Farbcodes und blinde Flecken, Nostalgie und 1000 Fragen

Heute habe ich auf Arbeit an einem Respectful Workplace Training teilgenommen. Der interessanteste Teil davon war, dass uns Situationen präsentiert wurden, die wir per Farbcode einschätzen sollten – Grün für unproblematisch, Gelb für potenziell kritisch und Rot für ein “No-No” (das Ganze fand auf Englisch statt). Aus den individuellen Einschätzungen ergaben sich dann spannende Diskussionen, deren Grundtenor war: Es kommt halt immer auf die Umstände und den Kontext an, trotzdem ist es wichtig, sich der Tatsache bewusst zu sein, dass jeder Mensch in jeder Situation andere persönliche Schwellen hat, ab denen es für ihn*sie problematisch wird und deswegen dann besonders im professionellen Kontext (aber natürlich auch überall sonst) mit Bedacht zu kommunizieren. In den allermeisten Punkten war meine Einschätzung konform mit der der Trainerin, ich glaube ich bin durch fast 11 Jahre Twitter schon ziemlich gut sensibilisiert. 😉 Interessant war es dann, diese Thematik mit in die Pause zu nehmen und Kolleg*innen davon zu berichten, die nicht am Training teilgenommen hatten. Der Farbcode fand dann sofort auch in den Pausengesprächen Anwendung und da musste ich dann feststellen, dass trotz aller Sensibilisierung auch ich blinde Flecken habe – mindestens ein Gelb und sogar ein Rot (allerdings ging es dabei um keinen der üblichen -ismen) wurden mir berechtigterweise entgegengebracht und ich bin da sehr dankbar für, da es mich wachsam und achtsam hält.

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Heute vor genau 23 Jahren besuchte ich nach der Schule eine Klassenkameradin und wir sahen uns das folgende Video (natürlich auf VHS) an, das mich sofort, nachhaltig und für immer in Sachen Street Credibility versaut hat. Was soll ich sagen: 23 Jahre später bin ich noch da, die Band ist noch da, und auch dieses Jahr werde ich sie wieder live sehen, da hilft es auch nicht, dass mein erstes selbstgekauftes Album Planet Punk von Die Ärzte war.

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Nach einer ganzen Woche täglichen Bloggens gibt es dann heute endlich die nächste Runde der 1000 Fragen.

Der Jawl fasst die Erklärung bei sich immer schön zusammen:

Die Fragen stammen übrigens übrigens ursprünglich mal aus dem Flow-Magazin, Johanna von pink-e-pank.de hat daraus eine persönliche Blog-Challenge gemacht und Beyhan von my-herzblut.com hat das PDF gemacht.

 

121. Gibst du der Arbeit manchmal Vorrang vor der Liebe?

Beides ist schon vorgekommen, manche Zeiten verlangen, dass man die Arbeit über der Liebe etwas vernachlässigt, manche Zeiten verlangen auch mal das Gegenteil. Zum Glück war ich nie in der Situation, mich ganz absolut für eines von beiden entscheiden zu müssen, das stelle ich mir sehr schwer vor (zumindest in meiner Situation, in der ich eben auch meinen Job sehr liebe).

 

122. Wofür bist du deinen Eltern dankbar?

Dafür, relativ behütet und sorgenfrei aufgewachsen zu sein. Dafür, dass ich mein Studium und die erste Zeit danach dank ihrer Unterstützung unbelastet von finanziellen Zwängen leben und mich ausprobieren konnte (und nach meinen Interessen studieren konnte, ohne mich von wirtschaftlichen Überlegungen einschränken zu lassen). Dafür, dass sie in jeder Situation bedingungslos für mich da sind und zu mir stehen. Und für die seltenen Momente, in denen sie einsehen, dass ich spätestens jetzt mit Mitte 30 auch einfach Entscheidungen treffen darf, ohne dass sie diese gutheißen müssen 😉

 

123. Sagst du immer, was du denkst?

Fast immer. Es gibt Situationen, in denen es besser ist, die Klappe zu halten, gerade im beruflichen Kontext. Im Privaten hingegen nehme ich meist kein Blatt vor den Mund und das Leben beweist mir immer wieder (zum Beispiel in den letzten paar Tagen sehr deutlich), dass das das richtige Vorgehen ist.

 

124. Läuft dein Fernsehgerät häufig, obwohl du gar nicht schaust?

Nein. Manchmal nutze ich gleichzeitig auch noch einen Second (Handy) oder gar Third Screen (Laptop oder Tablet), aber wenn mich das, was der Fernseher zeigt so wenig interessiert, dann mache ich ihn einfach aus, ich brauche ihn nicht als Hintergrundrauschen.

 

125. Welchen Schmerz hast du nicht überwunden?

Da gibt es tatsächlich mehrere. Solche, die schon viele Jahre zurückliegen und solche, die erst in den letzten paar Monaten und Jahren hinzukamen. Das wird auch eine Aufgabe für die nächste Zeit, mich damit intensiv auseinanderzusetzen.

 

126. Was kaufst du für deine letzten zehn Euro?

Was zu essen.

 

127. Verliebst du dich schnell?

Ja, nicht immer ernsthaft und nicht immer nachhaltig, aber das Grundgefühl erreiche ich sehr schnell.

 

128. Woran denkst du, bevor du einschläfst?

Meistens lese, höre oder schaue ich dabei etwas, damit ich eben gerade nicht denke, sonst wird es schwer mit dem Einschlafen. Ansonsten ist natürlich alles im Zusammenhang mit Frage 127 immer gern genommen. Oder Urlaubserinnerungen.

 

129. Welcher Tag der Woche ist dein Lieblingstag?

Es war lange der Sonnabend (ausschlafen UND lange aufbleiben und dann auch noch so viel freie Zeit!), dann lange der Dienstag (während des Studiums, Club-Programm-bedingt). Seit einigen Jahren habe ich da aber keinen Favoriten mehr und selbst Montage jagen mir keinen Schrecken ein.

 

130. Was würdest du als deinen grössten Erfolg bezeichnen?

Gut durchs Leben gekommen zu sein, ohne mich allzu sehr zu verbiegen oder von Schicksalsschlägen gebrochen zu werden.

 

Warum singen mich gesund macht oder Reise in die Vergangenheit

Nach dem Konzertbesuch neulich und besonders seit dem konspirativen Musizieren am Mittwoch musste ich wieder öfter an meine Chor-Vergangenheit denken, in der solche musikalische Zusammenkünfte zu meinen regelmäßigsten Freizeitbeschäftigungen gehörten. War das schön damals! Nun muss man wissen, dass ich eigentlich mit einem großen dicken Vorurteil gegenüber Chören aufgewachsen bin. Die Chormusik, die ich kannte, fand ich weitestgehend langweilig. Und die Chorleute, die ich kannte, kamen immer ziemlich sektenmäßig rüber. Das mag daran gelegen haben, dass die einzigen Chorleute, die ich bewusst wahrnahm, die von Ten Sing waren, einem kirchlich angehauchten Chorprojekt, aus dem bei uns zuhause z. B. Silbermond hervorgingen. Das wirkte von außen immer wie eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich relativ undurchlässig nach außen hin abgrenzte und untereinander eine Friede-Freude-Eierkuchen-Gemeinschaft lebten, die mir irgendwie suspekt vorkam. Ein paar Jahre später gehörte ich dann zu genau so einer eingeschworenen Gemeinschaft, nur ohne den kirchlichen Aspekt. Die Gründe dafür? Freundschaft, Musik und Alkohol…

Wir schreiben das Jahr 2004 und ich studiere in Rostock. Die beste Kolleginnenfreundin (damals noch beste Kommilitoninnenfreundin) und ich gehen mindestens einmal pro Woche abends zusammen in unserem Lieblingsclub tanzen. Seit sie vor ein paar Monaten angefangen hat, in einem Chor zu singen, sind immer öfter auch verschiedene Chormitglieder dabei, die ebenfalls zu Freunden werden. Nach und nach entwickelt sich eine gewisse Routine: Montags Filmabend bei dem Freund, von dem ich bald erfahre, dass er der Chorleiter ist. Dienstags Tanzen im Club. Mittwochs Kneipenabend in der Chor-Stammkneipe und entweder donnerstags, freitags oder sonnabends nochmal Tanzen, je nach aktuellem Clubprogramm. Es sind übrigens Semesterferien, während des Semesters waren wir unter der Woche meist nur einmal tanzen… 😉 Jedenfalls, da Semesterferien sind, finden keine Chorproben statt, wohl aber die Nachprobenabende in der Kneipe. So lernen mein damaliger Freund und ich nach und nach den halben Chor schon auf freundschaftlicher Basis kennen, ohne jemals einer Probe beigewohnt zu haben. Bei den Abenden ist immer eine Gitarre dabei und irgendwann wird gesungen – Gassenhauer aus “Das Ding“, ein paar der Chorlieder (I Will Sing Hallelujah, Your Shining Eyes, Lift Your Head Up High…) und am Ende des Abends immer Nothing Else Matters in der Akustikversion inkl. jedes einzelnen Gitarrentons.

Am Ende der Semesterferien sind mein Freund und ich weichgeklopft und ab der ersten Chorprobe sind wir dabei. Ich weiß noch genau, dass wir an jenem ersten offiziellen Abend das bereits genannte I Will Sing Hallelujah endlich richtig lernten, außerdem Money Money Money von ABBA und You’re The One That I Want vom Grease-Soundtrack. Und nach der Probe ging es natürlich wieder in die Stammkneipe. Ab da gehörten wir endgültig dazu und für die nächsten 2-3 Jahre bestimmten der Chor und seine Mitglieder einen großen Teil meiner/unserer Freizeitgestaltung und weite Teile des Freundeskreises. Egal, was man geplant hatte – für jede Aktivität fanden sich Leute, die mitmachten. Zu den offiziellen Chorproben, Kneipenabenden, Chorfahrten, Probentagen und Konzerten kamen diverse Spieleabende, Filmabende, Parties aller Art, Grill-Sessions am Strand und im Stadthafen, Ausflüge zu Konzerten nach Stralsund oder Berlin… Dazu kam unser Forum auf der Chor-Webseite sowie ICQ und Co., über die wir miteinander kommunizierten, wenn wir uns nicht sahen.

Aber eigentlich sahen wir irgendjemanden aus dem Chor ohnehin jeden Tag. Mein damaliger Freund und ich wohnten sehr zentral in Rostock und so war unsere Wohnung oftmals der Treff- und Ausgangspunkt – mal geplant, mal spontan – für diverse Aktivitäten. Es gab eine Zeit, in der es täglich um ungefähr die gleiche Zeit klingelte und wir einfach nur noch die Tür öffneten. Eines der Chormitglieder wohnte quasi bei uns, weil wir ein Klavier hatten. Und eine Gitarre. Und eine Ukulele. Es bedurfte keiner Begrüßung oder Bedienung mehr, sie waren bei uns einfach zuhause, wussten wo alles war und gehörten quasi zum Inventar der Wohnung. Ich habe jede Menge tolle Leute über diesen Chor kennengelernt und einige davon gehören auch heute noch zu meinen engsten Freund*innen.

Aufgelöst hat sich das Ganze für mich irgendwann nach und nach, als sich auch der Rest meines Lebens änderte. Mit dem Freund war Schluss, irgendwann war ein neuer da. Ich lebte in einer WG, lernte neue Leute kennen und verbrachte sehr viel Zeit auf Konzerten, Festivals und in anderen Clubs als dem alten Stammclub. Eine Zeit lang ging ich noch regelmäßig zu den Proben, dann irgendwann nur noch unregelmäßig, dann nur noch zu den Kneipenabenden und irgendwann hörte auch das auf. Es hat halt alles seine Zeit. Und so ein Studierendenchor hat eine hohe Fluktuation. Menschen ziehen weg, neue kommen dazu, außerdem gibt es natürlich wie in jeder größeren Clique den einen oder anderen Konflikt aufgrund von geschlossenen und wieder gelösten Beziehungen einzelner… Irgendwann war es einfach nicht mehr das, was es mal war.

Heute aber habe ich mir die alten Noten nochmal vorgeholt. Mir ist nämlich in der letzten Zeit wieder bewusst geworden, wie gut mir dieses gemeinsame Musik machen tut. Und das Singen im Allgemeinen. Gestern und vorgestern war ich lange zu Fuß in der Stadt unterwegs und da ich meine Kopfhörer gerade irgendwie versaubeutelt habe, musste ich mir selbst was vorsingen. Da fallen mir dann oft die alten Chorlieder ein – Bohemian Rhapsody und Don’t Stop Me Now natürlich, aber auch viele andere, die ich nicht wie diese aus dem Stegreif auswendig zusammenbekomme. Deswegen also heute nochmal das Herausholen und Absingen des gesamten Repertoires – der Hase war nicht da und die Katzen sind mittlerweile relativ resistent meinem schiefen Gesang gegenüber. Und wieder einmal merkte ich: Singen ist gesund und wirkt ausgleichend und aufmunternd auf mich. Daher freue ich mich sehr auf die nun folgende Woche, in der ich nicht nur Besuch von meiner Musikstudentinnencousine bekomme, mit der ich bestimmt das eine oder andere Liedchen schmettern werde, sondern auch noch eine lustige Karaoke-Runde angesetzt ist. Denn wie sangen schon die Wise Guys:

Wenn die Luft aus der Lunge Richtung Kehlkopf fließt,
wenn das Stimmbandsystem alles gut verschließt,
wenn die Stimmlippen mitwippen, bis sie richtig schwingen,
bezeichnet man den Vorgang allgemein als ‘Singen’.
Der Kehlkopf ist dabei der Tongenerator,
die Stimmbänder sind gewissermaßen der Vibrator.
Über sechzig Muskeln geben Gas,
doch das Allerbeste: Singen macht Spaß!

Sing!
Sing mal wieder –
Bach-Choräle, Pop oder Kinderlieder!
Sing (Sing mit)!
Band oder Chor,
oder sing dir in der Dusche selbst was vor.
Sing!
Sing wenn du verlierst!
Singen hilft immer. Aber nur wenn du’s probierst.
Sing (Sing mit)!
Auch wenn du gewinnst,
sing auch dann, wenn alle Leute denken, dass du spinnst.

Wer nicht schön singen kann – na, der singt halt laut,
denn die Hauptsache ist, dass man sich was traut.
Nur mit Scheuklappen rumtappen? Was soll das denn bringen?
Mach’ dich einfach locker und fang an zu singen!
Wer singt, bei dem kann man ohne Sorge pennen,
weil böse Menschen eben keine guten Lieder kennen.
Das Singen, das öffnet dir Tor und Tür.
Und manche Leute kriegen sogar Geld dafür…

Sing!
Sing mal wieder –
Rock, Punk, Soul oder Weihnachtslieder!
Sing (Sing mit),
Singen ist gesund!
Sperr die Ohren auf und benutz deinen Mund.
Sing!
Sing wenn du gewinnst!
sing, wenn alle Leute denken, dass du spinnst.
Sing (Sing mit)!
Auch wenn du verlierst,
Sing deinen Frust weg, bevor du explodierst.

Sing im Stadion,
sing im Friseursalon,
sing in der Warteschlange,
sing trotz Zahnarztzange!
Sing im Abendrot,
sing auf’m Segelboot,
sing, wenn du spontan verreist,
sing, außer wenn du Dieter Bohlen heißt!
Sing, wenn du bei ‘ner Taufe bist,
sing, wenn die Taufe schon gelaufen ist,
sing zur Beförderung,
sing auch bei ‘ner Beerdigung!

 

Zwei legendäre Abende

Ich habe ja noch gar nicht richtig von den letzten beiden Abenden erzählen können, die jeder für sich genommen und in ihrer Gesamtheit ziemlich legendär waren. Die richtigen Menschen zur richtigen Zeit gemeinsam am richtigen Ort waren das.

Es begann am Dienstagabend mit dem Geburtstag meiner Mama, bei dem außer dem Hasen und mir mehr so Leute der Elterngeneration waren – Verwandte ebenso wie alte und vergleichsweise neue Freunde. Es gab gutes Essen und guten Wein und ziemlich schnell drehten sich die Gespräche um Vergangenes. Gemeinsame Erinnerungen von Menschen, die sich seit über 40 Jahren (und teilweise über 60 Jahren) kennen. Der Hase und ich konnten uns bequem auf dem Sofa zurücklehnen und einem ganz besonderen Schauspiel beiwohnen.

Es ist ja so eine Sache mit der Erinnerung: Sie ist subjektiv, selektiv und mitunter auch schlicht und ergreifend spekulativ. Da sitzen also Menschen beisammen, die vor 45 Jahren eine (oder zwei?) Reisen zusammen unternommen haben und als Rucksacktouristen durch Bulgarien getrampt und in den dortigen Hochgebirgen gewandert sind.

Aber da fängt es schon an: Waren denn alle auf beiden Reisen dabei? Oder hat diejenige Recht, die steif und fest behauptet, nur ein einziges Mal in Bulgarien gewesen zu sein? Und zu welchem der männlichen Mitreisenden gehörte eigentlich “die anstrengende Freundin”, an die sich alle erinnern? Wer hat wann wo weswegen gekotzt? Wer schlief mit wem in welchem Zelt? Und als sie nach dem Regen mit den Schäfern zusammen am Feuer saßen, wurde da ein Schaf frisch geschlachtet oder hatte jemand rohes Fleisch im Rucksack dabei? Und dann waren da doch in dieser Massenunterkunft diese beiden Schwulen, die die ganze Nacht über Sex hatten, so dass ein Mitreisender, der sich mit ihnen ein großes Bett teilte, nicht schlafen konnte? Wann war das nochmal und wo? Und wie sind sie da hingekommen? Und wer war nochmal dabei? Am Ende wird das Fotoarchiv zur Hilfe genommen, das natürlich längst digitalisiert ist. Die Fakten scheinen nun klar, aber die Erinnerung sagt trotzdem etwas ganz anderes… Was ist wahr?

Das war alles wirklich sehr, sehr amüsant anzusehen, gerade auch wegen der bestehenden Geschwister- und Liebesbeziehungen und der Art, wie sich diese auf die Gesprächsdynamik und Wahrheitsfindung auswirkten. Wir haben alle Tränen gelacht. Übrigens waren Filmschaffende unter den Gäst*innen. Solltet Ihr ähnliche Szenen also demnächst im Fernsehen sehen, dann wisst Ihr, woher die Inspiration kam… Was mir dabei noch aufgefallen ist: Anscheinend hatten meine Eltern eine viel wildere Jugend als ich selbst, ich sollte da evtl. dringend nochmal was nachholen!

Deswegen traf es sich auch sehr gut, dass ich am Mittwochabend direkt zu einem kleinen konspirativen Treffen geladen war, bei dem in der Ecke eines Fensters oben links im Großraumbüro (Kenner wissen) mit wenigen Handgriffen ein Lounge-Bereich in einen Probenraum verwandelt wurde. Schlagzeug, Bass, zwei Gitarren, Percussion-Spielereien… alles da.  Und dann wurde da bis kurz vor Mitternacht musiziert, wobei mir vor allem eine beobachtende Rolle zukam. Aber wer mich kennt weiß: Wenn die Musik nicht so laut wär, dann wär sie auch nur halb so schön. Und wenn irgendwo Lieder gespielt werden, die ich mag, dann muss ich da auch mitsingen. Zum Glück wurde das von den Profis enthusiastisch begrüßt und die Gitarre war auch so laut, dass die schiefen Töne einfach verschluckt wurden.

So ging es kreuz und quer durch die Musikgeschichte – von Bob Marley über Rage Against the Machine und Nirvana bis zu Oasis, Die Ärzte, Fools Garden und Silbermond. Selbst ein katholisches Kirchenlied wurde von den drei anwesenden Katholik*innen verpunkt und zu Gehör gebracht, während die vier anwesenden Nichtkatholik*innen (samt Hund) etwas ratlos durch die Gegend schauten. Besonders schön war auch, wie auf der Suche nach neuem Liedgut die Inspiration mal aus der einen, mal aus der anderen Ecke kam. Mal war es eine Bassline, mal ein Gitarrenriff, mal ein Drumbreak, das von den anderen erkannt und aufgenommen wurde. Nicht immer wusste ich sofort, um welchen Song es gehen sollte, aber einige habe ich dann doch als einzige mehr oder weniger sofort erkannt und mitgesungen, etwa den “Schunder-Song” und “Hurra” von Die Ärzte oder “Durch die Nacht” von Silbermond.

Am Ende hatte fast jeder mal am Schlagzeug gesessen und auch Bass und Gitarren wechselten regelmäßig die Besitzer. Und ich wusste mal wieder, dass ich zwar nicht wirklich gut singen kann (besonders in schwierigen Tonlagen, in denen ich innerhalb einer Strophe ständig die Oktave wechseln muss, um die Töne halbwegs zu erreichen), aber dabei wirklich unglaublich viel Spaß habe – zumindest wenn die Musik und die Begleitung stimmen. Zum Glück ist die nächste Runde bereits angesetzt und vorher treffe ich alle Beteiligten schon nächste Woche in der Karaoke-Kabine wieder ❤

6 Monate und 1000 Fragen

Auch der heutige Tag war für mich noch sehr Couch-lastig, aber das sind Sonntage ja fast immer – das Krankheitsgefühl von gestern ist jedenfalls schon wieder deutlich weniger geworden.

Highlight des Tages war der Besuch einer lieben Freundin und ihres 6 Monate alten Babys. Es gab ein spätes Mittagessen aus Pasta mit Pilzen und Tomatensauce und später leckeren Kaffee und Kuchen aus dem Stammcafé, was der Hase dankenswerterweise für uns alle holte. Ansonsten wurde viel erzählt und Baby bespaßt. Die Katzen blieben relativ gelassen ob des kleinen Besuchers und auch das Baby selbst ließ sich von ihnen nicht besonders beeindrucken. Ansonsten wurde aber alles mögliche bequietscht, befühlt und besabbert – wie sich das gehört. Bevor das Baby uns zum nächsten Mal besucht, werden wir die Wohnung wohl krabbelsicher machen müssen.

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Auf Twitter machte nochmal ein alter Text von mir zu Bautzen die Runde (inkl. Erfahrungsbericht einer in den 80ern und 90ern vom Rassismus in der Stadt Betroffenen) und meine Tante schickte ein schönes hippieesques (und wohl nicht von mir zu veröffentlichendes) Foto von meinem Onkel, das sie beim Digitalisieren alter Schätze gefunden hatte.

Ansonsten war aber heute wie gesagt nicht viel los, deswegen haue ich mal die nächsten zehn der 1000 Fragen an mich selbst in die Runde.

Der Jawl fasst die Erklärung bei sich immer schön zusammen:

Die Fragen stammen übrigens übrigens ursprünglich mal aus dem Flow-Magazin, Johanna von pink-e-pank.de hat daraus eine persönliche Blog-Challenge gemacht und Beyhan von my-herzblut.com hat das PDF gemacht.

 

21. Ist es wichtig für dich, was andere von dir denken?

Bei den allermeisten Leuten nicht besonders, das habe ich mir über die Jahre abtrainiert. Bei einigen wenigen allerdings schon und dann meist sogar besonders doll.

 

22. Welche Tageszeit magst du am liebsten?

Darüber habe ich noch nie so genau nachgedacht. Der frühe Morgen ist es definitiv nicht. Am Produktivsten bin ich wahrscheinlich am späten Vormittag und frühen Nachmittag (sofern ich nicht zu viel zum Mittag gegessen habe), aber das ist ja nicht die Frage. Abende und Nächte können natürlich auch sehr super sein und mittags gibts meist was Leckeres zu essen (also während der Woche). Es ist schwierig. An freien Tagen sind es glaube ich die Nachmittage, an Arbeitstagen die Abende?

 

23. Kannst du gut kochen?

Kommt immer auf die Vergleichsgruppe an. Ich koche gerne und experimentiere auch gerne und meistens schmeckt es auch ziemlich gut.

 

24. Welche Jahreszeit entspricht deinem Typ am ehesten?

In jeder Hinsicht der Sommer. Es gab doch mal diese Einteilung in Jahreszeitentypen, was Kleidung angeht, da war ich sehr eindeutig ein Sommertyp. Der Sommer ist aber auch meine absolute Lieblingsjahreszeit (Licht, Wärme, ein langsameres Tempo, reifes aromatisches Obst und Gemüse, lange Abende, Leichtigkeit…) und könnte für mich auch immer ewig dauern. Insofern war der letztes Jahr schon ganz schön gut, auch wenn ich leider viel davon aus Gründen verpasst habe.

25. Wann hast du zuletzt einen Tag lang überhaupt nichts gemacht?

Ich mache nie nichts. Selbst wenn ich den ganzen Tag nur rumliege konsumiere ich Medien aller Art.

26. Warst du ein glückliches Kind?

Im Großen und Ganzen ja. Ich komme aus einem heilen Elternhaus, bin im Grünen aufgewachsen, meine Bedürfnisse wurden immer befriedigt und ich hatte viel Freiheit in meiner Freizeitgestaltung – egal ob ich jetzt im Wald rumstreunern, lesen oder fernsehen wollte. Nur ein bisschen ab vom Schuss war es, so dass ich sozial oft auf die Fahrdienste meiner Eltern oder eben auf die Kinder in der Umgebung angewiesen war, die dann irgendwann nicht mehr so ganz zu mir passten. In der Schule war ich auch immer eher Außenseiterin, was zu Trotzreaktionen führte, die bis heute anhalten. Etwa, dass ich mich eigentlich nie verstelle, dass ich gerne ganz bewusst etwas anders bin, dass mir egal ist, was Andere über mich denken (s. o.), dass ich mich so manchen Schönheitsidealen und Konventionen verweigere… Und ich habe oft das Gefühl, nicht wirklich dazu zugehören bzw. die Angst, etwas zu verpassen oder ausgeschlossen zu werden. Hat auch nicht nur Vorteile, kann ich Euch sagen. Besser wurde das übrigens so mit 15-16, da habe ich die anderen Außenseiter*innen gefunden, mit denen ich gemeinsam anders sein konnte und mit denen ich auch heute noch größtenteils eng befreundet bin. Im Nachhinein betrachtet also eine ganz schöne Klischeekindheit 😉

 

27. Kaufst du oft Blumen?

Nein. Etwa 2-3 mal im Jahr als Geschenk für jemanden und etwa 2-3 mal im Jahrzehnt für mich selbst, würde ich sagen.

28. Welchen Traum hast du?

Die kommen und gehen. Begraben ist unter anderem der, auf einem Segelschiff zu leben und damit um die Welt zu reisen. Aktuell gibt es ein paar Ansätze für einen Traum, aber keinen konkreten, den ich unbedingt umsetzen möchte.

29. In wie vielen Wohnungen hast du schon gewohnt?

Erst etwa 6 Wochen in einer Wohnung hier um die Ecke, dann etwa 19 Jahre in einem Haus in der Nähe von Bautzen, dann etwas über 2 Jahre in einer Wohnung in der KTV in Rostock, etwas über ein Jahr in einer anderen Wohnung in der KTV in Rostock (unterbrochen von knapp 3 Monate in einem Keller-Apartment in Toronto), dann etwas über 2 Jahre in einer Wohnung im Bahnhofsviertel in Rostock, dann etwas über 5 Jahre in einer Wohnung in Mitte und jetzt seit etwas über 5 Jahren in dieser Wohnung im Prenzlauer Berg. Macht inkl. Haus und Keller-Apartment 8.

30. Welches Laster hast du?

Definiere Laster 😉 Am meisten Suchtpotenzial haben in meinem Leben die sozialen Medien und Serien. Außerdem bin ich sehr neugierig. Die Kombination von Neugier und sozialen Medien ist vielleicht tatsächlich ein Laster 😉

#ithasien – Italien-Roadtrip 2018 – Tag 8: Piadine in Bertinoro, Regen in San Benedetto, Lasagne im Bett

Trotz oder gerade wegen der bis in die frühen Morgenstunden andauernden Feierei auf den Straßen Bolognas schliefen wir ziemlich lange und standen erst nach 10 Uhr auf. Unsere Gastgeberin bereitete uns Eier und Toast zum Frühstück zu, dann verabschiedeten wir uns von ihr und ihrer Tochter. Auf ihren Rat hin holten wir uns noch zwei Stücken Lasagne für später in einem Imbiss in ihrer Straße und verließen Bologna dann in Richtung Bertinoro.

Ich begab mich sozusagen auf meine eigenen Spuren von vor 8 Jahren. Damals war ich nämlich schon zweimal in Bologna und Umgebung. Mit meinem damaligen Freund (langjährige Blogleser*innen werden sich erinnern) besuchte ich seine ehemaligen Kommiliton*innen erst zu einer Silvesterfeier und später im Jahr zu einer Hochzeit. Beim ersten Mal machten wir damals einen Abstecher zu einem legendären Piadina-Imbiss und genau das wollte ich diesmal auch tun, um dem Hasen die echte Küche der Romagna näherzubringen. Ich fragte also den lieben Herrn Ex nochmal nach der genauen Location und dann fuhren wir da einfach hin.

In den acht Jahren hat sich nicht besonders viel verändert, aber zum Glück gab es inzwischen überdachte Sitzplätze – es regnete nämlich gar sehr. Auch wie damals bestellten wir eigentlich zu viel. Die niedrigen Preise und die große Auswahl verleiten dazu und genau wie vor acht Jahren war ich dann von der Größe der Piadine total überrumpelt. Wir hatten eine mit Speck und Käse, eine mit Pecorino, Tomaten und Rucola und eine mit Squaquerone und “siruppierten” Feigen. Danach waren wir pappsatt aber glücklich.

Unser Weg führte uns dann hinauf in die Berge, in den Nationalpark Foreste Casentinesi. Ab da ging einiges schief. Ursprünglich wollte ich dorthin, weil ich etwas tolles über einen Wasserfall gelesen hatte, der sehr beeindruckend sein soll. Leider hatte ich nicht gelesen, dass die Wanderung dorthin viereinhalb Stunden dauert. Da wir erst gegen 16 Uhr am Ausgangspunkt ankamen, es gegen 19 Uhr dunkel wird und es außerdem weiterhin in Strömen regnete, zogen wir es vor, im Auto sitzen zu bleiben, ein Hörspiel zu hören und als der Regen etwas nachließ, nur ein wenig spazieren zu gehen – soweit das auf nassen Steinen unter feuchtem, glitschigen Laub eben möglich war. Zwischendurch schaute ich nach, wann wir in unserem AirBnB einchecken könnten und musste feststellen, dass ich dieses erst für morgen gebucht hatte.

Sofort hatte ich ungemütliche Szenarien im Kopf, wie oben in den Bergen im kalten Auto übernachten zu müssen oder für teures Geld eine zusätzliche Unterkunft buchen zu müssen. Der Hase beruhigte mich aber und schlug vor, erst einmal nachzufragen, ob wir nicht einfach einen Tag früher kommen könnten. Ich telefonierte also mit unserer Gastgeberin, die allerdings gerade auf Klassenfahrt in England weilte und erst einmal mit ihrem Mann Rücksprache halten musste. Nach einer sehr langen halben Stunde rief sie mich zurück und ich sagte, es sei kein Problem. Mit einem Stein weniger auf dem Herzen trödelten wir dann also noch ein wenig im Auto herum und machten uns dann in dem einsamen Bergdörfchen San Benedetto in Alpe auf die Suche nach unserer Unterkunft. Navi und Google Maps waren sich uneins, wo sie sich befinden sollte, aber wiedermal hatte Google Maps Recht.

Unser Gastgeber begrüßte uns sehr herzlich auf Italienisch und zeigte uns unsere Wohnung in einem der ältesten Häuser des Dorfes. Nachdem wir uns eingerichtet hatten, sollten wir hinunterkommen und die Formalitäten klären. Unten empfing er uns dann mit ein paar Formularen für die Kommune (“Es gibt hier oben nunmal leider kein Internet, wir müssen das alles auf Papier ausfüllen und dann runter nach Forlì bringen.”), einer unetikettierten 1-l-Korbflasche Sangiovese, einem flachen, runden, jungen Ziegenkäse und einem Brot – “un piccolo spuntino”! Zunächst gab es also den halben Käse, die halbe Flasche Wein und ordentlich Brot dazu und ein paar Geschichten rund um unsere Ferienwohnung im ältesten Haus des Dorfes.

Dabei saßen wir im ehemaligen Alimentari seiner Großmutter. An der Decke waren noch die leeren Haken für Salami und Schinken zu sehen, die Kasse, eine Schneidemaschine für Aufschnitt und Brot, leere Olivenölfässer und Schubladen für Pasta, Mehl und Co. waren ebenfalls zu sehen – alles “original unverpackt”, damals. Unser Gastgeber war als kleiner Junge drei Jahre lang mit seinen Eltern in der Schweiz gewesen, dann war es Zeit für die Schule. Seine Mutter kehrte also mit ihm zurück ins Dorf ihrer Kindheit und zur Nonna. Der Vater hingegen pendelte noch viele Jahre zwischen San Benedetto und dem Aargau hin und her. Deutsch konnte unser Gastgeber trotzdem nicht, Englisch ebenso wenig, dafür aber Französisch. “Das haben wir damals alle in der Schule lernen müssen – ich bin ja schon älter – und heute nutzt es uns so gut wie nichts.”

Schließlich schickte er uns mit der halbvollen Weinflasche wieder nach oben, wo ja noch die Lasagne auf uns wartete. Eigentlich waren wir schon total satt, deswegen legten wir uns erstmal ein wenig aufs Bett und lasen – Internet gab es ja nicht. Irgendwann stand der Hase dann nochmal heldenmutig auf, holte Weingläser, wärmte die Lasagne auf und brachte alles ans Bett. So aßen wir das Abendbrot diesmal ganz gemütlich im Bett und konnten danach sofort schlafen.

Klassentreffen nach 15 Jahren

Beim Lesen meines Feedreaders stelle ich fest, dass die Kaltmamsell recht hat, ”’tis the season“, die Zeit der Abitur-Jubiläen und damit verbundenen Klassentreffen. Frau Nessy war gerade sehr lesenswert beim Zwanzigjährigen, bei mir sind es immerhin 15 Jahre gewesen. Wie wahrscheinlich so gut wie alle Menschen blicke auch ich mit gemischten Gefühlen auf die Schulzeit zurück und ergo auch auf anstehende Klassentreffen. Da es aber vor drei Jahren beim zwanzigjährigen Grundschulabschlusstreffen gar nicht mal so wehgetan hatte, war ich nun einigermaßen entspannt und bereit, mich dem Aufeinandertreffen zu stellen. 

Bautzen
Ich machte mir im Gegensatz zu diversen ehemaligen Mitschüler*innen nicht einmal groß Gedanken darüber, was ich anziehen sollte. Meine Meinung dazu war, dass ich sehen wollte, wer meine ehemaligen Klassenkamerad*innen heute sind, nicht als wär sie gerne rüberkommen wollten. Insofern regte ich an, sich doch bitte nicht in Schale zu werfen, sondern einfach das anzuziehen, was man auch sonst im Alltag trägt. Dass sich alle daran gehalten haben, hat mich positiv überrascht. Die Einzige, die sich extra neue Schuhe zugelegt hatte, ist auch im Alltag sehr auf stimmige Outfits bedacht, so dass das auf jeden Fall klar ging. Ansonsten gab es von kurzen Hosen und Sonnenhut bis barfuß im schwarzen Kleid geballte Individualität und Unverstelltheit, danke dafür!

Um über alle etwas zu lernen und trotzdem dem Klischee “Mein Haus, mein Auto, meine Yacht” zu entgehen, wurden drei Fragen vorgegeben. “Wo wohnst Du mit wem?”, “Womit verdienst Du Deine Brötchen” und das unsägliche “Mit welchem Auto fährst Du gerne wohin?”, das dann doch das Thema leicht verfehlte. Dankenswerterweise gab es einige, die noch das gleiche Auto aus der Abizeit fuhren oder wie ich mit Bus und Bahn unterwegs sind, aber trotzdem habe ich während der Vorstellungsrunde mehr über Autos gehört, als sonst in Monaten. (Zum Ende des Statussymbols Auto erschien heute ein erhellender Text von Modeste.) Applaus erhielt dafür die erste in der Runde, die nach ca. 20 Versionen von “mit Ehegatt*in und 1-3 Kindern” sagte, dass sie weder verheiratet sei, noch Kinder habe. Von den rund 30 Teilnehmern gab es maximal 4 ohne Kinder, die meisten Nicht-Singles waren verheiratet und ein Großteil der Gattinnen hatte den Namen des Mannes angenommen. Das mag allerdings auch daran liegen, dass ein Großteil der Teilnehmenden noch im selben Landkreis oder nur wenig entfernt davon wohnte. Möglicherweise ist die Quote bei den weiter entfernt Lebenden geringer.

Interessant war, dass ich tatsächlich alle auf den spätestens zweiten Blick direkt mit Vor- und Nachnamen zuordnen konnte und dass die Cliquen von damals auch die Cliquen von heute sind, auch wenn die Animositäten sich mittlerweile weitgehend in Luft aufgelöst haben. Wer dem Treffen aufgrund solcherlei Bedenken ferngeblieben ist oder zumindest mit dem Gedanken spielte, kann unbesorgt und beim nächsten Mal dabei sein.

Traurig war, vom Tode zweier Lehrerinnen und einer Mitschülerin zu erfahren – so früh geht es also los.

Sehr schön waren das allgemeine Wohlwollen und die Erfahrung, von Leuten, mit denen man schon in der Schule wenig zu tun hatte auf Details von früher angesprochen zu werden. Das doppelte Abiballkleid (zum Glück in einer anderen Farbe) ist ein Beispiel. Oder als mir ein damaliger Chaot und heutiger Unternehmensberater sagte, ich sähe genau wie damals aus, nur ohne Brille. Oder als ich scherzhaft auf einige frühere Situationen anspielte, in denen ich von den anderen “gedisst” wurde und sich einer der schon immer sympathischsten männlichen Mitschüler beeilte, mir zu versichern, dass er da nie mitgemacht hätte. 

Auch den Abend und den nächsten Tag mit meiner damals besten Freundin zu verbringen und trotz zwischenzeitlich jahrelanger Funkstille über so viele gemeinsame, auch und vor allem außerschulische Erinnerungen zu reminiszieren war toll, ebenso mit einer durchgehend sehr guten Freundin zwischendurch mal hinauszugehen und aktuelle Lebensereignisse auszutauschen und sich gegenseitig beim Verarbeiten des Abends zu unterstützen (alte Fehden, frühere Schwärmereien, abgekühlte Freundschaften und aufgefrischte Attraktivitätsempfindungen waren unter anderem Thema).

Am Ende bleibt bei allen Teilnehmenden (zumindest nach meinem Empfinden und den Äußerungen in der korrespondierenden WhatsApp-Gruppe) ein sehr positives Gefühl und einiger Enthusiasmus für weitere Treffen. Mal gucken, was wird.

PS: Im Gegensatz zum Grundschultreffen diesmal kein einziger als fremdenfeindlich zu interpretierender Kommentar. Mutmaßungen über den Zusammenhang zwischen Bildungsgrad und Rassismusanfälligkeit drängen sich leider auf…

PPS: Und Kuchen können sie in der Lausitz wirklich hundertmal besser als in Berlin, geschweige denn Rostock, muss neidlos anerkannt werden.

Doppeldecker-Waffeln mit Brombeer-Quark-Füllung

Waffeln

Letztes Wochenende waren wir in Leipzig und besuchten das Hasenpatenkind samt Familie. Eines der Highlights des Besuchs war das gemeinsame Waffelnbacken und -essen auf der Terrasse. Nun ist es so, dass ich mich ja an sich über jedes Waffelessen freue, dann aber doch oft enttäuscht bin. Gut schmecken sie ja meistens, aber eben nicht so, wie ich das aus meiner Kindheit kenne. Und weil ich also letztes Wochenende ein wenig herumwimmerte, dass die Waffeln zu knusprig und trocken sein, habe ich dann dieses Wochenende “richtige” Waffeln gebacken. So wie Waffeln zu sein haben. 😉

Das Teig stammt aus dem klassischen “Das Backbuch” des Verlags für die Frau, das meine Mama im Küchenregal stehen hatte und in dem ich oft fasziniert blätterte. Zwei Seitenzahlen konnte ich damals auswendig (Heute nicht mehr so ganz, aber man könnte mal auf 208 und 11 nachgucken. Oder 108 und 211? Irgendwie so…), nämlich die für unseren Plätzchenteig (“Zauberkekse”) und die für den Waffelteig (“Festtagswaffeln”). Diese beiden Rezepte habe ich mir dann auch zu meinem Auszug nach dem Abitur in so ein kleines Heftchen abgeschrieben, aus dem nach und nach mein eigenes Rezeptbuch werden sollte.

Die Zutaten konnte ich schon in recht jungen Jahren zusammenrühren und durfte dann auch ganz schnell alleine auf dem alten gelben Kontaktgrill die Waffeln backen. Da dieser keine spezielle Form hatte, sah jede Waffel individuell aus und die Größen variierten beachtlich. Für unsere Variante der Waffeln, die es so wahrscheinlich in keinem Backbuch gibt, wurden größere Waffeln halbiert und kleinere einfach so aufeinander gestapelt. Dazwischen kam jeweils eine Schicht Quarkspeise (mit Milch glattgerührter Quark vermischt mit Marmelade, typischerweise selbstgemachte Brombeer-, Johannisbeer- oder Erdbeermarmelade aus dem Garten). Diese Doppeldeckerwaffeln konnte man dann wie eine Klappstulle ganz einfach aus der Hand essen (und sich dabei herrlich mit Quarkspeise einsauen).

Die Herstellung dieser Waffeln hat etwas meditatives – erst kommt ein Klecks Teig auf den Grill, der sich dann beim Zuklappen zurechtquetscht. Dann kommt ein Klecks Quarkspeise auf die untere Waffel, der sich dann wiederum beim Zuklappen zurechtquetscht. Am Ende hatte man lauter Unikate, an deren Rand gerne mal Quarkspeise hervorquoll. Wie eine Klappstulle konnte man diese dann noch schön heiß essen und sie schmeckten wirklich sehr anders, als was ich später im Leben als “Waffeln” vorgesetzt bekam.*

Der alte Kontaktgrill hat nun schon eine ganze Weile das Zeitliche gesegnet und ich buk dann heute mit unserem standardisierten Waffeleisen in Herzchenform. Ging aber erstaunlicherweise ganz genauso gut. Glücklicherweise war der Hase dann auch ebenso glücklich über die Waffeln wie ich, obwohl er letztes Wochenende noch sagte, dass er ja vor allem knusprig gebackene Waffeln mag und diese innen drin eher weich sind. Darf und werde ich also wieder backen!

Rezept: Doppeldecker-Waffeln mit Brombeer-Quark-Füllung

Zutaten Waffelteig

  • 150 g Margarine (es ist ein DDR-Kochbuch 😉 Ich habe Butter genommen)
  • 125 g Zucker, 1 Päckchen Vanillezucker (ich habe unseren selbstgemachten Vanillezucker verwendet und direkt 150 g davon genommen)
  • 3 Eier
  • 1 Prise Salz
  • 3 geriebene Bittermandeln (Die sind nichtmal zur Stollenzeit leicht zu bekommen und Bittermandelaroma hatte ich nicht im Haus, aber ohne schmecken die Waffeln auch super!)
  • 125 g Mehl
  • 75 g Stärkemehl
  • 1/2 TL Backpulver
  • 4 EL saure Sahne

 

Zutaten Füllung

  • 500 g Quark (Es bleibt etwas übrig, aber Quarkspeise kann man ja auch super später noch essen oder weiterverarbeiten)
  • ca. 100 ml Milch zum Glattrühren
  • 3 EL Brombeermarmelade (selbstgemachte von der Tante)

 

*Die zweitbesten Waffeln meines Lebens gab es übrigens im Urlaub an der schwedisch-norwegischen Grenze, mit oberfruchtiger Erdbeermarmelade drauf!

Erfahrungsbericht: Alltagsrassismus in Bautzen

Im Zuge der ganzen Diskussionen über dieses ganze Bautzen-Ding haben sich auch einige Bekannte von mir kritisch über die rassistischen Strukturen in Deutschland und speziell in Bautzen geäußert. Speziell meine ich, weil es halt um Bautzen ging, nicht weil Bautzen zwingend rassistischer ist als andere Orte. Das glaube ich nämlich tatsächlich nicht.

In Bautzen kommt zu dem Grundrassismus, der in Deutschland und vielen anderen traditionell weißen Ländern vorherrscht, noch einiges anderes hinzu – hohe Arbeitslosigkeit, daraus resultierende Abwanderung junger Leute, Perspektivlosigkeit, ein seit Jahrhunderten eher konservatives Weltbild und manches mehr. Unter anderem auch eine verdrängte “Sorbenfrage”. Kurzer Exkurs: Ich fand zum Beispiel die These sehr spannend, dass gerade in einer Gegend, in der das sorbische Erbe über Jahrzehnte und Jahrhunderte immer wieder versteckt, marginalisiert und verdrängt wurde, eine unbewusste Überanpassung an die Identität der dominanten Mehrheitsbevölkerung zu verzeichnen ist. Beispiele dafür fanden sich auch aus anderen Ländern und ich glaube, dass sich das durchaus zu erforschen lohnt. Exkurs Ende.

Reichenturm

Diese Gemengelage in Bautzen und Umgebung machen sich die Nazis zunutze, um gezielt zu agitieren und sich breit und stark zu machen. Mir kommt es nicht darauf an, Bautzen als “rechtes Nest” darzustellen und anzuprangern. Vielmehr finde ich es gut, dass die gesamte Problematik jetzt einmal hochkocht, dass ein Bewusstsein dafür entsteht und die Leute aufwachen und sich vielleicht tatsächlich mal langfristig etwas bewegt.

Es gibt bereits diverse Initiativen in Bautzen, Sachen, Ostdeutschland und Gesamtdeutschland, die engagiert gegen Rechtsextremismus vorgehen. Dieser Gedanke wurde vor kurzem auch im Zusammenhang mit meinem Blogpost und meinen Posts bei Twitter und Facebook an mich herangetragen. Natürlich sollen diese Initiativen nicht unsichtbar gemacht und ihre Mitarbeiter nicht desillusioniert werden. Ich denke aber, dass diesen engagierten Menschen mit einem gesteigerten Bewusstsein für ihr generelles Anliegen mehr und grundsätzlicher geholfen ist, als wenn man nur ihre Arbeit feiert.

Und deswegen folgt jetzt hier ein weiterer Text, der von Alltagsrassismus in Bautzen handelt. Nachdem nämlich meine Stadträtinnen-Cousine ein von Bautzenern viel kritisiertes Interview gegeben hat, wurde sie von einer gemeinsamen Freundin verteidigt, die ihre These bestätigt, dass man es mit einem ausländischen Äußeren in Bautzen schwer hat, und zwar nicht erst seit ein paar Jahren, sondern auch schon in den 80ern. Diese Freundin hat eine Mutter aus einem Dorf bei Bautzen und einen indischen Vater. Nach dem sie zunächst in Indien aufwuchs, kam sie in den 80er Jahren dann nach Bautzen und machte am Schiller-Gymnasium ihr Abitur. Nach dem Studium in Dresden verließ sie Deutschland Mitte der 90er, um an der London School of Economics zu studieren. Seit einigen Jahren lebt und arbeitet sie nun als Politologin in Durham, England.

Ich habe sie gebeten, von ihren Erfahrungen in der Lausitz zu berichten und möchte Euch ihre Gedanken nicht vorenthalten:

Ich bin 1986 als Teenagerin in die DDR gekommen und habe Deutschland 1995 verlassen. In der damaligen DDR herrschte definitiv Ignoranz, was mit der Ghettoisierung von Ausländern zu tun hatte. Ich war z.B. erstaunt, dass “die Fijis” nicht von den Fiji-Inseln kamen sondern F-ietnamesen waren. 🙂 In meiner Familie gab es natürlich viele Ausländer (mein Vater, mein Onkel aus Kammbodscha, US-Verwandtschaft, indische Verwandtschaft in Westdeutschland) und es gab auch “Sonderfälle”, wie bei Schippers (Geburtsname meiner Stadträtinnen-Cousine, Anmerkung d. Red.) und Opels und Kretschmars… Aber woanders sah es düster aus.

Ich wurde oft gefragt, ob wir in Indien nur Bananen aßen, ob wir Schuhe hatten, ob es Schulen gab. Ok – Unwissenheit. Aber eben auch viel Intoleranz und Herabschauen auf das, was nicht “deutsch” war. “Bist du ein Indianer?” habe ich oft gehört. Später, im Studium, kamen Kommentare wie “Du siehst zu türkisch aus.” Das Problem mit Rassismus ist, dass es oft sehr subtil ist. Man fühlt es, ohne dass es ausgesprochen werden muss.

Was ich stark gemerkt habe – und weswegen ich lieber in England lebe – ist, dass nicht Integration erwartet wird (was beidseitig ist), sondern Assimilierung. Man soll eben zur Deutschen mutieren. Damit kann man Identitäten “verschlucken”. Dass Ausländer, die wie ich den Zwang zur Assimilierung gespürt haben, in Wut geraten, wundert mich nicht.

Noch ein Beispiel aus dem Ort: “Wieso dürfen Schwarze in der deutschen Fussballmannschaft mitspielen?? Das sind doch keine Deutschen…” Es gibt also diese beiden Welten: Die waschechten Nazis, die von der 30ern träumen und von einem Deutschland, das nie war. Und die tagtägliche Intoleranz, die alles, was nicht zur “Einheitskultur” passt, als Bedrohung ansieht. Man traut sich nicht mehr, “man selbst zu sein.

Es ist eine komplexe Geschichte. Deutschland konnte lange keine zivilgesellschaftliche Strukturen aufbauen. Es kamen die Repressionen der DDR hinzu, die Arroganz gegenüber dem so genannten Ostblock und eine Blindheit der Welt gegenüber. Nach dem zweiten Weltkrieg war Deutschland am Boden und der Marshall-Plan war der Kern der Rettung. Aber das ist vergessen und was blieb, ist das Gefühl der Obermacht.

Ich denke schon, dass die Intoleranz in Deutschland weit verbreitet ist und nicht nur ein Problem der Politik ist. Es ist ein Problem der Gesellschaft, die sich wenig mit sich selbst auseinandergesetzt hat. Ausländer und andersartige Menschen sind Zielscheiben und Projektionsflächen für eine Gesellschaft, die sich mit der eigenen Geschichte nicht so richtig auseinandergesetzt hat.

Egal warum, es tut Minderheiten weh. Als Teil einer Minderheit bin ich also lieber in einer Gesellschaft und nicht in einer Gemeinschaft. Lieber liberal 🙂 Und genau da bin ich früher angeeckt und würde es heute noch tun. Übrigens habe ich vor einigen Jahren fünf Monate in Frankfurt verbracht. Es war nicht viel besser! Aber der Osten hat schon ein ganz anderes Päckchen zu tragen. Nur, dass diese Last auf ausländische Schultern gelagert wird, geht nicht!

Dieses ganze Bautzen-Ding

Ich habe in den letzten Tagen sehr viel Zeit damit verbracht, mir Gedanken über Bautzen zu machen, in Erinnerungen zu kramen, Online-Kommentare zu lesen, mit Leuten auf Facebook, im Büro und auf dem Balkon zu diskutieren und was bleibt ist eine große Ratlosigkeit – weniger darüber, woher die Probleme rühren, als darüber, wie sich die Situation verbessern lässt.

Bautzen
In den ersten 19 Jahren meines Lebens habe ich am Rande einer Siedlung am Rand eines Dorfes kurz hinter (oder vor) Bautzen gelebt. Meine Familie führt seit 87 Jahren ein Geschäft in Bautzen, nur wenige Meter vom Kornmarkt entfernt. Meine Familie ist sehr groß und weit verstreut. Sie umfasst, so vermute ich, einige Vertreter der “besorgten Bürger”, sie umfasst Anwohner, die Angst vor der Gewalt vor Ort haben, sie umfasst eine Stadträtin, die sich für Flüchtlinge einsetzt, sie umfasst eine der diesjährigen Abiturient*innen des Sorbischen Gymnasiums, deren Schulkamerad*innen einerseits bei Parties von Rechten bedroht werden, andererseits aber auch Unterschriftenlisten gegen Flüchtlingsunterkünfte verteilen.

Vor zwei Jahren war ich auf einem Klassentreffen meiner alten Grundschulklasse. Da gingen gerade die Diskussionen über Flüchtlingsunterkünfte im Landkreis hoch her. Ein ehemaliger Klassenkamerad schlug vor, doch einfach mal an einer von denen vorbei zu fahren und bisschen Stunk zu machen und ich bin bis heute nicht sicher, ob das ein sarkastischer Scherz oder tatsächlich ernst gemeint war.

Ich denke dieser Tage oft zurück an meine Schulzeit in Bautzen und an meine damals beste Freundin, die gemeinsam mit ihren Geschwistern nach und nach immer mehr Freunde mit rechtem Gedankengut hatte. Obwohl sie selbst dieses Weltbild nicht teilte, führte diese Entwicklung mit dazu, dass wir uns nach und nach aus den Augen verloren. Ich war nicht mehr mit ihrem Freundeskreis kompatibel und ihr Freundeskreis nicht mit mir. Ich erinnere mich an einen letzten Versuch.

Ich war da, um sie und ihr Baby zu besuchen und wir hatten einen netten Nachmittag mit ihren Geschwistern, wie früher. Bis der Vater des Kindes auftauchte und anfing, mich mit rechten Parolen zu provozieren und mir Hitler-Reden von CD vorzuspielen, um mich zu ärgern. Ich war 18 und glaubte daran, mit Argumenten etwas ausrichten zu können. Recht schnell merkte ich, dass uns die Grundlage fehlte, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Diskutiert mal mit jemandem, der schon widerspricht, wenn man sagt, dass alle Menschen Menschen sind, die Würde und die gleichen Rechte haben. Ich weiß noch, dass mich der Nachmittag sehr aufgebracht hat, dass ich froh war, als meine Mutter mich abholen kam (nix mit vernünftigen Nahverkehr und für Fahrrad war es zu weit) und dass ich entsetzt war, wie meine Freundin und ihre Geschwister einfach gar nichts gesagt hatten oder sich sogar noch über die Situation und meine Hilflosigkeit darin amüsiert hatten.

14 Jahre später sind die Freundin und ich (wieder) befreundet. Sie ist vom Vater des damaligen Babys getrennt, der zwar angeblich kein Nazi mehr sei, auf Facebook aber immer noch rechte Parolen verbreitet. Sie hat noch zwei weitere, jüngere Kinder und mitunter Angst, mit denen in dieser Stadt spazieren zu gehen, in der es jederzeit zu Zusammenstößen zwischen Rechten und Asylbewerbern oder Rechten und Linken kommen kann.

Ihr 14-jähriger ältester Sohn ärgert sich ebenso wie meine 21-jährige Cousine, die wenige Meter vom Kornmarkt aufgewachsen ist, scheinbar vor allem über die Unruhe in der Stadt. Beide posteten in den letzten Tagen auf Facebook über Ihre Wut über die Situation in Bautzen. Beide positionierten sich dabei weder rechts noch links. Und das ist für mich irgendwie das Erschreckende. Genau wie schon vor 14 Jahren scheint man in Bautzen entweder offen rechts zu sein, oder sich herauszuhalten. Wer gegen die Rechten spricht, tut das nicht wegen deren Gesinnung und Menschenbild, sondern weil sie den Frieden in der Stadt stören.

Sicher gibt es auch Ausnahmen, gibt es linke, alternative Stimmen in der Stadt und politische Aktionen, die für ein offenes und buntes Bautzen arbeiten. Die überwiegende Mehrheit verschließt aber ihre Augen vor den rechten Strukturen, hält linke und rechte “Eventbetonte” und das “örtliche Trinkerklientel” (Zitate aus Polizeiberichten) für gleich schlimm und möchte am liebsten alle störenden Elemente aus ihrer Stadt verbannen. So bereiten sie den Nährboden für noch mehr Fremdenhass und Gewalt und geben den Rechten Macht über die Stadt. Die freuen sich natürlich über dieses gefundene Fressen und statuieren ein Exempel für weitere Städte.

Ich glaube auch vielen Bautzenern nicht, die sich jetzt über die Aufmerksamkeit für ihre Stadt aufregen und betonen, dass dort eben nicht nur Rechte ihre “Meinung” äußern, sondern auch viele “normale Bürger” dies tun. Gestern geriet ich auf dem Facebook-Profil des Teenager-Sohns meiner Freundin in eine Diskussion mit jemandem, der mir auf meine Argumente bezüglich der Nazis und Rassisten in der Stadt unterstellte, ich würde wohl die BILD-Zeitung lesen (Ich! die BILD!). Wir tauschten sehr zivilisiert Argumente aus und ich hatte tatsächlich Spaß an der Unterhaltung. Und dann lief es wie damals vor 14 Jahren aus dem Ruder:

Er sagte, die Asylbewerber würden sich nicht integrieren. Ich wies ihn darauf hin, dass Integration ein Prozess ist, an dem beide Seiten arbeiten müssten und holte die Duden-Definition des Begriffs hervor. Integration ist die “Einbeziehung und Eingliederung in ein größeres Ganzes”, die “Verbindung einer Vielheit von einzelnen Personen oder Gruppen zu einer gesellschaftlichen und kulturellen Einheit”. Man kann sich nicht allein integrieren, man wird integriert, muss aber dazu natürlich auch bereit sein. Seine Antwort war (sinngemäß): “Nein, Integration heißt Anpassung. Das ist Fakt.” Wieder einmal fehlte die gemeinsame Basis, um überhaupt diskutieren zu wollen. Es ist, als würde man sagen: “2+2 ist 4, deswegen ist…” und der andere sagt: “Nein, 2+2 ist 3, das ist Fakt.”

Er sagte auch: “Die wollen sich ja leider nicht integrieren.” Ich erzählte dann davon, wie der Hase und ich hier in Berlin guten Kontakt mit einer syrischen Familie haben, gemeinsam kochen und essen, mit den Jungs zum Fußball oder ins Museum gehen und trotz differierender Meinungen in manchen Punkten die Gemeinsamkeiten und das gegenseitige Wohlwollen dominiert. Dass dieses Einbinden die Basis für Integration sei. Mein Vorschlag an ihn war, doch mal ein paar der Asylbewerber auf einen Kaffee einzuladen, oder mit ihnen Fußball oder Computer zu spielen. Die Antwort: “Das ist das Letzte, was ich tun würde, ich bin doch nicht lebensmüde!”

Und da saß ich dann fassungslos vorm Bildschirm, genau so sprachlos wie vor 14 Jahren. Ich verstehe Veselin, der seinen Blog aufgibt, weil er an den Strukturen in Bautzen und Sachsen verzweifelt und nicht als linksalternatives Feigenblatt dienen möchte – wenige Tage nachdem er in einer Serie Neu-Bautzener vorgestellt hatte, die begeistert von ihrem Leben in der Stadt berichteten. Ich verstehe Robert, der gerade wieder zurück in die alte Heimat gezogen ist und jetzt nicht mehr bereit ist, Bautzen gegen Kritik zu verteidigen.

Ich hoffe, dass meine Stadträtinnen-Cousine die Kraft haben wird, weiter zu kämpfen. Ich hoffe, dass Wege gefunden werden, die Situation zu verbessern, damit weder meine Freundin und ihre Kinder, noch meine Cousine Angst haben müssen, durch die Stadt zu gehen. Ich hoffe vor allem, dass wir nicht bald mit noch schlimmeren Nachrichten aus Bautzen leben müssen und dass niemand, der in Deutschland Schutz vor Terror und Vertreibung sucht, in Bautzen genau das wieder erleben muss.

Und ich hoffe, dass es endlich ein Umdenken in der Politik gibt. Dass jede einzelne Beleidigung und Straftat geahndet wird. Dass die Verbreitung menschenverachtender Parolen und die organisierte Provokation nicht länger geduldet oder gar akzeptiert wird. Dass der Staat durchgreift und seine Macht ausübt und dass die angeblich so “normalen” Bürger endlich aufstehen und Gesicht zeigen.

Und wer bitte erlaubt es diesen Nazis, ein Bautzen nur für die Deutschen zu fordern, wenn die Stadt die Hauptstadt der Sorben ist? (An dieser Stelle stellt Euch einen Gernot-Hassknecht-mäßigen Rant vor, der am Ende aufgrund der Anzahl der Kraftausdrücke ausgeblendet wird…)

Einfach mal Nix planen

Gestern Abend postete meine Cousine (ich habe davon jede Menge, was Leute immer verwirrt, wenn ich dann nicht konkretisiere, deswegen sage ich jetzt mal “meine Stadträtin-Cousine” und bitte darum, ihr das weder negativ auszulegen noch sich ein spießiges Bild von ihr zu machen) ein Album voller Fotos von Omas Zuhause, in dem sie früher ihre Sommerferien verbrachte und neben und in dem ich aufgewachsen bin. 


Sie schrieb von ihren Erinnerungen mit ihren Brüdern, dem Cousin, den Cousinen, den Freunden von damals und dem Schwimmbecken und irgendwie ergab sich sehr schnell die Idee, diese Erinnerungen noch einmal aufleben zu lassen – und zwar möglichst alle gemeinsam. Dann ging es um die Terminsuche und bei einem Blick in meinen Kalender musste ich feststellen, dass meine Wochenenden bis Oktober bereits komplett ausgebucht sind. Im Oktober habe ich dann zwar ein paar Tage Urlaub, aber für das Schwimmbecken wird es dann zu kalt sein.

So müssen wir diese Idee nun leider verschieben und darauf hoffen, dass es im nächsten Sommer dann noch eine Gelegenheit dazu gibt und sich alle rechtzeitig darauf einstellen können. So weit so “gut”. Was mich aber wirklich etwas aus der Bahn warf, war dass mein Sommer wirklich schon voll und damit schon wieder so gut wie vorbei ist. Denn das war doch immer das Schöne am Sommer: diese langen Wochen ohne Stress und Termine, in denen man einfach in den Tag hineinlebt und schaut, wohin er einen treibt. Pustekuchen!

Einen viel zu großen Teil dieses Sommers habe ich bereits krank im Bett verbracht und jetzt geht es mit Terminen Schlag auf Schlag weiter: Nächstes Wochenende der schon zwei mal verschobene Trip nach Rostock, das Wochenende drauf fahre ich zu einer Hochzeit quer durchs Land, ab dem Wochenende darauf sind wir zwei Wochen (drei Wochenenden!) im Urlaub – ja, das ist toll und erholsam aber eben auch: Sommerzeit, die mir hier fehlt). 

Nach dem Urlaub steht wieder ein Geburtstag an, danach folgen noch ein Wochenende mit den anderen Cousins und Cousinen, ein Besuch beim Hasenpatenkind und der 40. Hochzeitstag der Haseneltern. Und dann ist schon Oktober, also zumindest gefühlt.

Wir haben uns dann gestern hingesetzt, ein paar Termine hin und hergeschoben und zusammengelegt und haben jetzt bis Ende September zwei Wochenenden freigeschaufelt, an denen “Nix” im Kalender steht. Das werden also die beiden Sommerwochenenden zum Ausruhen und spontan sein. Und während der Woche gibt es auch noch gewisse Flexibilitäten, zum Glück. Also hoffen wir mal auf sonnige Wochen, so dass ich abends mal baden fahren kann und die eine oder andere Kubb-Session auch mit abfällt.

Wie Birk Borkasson sagt: “Wir haben einen verregneten Sommer, aber es wird besser!”