt, durften Sprachspiele in der sorbischen Kinderzeitschrift Płomjo machen und Ausflüge zu sorbischen Veranstaltungen machen. Ich erinnere mich, in der 4. Klasse auf einem Kulturfestival (?) in Radibor ein Gedicht vorgetragen zu haben, dessen Inhalt mir kaum bekannt war. Aber ich konnte es auswendig und bestimmt war meine Aussprache total super.

Auch wenn sprachlich also nicht allzu viel bei rumkam, wurde ich so doch zumindest ein wenig für die sorbische Kultur und Geschichte sensibilisiert und war stolz auf die Zweisprachigkeit meiner Region. Nie wäre es mir in den Sinn gekommen, über Sorben zu lästern oder ihnen zu unterstellen, sie sprächen nur Sorbisch, um nicht verstanden zu werden – solche Vorurteile hörte ich mitunter durchaus von Deutschen. Meine Eltern waren außerdem mit zwei sorbischen Familien (bzw. einer sorbischen und einer sorbisch-kirgisischen) befreundet, so dass ich auch ab und an mal Alltagssorbisch hören konnte, was in der Lausitz trotz offizieller Zweisprachigkeit nicht so oft vorkommt, es sei denn man hält sich in den entsprechenden sorbischen Dörfern oder im Umfeld von sorbischen Schulen auf. In Bautzen auf der Straße hörte ich eigentlich fast immer Deutsch.

Ich fand es immer ein wenig schade, dass dieser Aspekt meiner Familiengeschichte ein wenig untergegangen war. Besonders bewusst wurde mir das, als letztes Jahr meine Oma starb, nachdem sie in den letzten Jahren immer dementer geworden war. Im Alter werden ja die Kindheitserinnerungen wieder präsenter und gerade demente Menschen wechseln ja in ihrem Bewusstsein relativ unverhofft zwischen ihren verschiedenen Lebensphasen hin und her. Meine Oma begann jedenfalls in ihren letzten Tagen, immer öfter Dinge auf Sorbisch zu sagen und niemand verstand sie. Meine Tante hat dann das “Gedicht”, dass meine Oma deklamierte mit dem Handy aufgenommen und dem (sorbischen) Pfarrer der Kirchengemeinde vorgespielt. Der identifizierte es sofort als das Vater Unser und kurz danach stellte er fest, dass meine Oma einen sorbischen Dialekt sprach, den er schon seit vielen Jahrzehnten nicht mehr gehört hatte – in unserem Dorf und der Umgebung ist das Sorbische nämlich wirklich so gut wie ausgestorben. Auch ich habe meine Oma nie Sorbisch reden hören.

Auf ihrer Beerdigung wurde das Vater Unser dann jedenfalls auf Sorbisch gebetet. Ich selbst bin Atheistin und lese normalerweise nur still mit. Den deutschen (und englischen) Text kenne ich trotzdem auswendig. Vom Sorbischen erkannte ich genau ein Wort: Amen. OK, nach näherem Nachdenken kam mir auch noch naš (unser) bekannt vor und der Hase, der in der Schule Russisch hatte, erkannte chlěb (Brot).

Edit: Jetzt mit der korrekten evangelischen Fassung, die ursprüngliche aus der Wikipedia kopierte war katholisch und kann hier nachgelesen werden (wo die evangelische Fassung inzwischen auch ergänzt wurde).

Wótče naš, kiž sy w njebjesach.
Swjećene budź twoje mjeno.
Přińdź k nam twoje kralestwo.
Twoja wola so stań
kaž na njebju, tak tež na zemi.
Naš wšědny chlěb daj nam dźensa.

A wodaj nam naše winy,
jako my wodawamy našim winikam.
A njewjedź nas do spytowanja,
ale wumóž nas wot złeho.
Přetož twoje je kralestwo a móc
a česć hač do wěčnosće.
Hamjeń.

Irgendwie machte es mich traurig, dass meine Oma die Sprache ihrer Kindheit scheinbar verlernt hatte, oder sie zumindest nicht an ihre Kinder und Enkel weitergeben wollte. In den Wochen und Monaten vor und nach ihrem Tod habe ich versucht, möglichst viel von ihr in meinem Alltag wieder präsent zu machen. Ich habe die Schafwollsocken herausgeholt, die sie uns immer gestrickt hat und trage sie nun jede Nacht. Und ich habe gekocht – Quarkkeulchen und Pflaumenknödel. Aber das ist die Oma meiner Kindheit, die die Deutsch sprach. Ans Sorbische ihrer Kindheit habe ich mich erstmal noch nicht wieder herangewagt.

 

3. Die politische Antwort

Das kam erst, als ein Bekannter über Twitter einen privaten Sorbischkurs hier in Berlin initiierte und ich mich spontan anschloss. Da kamen neben dem linguistischen und persönlichen Interesse sowie der einfach guten, unkomplizierten Gelegenheit noch eine politische Motivation hinzu. Die Lausitz hat sich ja in den letzten Wochen nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Bisher kam ich im gesamtdeutschen Zusammenhang ja immer noch ganz gut damit weg, dass ich eben aus der Lausitz komme und nicht aus Sachsen (ein Gefühl, dass ich seit frühester Kindheit habe, während viele meiner Bautz’ner Freunde sich als Sachsen sehen – evtl. ist das auch das sorbische Erbe in mir?). Als dann aber ausgerechnet in Bautzen ein zukünftiges Asylbewerberheim angezündet und auf lange Zeit unbrauchbar gemacht wurde, während der braune Mob das bejubelte und teilweise sogar die Polizei bei den Löscharbeiten behinderte, da war es aus mit der schönen Herausrederei. Was hilft es, sich auf die schöne, zweisprachige Heimat zu berufen, wenn man die zweite Sprache nicht spricht? Völlig abgesehen, dass auch zwischen Sorben und Deutschen bei weitem nicht alles so in Ordnung ist, wie es mein Sorbischbuch aus DDR-Zeiten suggerierte und die Touristenbroschüren verbreiten.

Je brauner die Heimat wurde, desto schwieriger fiel es mir in den letzten Jahren, mich mit mir zu identifizieren (zumal ich ja auch noch einige andere Heimat-Anwärter in meiner Biographie mir mir herumtrage, in einem davon wohne ich sogar). Und um so trötzer (um mal Olaf Schubert zu zitieren) wollte ich die Zweisprachigkeit, die Bikulturalität dieser Heimat betonen. Dem braunen Mob nicht das Feld überlassen. (Was nicht heißen soll, dass nicht auch Sorben etwas gegen Geflüchtete haben können…)

Also nun: Sorbisch lernen gegen deutschen Einheitsbrei, für Rückbesinnung auf die eigene Geschichte und auf das relative Zusammenleben verschiedener Kulturen. Die Motivation meiner Mitlernenden und des so idealistisch und ehrenamtlich Lehrenden ist ähnlich, politisch und humoristisch liegen wir auf einer Wellenlänge. So entstehen zum Üben so schöne Sätze wie “Ich gebe der Katze mit der Hand Suppe.” oder “Ich spreche wegen der grünen Flasche mit dem Frosch.” oder “Der Pfarrer schlägt die beiden sorbischen Frauen mit der Rute.” Nunja…

 

Besonders schön ist neben dem Lernen dann auch das ganze Geplänkel drumherum. Die sorbische Community ist klein, im Grunde kennt jeder jeden und so höre ich vieles über die Hintergründe des sorbischen Medien- und Kulturbetriebs. Zudem gibt es ganz nebenbei Lektionen in sorbischer Geschichte und Literatur (wir befinden uns mit unserem privaten Sorbischzirkel in sehr guter Tradition), zur Sprachpolitik, zu Germanismen im Sorbischen (z.B. farar, der Pfarrer) und Bezüge zu anderen slawischen und/oder Minderheitensprachen. Und dazu die Lausitzer Sprachfärbung, die jeden dieser Abende zu einem kleinen Heimaturlaub macht (und mit Sächsisch zum Glück nicht allzu viel zu tun hat).

Heute haben wir das Ganze dann noch mit sorbischer Osterdekoration und dem sorbischen “Nationalgericht” (Quark mit Leinöl und Pellkartoffeln) auf die Spitze getrieben. Dabei wurden zwei Bio-Leinöle verkostet – eins aus dem Spreewald und eins aus einer Kreuzberger Ölmühle. Unser Lehrer erzählte dann noch vom hohen Leinölverbrauch bei ihm zuhause, was mich wieder einmal ermunterte, noch viel mehr Rezepte mit Leinöl auszuprobieren – ein passendes Kochbuch dafür habe ich schon.

Und wenn dann alle, die es verlernt haben, wieder Sorbisch können und die deutschen Lausitzer in der Zwischenzeit alle ausgewandert oder weggestorben sind, dann, ja dann holen wir uns die Łužica zurück und teilen sie gerne mit Geflüchteten aus aller Welt – Platz genug ist ja.

Blogger für Flüchtlinge – Unbeholfen helfen im #LaGeSo

Am Mittwoch habe ich endlich einmal ganz konkret und nicht nur mit Worten (oder dem Button und Link rechts an der Seite) den Refugees geholfen. Trotzdem tue ich mich schwer damit, hier darüber zu schreiben, denn ich habe nicht das Gefühl, genug getan zu haben, nicht einmal für die kurze Zeit, die ich vor Ort am LaGeSo war. Allerdings finde ich es wichtig, auch davon zu erzählen, schon alleine um andere zu inspirieren. Und nur weil mein erster Versuch nur so halb befriedigend war, muss das ja nicht heißen, dass es der letzte bleibt.

Mein Einsatz war das Ergebnis einer Aktion meines Arbeitgebers. Wir bekamen ein Kontingent an “Mannstunden”, wie es im deutschen Business-Leben heißt, dass wir darauf verwenden konnten, helfen zu gehen. Die Aktion selbst ist freiwillig, aber da sich sofort so viele Kollegen meldeten, blieben für jeden einzelnen zunächst nur zwei Stunden übrig – ob es nochmal ein zusätzliches Kontingent gibt, wird sich zeigen. Ich legte mir meine zwei Stunden ans Ende des Arbeitstags, um flexibel zu sein und gegebenenfalls länger bleiben zu können. Wir wurden zentral angemeldet und mir wurde gesagt, ich wäre zur Essensausgabe eingeteilt.

Als ich dann vor Ort ankam (und erst einmal das Haus R, in dem der Verein Moabit hilft und die anderen Helfer agieren, finden musste), stellte ich dann schnell fest, dass unsere firmeninterne Organisation und die der Situation vor Ort wenig kompatibel waren. Denn natürlich richtet sich der Bedarf an Helfern nicht unbedingt an den Möglichkeiten und Vorlieben eines Wirtschaftsunternehmens aus. Obschon ich zur verabredeten Zeit vor Ort war, war die nachmittägliche Essensausgabe gerade beendet und die für das Abendbrot sollte erst beginnen, wenn meine Schicht endete. So gab es gerade keine größeren Aufgaben und die Helfer vor Ort ruhten sich eigentlich gerade ein wenig aus, tauschten sich aus und tranken einen Kaffee oder rauchten eine Zigarette. Erst nach mehreren Anläufen fand ich jemanden, der mich ein wenig herumführte, mir alles erklärte und mir zeigte wo ich mich registrieren sollte. Aber zu tun gäbe es im Moment wirklich nichts für mich. Ich sollte mich einfach bereithalten und auf einen “Helfer”-Ruf warten.

So klebte ich mir also einen Zettel mit meinem Namen an und stand dann eine ganze Zeit lang einfach nur herum und beobachtete das Geschehen, hörte den Helfern zu und sah, wie die Schlange an Refugees, die nach warmer Kleidung anstanden immer kürzer wurde. Diese wenigen Personen konnten von den bereits involvierten Helfern gut “abgefertigt” werden, die sich ja vor allem auch schon besser auskannten als ich. Dann endlich kam mein erster kurzer Einsatz, als zwei Leute mit einem Auto voller Kleidungsspenden auftauchten, das wir ausladen konnten. Ich hoffte, nun vielleicht mit sortieren zu können, aber da kamen mir schon andere Helfer zuvor. Erstaunt beobachtete ich, wie schnell ein gerade angenommener Koffer schon wieder den Weg zu den Refugees fand. Auch ein Kinderwagen wurde aufgepumpt und abgegeben, sowie Spielzeug an die vielen wartenden Kinder verteilt.

Ich kam mit einem der anderen Helfer ins Gespräch, der mich ermunterte, nicht abzuwarten, bis mich jemand konkret ansprach, sondern ganz aktiv sofort anzupacken, wenn mir etwas zum Anpacken auffiele. Ich blieb dennoch zögerlich, denn zum Einen war das ganze eine gut geölte Maschine, bei der jeder Handgriff zu sitzen schien, zum Anderen schienen viele der Helfer längst mit der Materie vertraut und unermüdlich, so dass ich das Gefühl hatte, meine Hilfe eher aufzudrängen. Als dann aber endlich der Ruf zur Vorbereitung der Essensausgabe kam, witterte ich meine Chance und machte mich mit einer Gruppe Helfer auf zum Essenszelt. Hier wurde uns erklärt, auch welchen Wegen die Refugees durchs Zelt gelotst würden. Sobald wir das Zelt betreten hatten, begann sich draußen eine Schlange zu bilden. Es sollte noch sehr sehr lange dauern, bis das Essen ankam. In der Zwischenzeit füllten wir unzählige Bubble Tea-Becher mit Wasser und teilten uns auf die verschiedenen Stationen auf. Und warteten und warteten. Draußen wurde der Andrang immer größer und immer wieder schauten Kinder zu uns herein und lachten. Ich unterhielt mich kurz mit einem Syrer aus der Nähe vom Homs, der in Moskau studiert hatte, jetzt mit seiner Familie nach Deutschland gekommen war und es sehr schade fand, dass ich kein Russisch konnte. Er erzählte mir, dass er die letzte Nacht auf der Straße geschlafen hatte und das wohl auch diese Nacht wieder tun würde und dass es schon sehr kalt, aber machbar sei.

Dann kam das Essen endlich. Es wird vom Freunde der Jugend und Familie e.V. zubereitet und zum LaGeSo gebracht. An diesem Abend gab es Reis mit Gemüse und Gulasch. Ca. 1300 Portionen wurden in kürzester Zeit an die Refugees verteilt – jeden Tag werden es mehr Portionen, was gut ist, denn auch die 1300 Portionen reichten nicht aus, um alle satt zu machen. Verständlicherweise kam es dadurch natürlich auch zu Unmut, gerade wenn Leute Essen für andere Familienmitglieder mitnehmen wollten, oder wegen großen Hungers nach einer zweiten Portion fragten. Die anderen Helfer erzählen, dass es durchaus nicht ungewöhnlich ist, dass Refugees bei der Ausgabe leer ausgehen.

Nach dem Ende der Essensausgabe wurde das Zelt aufgeräumt und ich machte mich auf den Heimweg, vorbei an vielen Refugees, die sich vor den Toren des LaGeSo auf eine lange Nacht einstellten, vorbei an Müll, der herumlag und vorbei an älteren Berlinerinnen, die sich über den Dreck aufregten. Ich ließ meine Erfahrungen Revue passieren. Zum Beispiel war ich erstaunt darüber, wie viele der Helfer selbst kein Deutsch konnten, aber Arabisch oder Farsi sprachen. Eine Helferin war vollverschleiert, aber ansonsten überhaupt nicht klischeehaft – sie alberte mit männlichen Helfern herum und rangelte in einer Pause spielerisch mit einem der Anderen. Ich wunderte mich auch darüber, welch gute Laune im Allgemeinen vorgeherrscht hatte, trotz der unzumutbaren Bedingungen vor Ort. Gleichzeitig war es ernüchternd, zu sehen wie kaltherzig man manchmal sein musste, um sicherzustellen, dass möglichst gerecht verteilt würde.

Mir wurde auch klar, wie schwer es ist, eine Organisation von lauter Freiwilligen am Laufen zu halten und dabei halbwegs strukturiert zu arbeiten. Zum Beispiel hat die Essensausgabe ein ausgeklügeltes System, das aber mal mehr, mal weniger gut umgesetzt wird, je nachdem, ob die anwesenden Helfer das System bereits kennen, oder vielleicht gerade zum ersten Mal da sind. Ich lernte, dass es bessere Zeiten gibt, als den späten Nachmittag, um helfen zu gehen – gerade morgens, tagsüber und später am Abend ist deutlich mehr zu tun. Und ich weiß jetzt, dass ich beim nächsten Mal nicht mehr wie gelähmt dumm herumstehen werde, sondern mir meine Arbeit suchen werde.

Wenn Ihr auch helfen wollt, schaut Euch auf den Seiten von Moabit hilft und den anderen Organisationen um, das Internet ist voll von Möglichkeiten, einen Beitrag zu leisten. Am komfortabelsten ist natürlich eine Spende, denn das Geld wird definitiv immer und überall gebraucht und ermöglicht die Hilfe überhaupt erst. Blogger für Flüchtlinge hat dafür zum Beispiel eine Spendenseite bei Betterplace eingerichtet: