Sonnabende sind Demo-Tage, stelle ich immer wieder fest. Letzte Woche waren wir auf der “Wir haben es satt“-Demo und erst dort bekam ich mit, dass direkt davor an der gleichen Stelle der diesjährige Women’s March stattgefunden hatte, an dem ich eigentlich auch gerne teilgenommen hätte. Irgendwie war mir das trotz meiner doch sehr feministischen Filterblase durch die Lappen gegangen. Heute stellte ich dann auf der Couch liegend fest, dass gerade eine Kundgebung des Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung für die Abschaffung des § 219a stattfand. Da ich sowieso demnächst loswollte und meine Route nur geringfügig umstellen musste, brach ich also schnell auf und war zumindest bei diesem wichtigen Anliegen mit dabei.
Falls es jemand noch nicht mitbekommen haben sollte: Der § 219a untersagt es Ärzt*innen, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren (das Strafgesetzbuch nennt diese Art der Information fälschlicher- oder zumindest veralteterweise Werbung). Nun ist es natürlich schon an sich ein unsäglicher Zustand, dass Abtreibungen in Deutschland immer noch strafbar sind und die Strafe nur unter bestimmten Bedingungen ausgesetzt wird. Dass es aber bei Strafe verboten ist, darüber zu informieren, dass und in welchen Praxen solche Abbrüche durchgeführt werden, schlägt dem Fass quasi noch den Boden aus. Ein Mensch namens Yannic Hendricks hat es sich, wie Ihr wahrscheinlich alle schon gelesen habt, zum Hobby gemacht, Ärzt*innen anzuzeigen, die trotz des Verbots darüber informieren und die deswegen nun von erheblichen Geld- und sogar Freiheitsstrafen bedroht sind. Einfach weil er findet, dass Abtreibungen nicht OK sind.
Lieber Yannic, lass Dir sagen: Niemand treibt gerne ab, wer das tut, hat gute Gründe. Einmal ganz abgesehen von den ethisch-moralischen Bedenken, die die meisten Betroffenen haben ist es auch ein verdammt unschöner Eingriff, der mit Schmerzen, Nebenwirkungen und erheblichen Risiken einhergehen kann. Niemand tut das, weil es so schön leicht und einfach ist. Und immer geht dem eine sehr, sehr gründliche Überlegung voraus. Ich war zwar selbst noch nie ungewollt schwanger, aber ich habe mir von mehreren Freundinnen erzählen lassen, wie sich das anfühlt. Und wie schwierig es ist, sich unter dem psychischen Stress, den solch ein Zustand auslöst (und dem physischen, eine Frühschwangerschaft ist im Allgemeinen kein Kinderspiel, ob gewollt oder nicht) umfassend (in alle Richtungen) zu informieren. Und wie schwer die Entscheidung am Ende fällt. Und obwohl ich selbst noch nicht abgetrieben habe, weiß ich aus schmerzlicher eigener Erfahrung leider ganz genau, wie sich dieser Vorgang körperlich anfühlt. Und ich weiß außerdem, was für ein schlechtes Gewissen Patient*innen mitunter gemacht wird, schon wenn sie nur die “Pille danach” wollen, was ja nun gar nichts damit zu tun hat, bestehendes “Leben” zu töten. (“Und wieso möchten Sie das Kind nicht haben?” “Da ist ja kein Kind, sondern ich will nicht, dass da evtl. eins entsteht, nur weil das Kondom gerissen ist. Weil meine Lebensumstände und der potenzielle “Vater” dazu gerade nicht passen.” “Na das hätten Sie sich ja überlegen können, bevor Sie mit so jemandem Sex haben.” Hackts?!)
Auf der Kundgebung sprachen sich Vertreterinnen aller im Bundestag vertretenen Parteien (also außer CDU/CSU und AfD, natürlich, von denen war niemand da) für die Abschaffung dieser beiden Paragraphen aus. Weil sie einerseits Mediziner*innen ohne Not kriminalisieren und weil sie andererseits Schwangeren dringend benötigte medizinische Hilfe erschweren oder gar verwehren. Eine der Rednerinnen sprach an, dass es sicherlich nicht besonders schwer sei, in einer Stadt eine passende Praxis für einen Schwangerschaftsabbruch zu finden. Auf dem platten Land aber, wo Ärzt*innen dünn gesät sind, kann es schwierig bis unmöglich werden, weil man vielleicht weite Wege auf sich nehmen muss, nur um dann vor Ort festzustellen, dass eine Praxis keine Abbrüche vornimmt oder nicht dazu beraten möchte. Deswegen müssen diese Informationen online und für jeden zugänglich sein (und auf dem platten Land muss es natürlich vernünftige Internetverbindungen geben).
Wichtig sind diese Informationen auch deswegen, weil sich Schwangere in Deutschland zunächst mit offenem Ausgang zu ihren Optionen beraten lassen müssen (und zwar nicht von den durchführenden Ärzt*innen selbst) und dann noch eine Wartefrist eingehalten werden muss, bis der Eingriff durchgeführt werden darf. All das muss bis zur vollendeten 12. Schwangerschaftswoche passieren, da man hinterher nur noch aus dringenden medizinischen Gründen straffrei abtreiben darf*. Nun ist es so, dass eine Schwangerschaft frühestens in der 5. Schwangerschaftswoche bemerkt und durch einen Frühtest nachgewiesen werden kann. Je nach Zyklusschwankungen, Lebensstil (Krankheiten, Reisetätigkeit, Stress) wird eine Schwangerschaft auch erst viel später bemerkt. Und auf den positiven Test folgt dann normalerweise nochmal ein zweiter bei der*dem Gynäkolog*in. Hinzu kommt, dass viele Schwangerschaften auf natürlichem Wege wieder abgehen. Bis man also sicher weiß, dass man schwanger ist und die Schwangerschaft intakt ist, ist der Point of no Return schon ganz schön nahe gerückt. Wenn man dann in einer Gegend lebt, wo es nicht viele Praxen und vielleicht gar keine Beratungsstellen gibt, kann es echt eng werden. Das Land Berlin geht übrigens mit gutem Beispiel voran und hat selbst entsprechende Adressen veröffentlicht, da die Ärzt*innen selbst es nicht dürfen.
Das nächste Problem ist, dass aufgrund der Gesetzeslage an den Universitäten der Schwangerschaftsabbruch quasi gar nicht gelehrt wird. Ein Unding, selbst wenn man alle ethisch-moralischen Bedenken außen vor lässt. Schließlich gibt es auch diverse medizinische Gründe, aus denen eine Schwangerschaft beendet werden muss, etwa wenn das Leben der schwangeren Person in Gefahr ist. Deswegen haben auch die Medical Students for Choice Berlin auf der Kundgebung gesprochen und deutlich gemacht, dass sie ihren Beruf nicht korrekt ausüben können, wenn sie nie lernen dürfen, wie ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt wird. Da für diesen Eingriff nicht einmal medizinische Modelle bereitstehen, führen die Studierenden Workshops durch, in denen sie ihre Kolleg*innen die Prozedur an Papayas üben lassen. Papayas, verdammte Axt! Die sind zum Essen da!
Und da haben wir über den ganzen Feminismus-Aspekt noch nicht einmal gesprochen. Dass es natürlich allen Menschen, die schwanger werden können, selbst überlassen sein muss, ob sie das auch möchten. Noch einmal: Eine Schwangerschaft ist in vielen Fällen kein Spaß. Das sollten nur Menschen machen, die wirklich dahinterstehen. Ebenso wie Kinder in die Welt zu setzen nichts ist, was man gegen seinen Willen tun sollte. Kinder sollen erwünscht und geliebt sein und mit Wärme, Geborgenheit, Nähe, Zuwendung usw. aufwachsen dürfen! Wer das nicht versteht, sollte vielleicht nochmal “Das weiße Band” angucken. 😉 (Und zur Abtreibungsproblematik natürlich Gottes Werk und Teufels Beitrag.)
*Die Juramama hat übrigens in ihrem zu Recht für den besten Blogtext des Jahres nominiertem Post “Raus aus meinem Uterus. Der § 219a und seine Freunde” aufgeschrieben, warum das ganze rechtlich eigentlich so kompliziert ist (der ganze Artikel ist lesenswert!):
Historisch interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es dieses „eigene Recht auf Leben des Ungeborenen“ ab der Einnistung der Eizelle in die Gebärmutter sehr, sehr jung ist und man erst auf diese Idee kam, als gleichberechtigte Frauenrechte wirklich nicht mehr zu verhindern waren. Abtreibungen waren schon zu den Zeiten verboten, in denen Frauen wirklich gar keine eigenen Rechte hatten. Hier war sie aber nicht etwa deswegen verboten, weil der Fötus ein entkoppeltes Recht auf Leben hatte und die Mutter sich dem beugen musste, sondern es ging rechtshistorisch ausschließlich um den Maßstab des „Willens des Vaters“ und gegen die „Selbstabtreibung“ durch die Frau. Wollte der Vater das Kind nicht, finden sich viele Beispiele, wie das straflos oder zumindest faktisch konsequenzenlos in Recht und Gesetz integriert werden konnte. Auch die aktuell gern zitierte Bibel sah in einer authentischen Fassung des Alten Testaments Schadenersatz in Geld für den Vater vor, wenn seine Frau von einem anderen Mann so verprügelt wurde, dass sie einen Abgang erlitt. Der Leibesfrucht selbst aber kam kein eigener Status oder Verlustwert seines eigenen Lebens zu und auch das römische Recht verneinte das ausdrücklich. Hier wurde ein Fötus ganz klar als Teil des mütterlichen Körpers betrachtet, und eine Abtreibung dann bestraft, wenn die Frau den Manne „um seine Kinder betrügt”. Die dann folgende, aber ausschließlich kirchlich vorangetriebene Theorie der „Beseelung“ des Menschen schon im Mutterleib zeigt ebenso Bemerkenswertes: Weibliche Föten galten zu Zeiten des kanonischen Rechts erst mit 80 Tagen im Mutterleib als beseelt. Männliche Föten hatten dagegen bereits nach 40 Tagen eine Seele.
Im 18. Jahrhundert kam das medizinische Problem auf, dass man feststellte, dass die Mittelchen, die Frauen für einen Abort gegeben wurden oder die sie selbst einnahmen, wohl eher wirkungslos waren und die Frauen ihre Kinder einfach so verloren hatten. Oh nein! Wie sollten sie nun das Machtinstrument “Abtreibungsverbot” retten, wenn es doch gar keine wirksamen Mittel gab? Die Jurisprudenz ersann folgendes Konstrukt: Eine bestimmte Kraft in der „Maschine des Weibes“ sei in der Lage, einer für sich wirkungslosen Droge zu seiner Wirksamkeit zu verhelfen und –puh, das war knapp- man konnte die Frauen und Ärzt*innen und Hebammen wieder bestrafen, wenn sie es auch nur versuchten. Heute ist ein Grundsatz des Strafrechts, dass der untaugliche Versuch zwar nicht straflos ist, aber in Fällen wie diesen von Strafe abgesehen werden kann.*
Im letzten Jahrhundert kam dann Gustav Radbruch, der kurz vor der Machtergreifung Hitlers eine deutlich liberalere Form als wir sie heute haben forderte: Die reine Fristenlösung. Aber da kam der schnauzbärtige Irre und brockte uns das ein, was wir in diesem Zusammenhang seitdem nur in Deutschland auf diese absurde Art ausbaden müssen. Das „Recht des Fötus“ wurde historisch erstmals insofern relevant, als es nur für die Föten galt, die den Rassegesetzen entsprachen. Deren Abtreibungen wurde wieder mit der Todesstrafe geahndet, diese Föten mussten also geboren werden. Andere Frauen, deren Fötus im Bauch kein Recht auf Leben hatten, wurden dagegen nach Hitlers Rassegesetzen zur Abtreibung gezwungen. Menschen mit bestimmten Behinderungen hatten gar ein komplettes Fortpflanzungsverbot. Das heutige in unserem Recht verankerte, eigene Lebensrecht eines Ungeborenen ist also ein sehr neuer Ansatz für eine alte Machtfrage, um die wir aktuell derartig peinlich rumschleichen, dass ich es eigentlich nicht fassen kann. Erst als immer mehr absehbar war, dass sich durch Aufklärung und Rechtsfortbildung die Rechte der Frauen auf körperliche Selbstbestimmung komplett vom Mann entkoppeln, wurde rechtstheoretisch das „Lebensrecht des Ungeborenen selbst“ zur Maxime. Es geht also im Kern ganz simpel und archaisch um Macht über die Fortpflanzung. (Wer die Rechtshistorie nachlesen will: „Die juristische Konstruktion des Abtreibungsverbots“ von Prof. Dr. iur, Dr.phil. Günter Jerouschek)