Idee: Weltbürgertum – Das Refugee-Theaterprojekt Letter to the World

Dies ist nun einer der seltenen Momente, in denen dieser*s Blog einen eindeutigen Spannungsbogen hat (Insider-Witz für Frau Brüllen). Aufmerksame Leser werden sich erinnern, dass ich hier schon einmal über das Theaterstück geschrieben habe, das von Deutschen und Geflüchteten gemeinsam entwickelt wurde. Gestern hatten wir nun endlich die Gelegenheit, Letter to the World zu sehen, nachdem die Premiere vorgestern restlos ausverkauft war. (Ausverkauft heißt in diesem Fall, dass alle Plätze reserviert waren – der Eintritt war kostenlos, eine Spendenbox wurde aber aufgestellt.)

Die beiden bisherigen Vorstellungen fanden im Mensch Meier statt, einem Club an der Storkower Straße, in unmittelbarer Nähe zu der Flüchtlingsunterkunft, in der der Hase ab und zu aushilft. Der Club ist eine beliebte Anlaufstelle vor allem der jüngeren Geflüchteten und hat sich ihnen von Anfang an aktiv geöffnet. Unser Freund M., über den ich im oben verlinkten Post bereits geschrieben habe, verbringt ganz Berlin-typisch seine Wochenenden größtenteils (und schlaflos) dort. Sowohl er selbst  als auch der Chef des Mensch Meier gehören zu den Protagonisten von Letter to the World.

 

In diesem Stück arbeiten junge Syrier und Iraker ihre Erfahrungen mit den Bürgerkriegen in ihren Ländern, mit der Flucht und dem Ankommen hier in Deutschland auf. Es richtet sich hauptsächlich an ein deutsches Publikum, aber unter den Zuschauern waren auch viele Bewohner der Unterkünfte in der Nähe. Auf der Bühne wird Deutsch, Englisch und Arabisch gesprochen und gesungen. Für Arabisch und Deutsch gibt es jeweils eine Simultan-Übersetzung mit Einblendungen, das Englische wird vorausgesetzt, ist aber nicht so kompliziert, dass es der durchschnittlich gebildete Deutsche nicht verstehen würde.

Bevor es losging, wurden einige Ansagen gemacht: Zum Einen wurde darum gebeten, während der Vorstellung weder Fotos noch Videos zu machen und auch die Handys komplett auszustellen. Da ich nichts zu Schreiben zur Hand hatte, muss ich mich also beim Aufschreiben meiner Eindrücke auf mein Gedächtnis verlassen. Die andere wichtige Ankündigung war der Hinweis auf die drei Notausgänge, die genutzt werden konnten, wenn einem das Ganze zu sehr zu Herzen ginge. Ein paar der (geflüchteten?) Zuschauer haben im Laufe des Stücks diese Möglichkeit genutzt, aber ich denke, dass Durchschnittsdeutsche ohne direkte Erfahrungen mit Krieg, Terror oder dem gewaltsamen Tod von nahestehenden Personen das Stück gut aushalten können. Die eine oder andere Träne wird sicherlich trotzdem verdrückt, aber es gibt auch immer wieder Momente zum Freuen und ein sehr optimistisches, lebensbejahendes Ende.

Das Szenenbild ist sehr spartanisch gehalten – eine weiße Wand, ein paar offene schwarze Kisten und eine Rolle leeres Papier schaffen den Hintergrund und werden mit Kreide und Farbe in die Handlung und Aussagen mit einbezogen. Die Kisten werden Szene für Szene neu angeordnet und mal als Sitzgelegenheit, mal als Mauer, Ruine, Boot, Rednerpult oder Sarg verwendet – und stehen sicherlich auch als Symbol für den stetigen Neuanfang und das sich immer wieder neu Sortieren oder gar neu Erfinden müssen.

 

Neben den eigenen (oder zusammen geschriebenen) Erfahrungen der Protagonisten werden auch Texte von Ghayath Almadhoun, Hannah Arendt, Rose Ausländer, Ingeborg Bachmann, Dietrich Bonhoeffer, Hilde Domin, Erich Kästner, Klaus Mann, Selma Meerbaum-Eisinger, William Shakespeare und Kurt Tucholsky in die Handlung eingewoben. Dass das so nahtlos geht, macht deutlich, dass Krieg, Terror, Flucht und Vertreibung universelle Erfahrungen sind, die jedem Menschen “passieren” können und dass wir hier in Deutschland im Moment einfach nur verdammtes Glück haben, dass wir diesmal nicht betroffen sind.

Warum es nun gerade Syrien (und den Irak) trifft, ist eine unbeantwortete Frage, die immer wieder aufgeworfen wird: Warum ausgerechnet unser Land, warum ausgerechnet wir? Warum müssen wir auf einmal Flüchtlinge sein? Warum lebt ein 14-jähriger allein in der Fremde, ohne seine Familie? Es ist ungerecht, wahllos, zufällig. Dass dieses Geschehen eine Zäsur ist, dass das alte Leben endet und ein neues beginnt, wird immer wieder betont. Der Körper ist auf der Flucht, während Herz, Gedanken und Seele in der Heimat bleiben. Eine Heimat, in die man so schnell wie möglich zurückkehren will, weil man sie nun einmal liebt und sie Teil von einem Selbst ist.

Die Unsinnigkeit der ganzen Situation wird zum Beispiel deutlich, als die Geschichte eines Anwalts erzählt wird, vor dessen Haus Männer in “afghanischer Kleidung” und langen Bärten auftauchen, die ihn für einen Beamten gleichen Namens halten. Er zeigt ihnen Papiere, die beweisen, dass er nicht Beamter, sondern Anwalt ist. Allerdings können die Männer nicht lesen. Sie durchsuchen das ganze Haus nach Beweisen und nehmen ihn schließlich mit, während Frau und Kinder zurück bleiben. Eine Odyssee beginnt, weil diejenigen mit den Waffen in der Hand nicht lesen können.

Das Stück beleuchtet diverse Aspekte der Flüchtlingserfahrung und lässt die Zuschauer ganz nah teilhaben, etwa dabei, wie es ist, nachts im Dunkeln in einem Schlauchboot auf dem Meer zu sein und zu glauben, dass der eigene Tod nahe ist. Die Erleichterung, als die türkische Küstenwache auftaucht, wird hautnah miterlebt. Doch diese Rettung ist nur eine kurze Erleichterung, eine Etappe auf der “Todesreise”.

Was man über die Flüchtlinge liest, oder sich vorstellt, wird mit der Realität abgeglichen. Gleichzeitig wird aber auch deutlich gemacht, dass man ihr Schicksal eben nicht nachempfinden kann: Auch die Protagonisten selbst haben einmal wie wir ungläubig die Schicksale anderer Geflüchteter verfolgt, in dem Glauben, ihnen selbst könne das nie passieren. Niemand weiß, wie das ist, bis man es nicht selbst erlebt hat.

Eigentlich traurig, denke ich, dass das Stück immer mal wieder den Zeigefinger heben und Missverständnisse aufklären muss. Wie so oft ist es Sache der Opfer, zusätzlich zum Ertragen ihrer misslichen Situation auch noch Aufklärungsarbeit leisten zu müssen und uns, die wir frei von ihren Sorgen sind, diese Aufgabe abzunehmen. Aber gerade weil das Stück genau diese Aufklärung schafft, und zwar ohne dabei allzu belehrend und anklagend zu werden, waren wir uns hinterher einig, dass noch viel mehr Leute die Gelegenheit bekommen sollten, es zu sehen. Wenn es nach mir ginge, sollte es Pflichtveranstaltung an Schulen werden und durch Aufführungen auf diversen Bühnen einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Einige weitere Vorstellungen sind wohl auch bereits in Planung.

Am Ende von Letter to the World hat man jeden der Protagonisten etwas besser kennengelernt, versteht die Vielzahl der Schicksale und eben auch, wie ähnlich wir uns eigentlich sind. Ganz zum Schluss erlebt das Publikum dann, wie aus der tiefsten Verzweiflung und Trauer Hoffnung und gar Euphorie werden kann, wenn wir uns alle als Menschen begreifen, die zusammen in einem Boot sitzen. Die letzten Tränen sind Freudentränen.

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Die sorbische Reconquista

Seit drei Wochen lerne ich nun (wieder) Sorbisch und da ich sowohl auf Twitter als auch im echten Leben schon gefragt wurde, warum ich das tue, die Antwort aber nicht in 140 Zeichen oder einen Satz passt, habe ich mir gedacht, ich blogge einfach darüber.

Tatsächlich gibt es auf diese Frage drei sehr verschiedene Antworten – eine linguistische, eine persönliche und eine politische.

 

Die linguistische Antwort

Die oberflächlichste ist, dass ich gerne Sprachen lerne, relativ sprachbegabt bin und schon des Öfteren einmal “einfach so” angefangen habe, Sprachen zu lernen. Zu Schulzeiten war das Niederländisch, während der Uni Schwedisch und jetzt im Arbeitsleben Spanisch. Englisch und Französisch gab es in der Schule gratis dazu und Italienisch ergab sich durch Urlaub, familiäre Beziehungen und schließlich die Liebe. Vielleicht war es, da in Liebesdingen nun seit über 3,5 Jahren wieder Deutsch gesprochen wird, einfach Zeit für eine neue Herausforderung für meine innere Linguistin?

Allerdings musste ich bisher feststellen, dass Erfolgserlebnisse anders als bei den germanischen und romanischen Sprachen beim Sorbisch lernen leider deutlich seltener gesät sind. Das Sorbische hat drei Geschlechter und sieben Fälle, in denen Substantive und Adjektive dekliniert werden müssen. Hinzu kommt neben dem Singular und dem Plural auch noch der Dual und für manche Wörter gibt es evangelische und katholische Übersetzungen sowie weitere regionale Varianten, etwa für (völlig überraschend) die Kartoffel, die bei evangelischen Sorben běrna, bei katholischen Sorben nepl und bei den Sorben rund um Schleife kulka heißt.

Zwischen all den Endungen und Konsonantenwechseln fallen die Konjugationen der Verben dann ja kaum noch ins Gewicht, aber all das will erstmal im Kopf ankommen und verarbeitet werden und sollte ich diesen Zustand irgendwann einmal erreicht haben, dann war das ja auch erst die Gegenwart. Ich gehe mal davon aus, dass mich später noch diverse Zeitformen und Modi ereilen werden. Heidewitzka, bzw. owowow und ajajaj! 🙂

Jedenfalls muss man sich diesen grammatikalischen Grundstock erst einmal zurechtzimmern, bevor man ganz entspannt Konversation betreiben oder Texte lesen kann und das ist, wie ich höre, wohl bei allen slawischen Sprachen so. Allerdings wurde mir heute auch gesagt, dass es beim Englischen z.B. ja so sei, dass es immer schwerer wird, je länger man es lernt (Kann ich bestätigen: Selbst wenn ich persönlich da inzwischen sämtliche grammatischen Hürden genommen habe und im Schlaf anwenden kann, lerne ich doch in der täglichen Arbeit immer noch komplizierte Redewendungen und x-silbige juristische Begriffe hinzu.) Beim Sorbischen hingegen (oder invece, wie der Italiener sagt), gäbe es erst einen steilen Berg (obersorbisch hora) zu erklimmen, bevor es dann angeblich leichter würde. Im Moment jedenfalls befinde ich mich noch ganz am Fuß dieses Berges und wenn ich nicht noch andere Motivationen als das linguistische Interesse hätte, würde ich meine Zeit vermutlich eher für die Vervollkommnung anderer angefangener Sprachen verwenden.

 

Die persönliche Antwort

Zum Glück gibt es ja aber noch andere Motivationen. Ich bin in der (Ober-)Lausitz aufgewachsen und mütterlicherseits zu einem Sechzehntel Sorbin. Meine Oma hat in ihrem Elternhaus noch Sorbisch gesprochen, meine Mutter und ihre Geschwister haben es nur noch in der Schule gelernt. Bei meinem Bruder und mir blieb dann nur noch etwas Grundschulsorbisch übrig, auch weil es später auf dem Gymnasium nicht angeboten wurde (wobei es in Bautzen auch ein Sorbisches Gymnasium gibt, auf das jetzt zumindest meine Cousine geht). Nun kann man sich vorstellen, dass Sorbisch-Unterricht in der 4. Klasse nicht besonders effektiv ist. In der ersten Klasse war ich mit der Lehrerin allein, weil niemand sonst in meiner Klasse Sorbisch lernen wollte. Die anderen hatten also nach der 4. Stunde Schluss, während ich noch mit der Lehrerin im Lehrerzimmer hockte. Ein paar Vokabeln habe ich da durchaus mitbekommen, aber noch nicht wirklich etwas von Grammatik, darauf war das Lehrbuch bei Erstklässlern gar nicht ausgelegt.

In der zweiten bis vierten Klasse gab es dann jahrgangsübergreifenden Sorbischunterricht, so dass wir irgendwann, meine ich, zu viert und später sogar zu fünft oder sechst waren – aber eben auf völlig unterschiedlichen Lernniveaus und mit den neuen Erstklässlern waren auch immer Kinder dabei, die noch nicht lesen konnten. Dafür haben wir relativ viel über die sorbische Kultur gelernt, durften Sprachspiele in der sorbischen Kinderzeitschrift Płomjo machen und Ausflüge zu sorbischen Veranstaltungen machen. Ich erinnere mich, in der 4. Klasse auf einem Kulturfestival (?) in Radibor ein Gedicht vorgetragen zu haben, dessen Inhalt mir kaum bekannt war. Aber ich konnte es auswendig und bestimmt war meine Aussprache total super.

Auch wenn sprachlich also nicht allzu viel bei rumkam, wurde ich so doch zumindest ein wenig für die sorbische Kultur und Geschichte sensibilisiert und war stolz auf die Zweisprachigkeit meiner Region. Nie wäre es mir in den Sinn gekommen, über Sorben zu lästern oder ihnen zu unterstellen, sie sprächen nur Sorbisch, um nicht verstanden zu werden – solche Vorurteile hörte ich mitunter durchaus von Deutschen. Meine Eltern waren außerdem mit zwei sorbischen Familien (bzw. einer sorbischen und einer sorbisch-kirgisischen) befreundet, so dass ich auch ab und an mal Alltagssorbisch hören konnte, was in der Lausitz trotz offizieller Zweisprachigkeit nicht so oft vorkommt, es sei denn man hält sich in den entsprechenden sorbischen Dörfern oder im Umfeld von sorbischen Schulen auf. In Bautzen auf der Straße hörte ich eigentlich fast immer Deutsch.

Ich fand es immer ein wenig schade, dass dieser Aspekt meiner Familiengeschichte ein wenig untergegangen war. Besonders bewusst wurde mir das, als letztes Jahr meine Oma starb, nachdem sie in den letzten Jahren immer dementer geworden war. Im Alter werden ja die Kindheitserinnerungen wieder präsenter und gerade demente Menschen wechseln ja in ihrem Bewusstsein relativ unverhofft zwischen ihren verschiedenen Lebensphasen hin und her. Meine Oma begann jedenfalls in ihren letzten Tagen, immer öfter Dinge auf Sorbisch zu sagen und niemand verstand sie. Meine Tante hat dann das “Gedicht”, dass meine Oma deklamierte mit dem Handy aufgenommen und dem (sorbischen) Pfarrer der Kirchengemeinde vorgespielt. Der identifizierte es sofort als das Vater Unser und kurz danach stellte er fest, dass meine Oma einen sorbischen Dialekt sprach, den er schon seit vielen Jahrzehnten nicht mehr gehört hatte – in unserem Dorf und der Umgebung ist das Sorbische nämlich wirklich so gut wie ausgestorben. Auch ich habe meine Oma nie Sorbisch reden hören.

Auf ihrer Beerdigung wurde das Vater Unser dann jedenfalls auf Sorbisch gebetet. Ich selbst bin Atheistin und lese normalerweise nur still mit. Den deutschen (und englischen) Text kenne ich trotzdem auswendig. Vom Sorbischen erkannte ich genau ein Wort: Amen. OK, nach näherem Nachdenken kam mir auch noch naš (unser) bekannt vor und der Hase, der in der Schule Russisch hatte, erkannte chlěb (Brot).

Edit: Jetzt mit der korrekten evangelischen Fassung, die ursprüngliche aus der Wikipedia kopierte war katholisch und kann hier nachgelesen werden (wo die evangelische Fassung inzwischen auch ergänzt wurde).

Wótče naš, kiž sy w njebjesach.
Swjećene budź twoje mjeno.
Přińdź k nam twoje kralestwo.
Twoja wola so stań
kaž na njebju, tak tež na zemi.
Naš wšědny chlěb daj nam dźensa.

A wodaj nam naše winy,
jako my wodawamy našim winikam.
A njewjedź nas do spytowanja,
ale wumóž nas wot złeho.
Přetož twoje je kralestwo a móc
a česć hač do wěčnosće.
Hamjeń.

Irgendwie machte es mich traurig, dass meine Oma die Sprache ihrer Kindheit scheinbar verlernt hatte, oder sie zumindest nicht an ihre Kinder und Enkel weitergeben wollte. In den Wochen und Monaten vor und nach ihrem Tod habe ich versucht, möglichst viel von ihr in meinem Alltag wieder präsent zu machen. Ich habe die Schafwollsocken herausgeholt, die sie uns immer gestrickt hat und trage sie nun jede Nacht. Und ich habe gekocht – Quarkkeulchen und Pflaumenknödel. Aber das ist die Oma meiner Kindheit, die die Deutsch sprach. Ans Sorbische ihrer Kindheit habe ich mich erstmal noch nicht wieder herangewagt.

 

3. Die politische Antwort

Das kam erst, als ein Bekannter über Twitter einen privaten Sorbischkurs hier in Berlin initiierte und ich mich spontan anschloss. Da kamen neben dem linguistischen und persönlichen Interesse sowie der einfach guten, unkomplizierten Gelegenheit noch eine politische Motivation hinzu. Die Lausitz hat sich ja in den letzten Wochen nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Bisher kam ich im gesamtdeutschen Zusammenhang ja immer noch ganz gut damit weg, dass ich eben aus der Lausitz komme und nicht aus Sachsen (ein Gefühl, dass ich seit frühester Kindheit habe, während viele meiner Bautz’ner Freunde sich als Sachsen sehen – evtl. ist das auch das sorbische Erbe in mir?). Als dann aber ausgerechnet in Bautzen ein zukünftiges Asylbewerberheim angezündet und auf lange Zeit unbrauchbar gemacht wurde, während der braune Mob das bejubelte und teilweise sogar die Polizei bei den Löscharbeiten behinderte, da war es aus mit der schönen Herausrederei. Was hilft es, sich auf die schöne, zweisprachige Heimat zu berufen, wenn man die zweite Sprache nicht spricht? Völlig abgesehen, dass auch zwischen Sorben und Deutschen bei weitem nicht alles so in Ordnung ist, wie es mein Sorbischbuch aus DDR-Zeiten suggerierte und die Touristenbroschüren verbreiten.

Je brauner die Heimat wurde, desto schwieriger fiel es mir in den letzten Jahren, mich mit mir zu identifizieren (zumal ich ja auch noch einige andere Heimat-Anwärter in meiner Biographie mir mir herumtrage, in einem davon wohne ich sogar). Und um so trötzer (um mal Olaf Schubert zu zitieren) wollte ich die Zweisprachigkeit, die Bikulturalität dieser Heimat betonen. Dem braunen Mob nicht das Feld überlassen. (Was nicht heißen soll, dass nicht auch Sorben etwas gegen Geflüchtete haben können…)

Also nun: Sorbisch lernen gegen deutschen Einheitsbrei, für Rückbesinnung auf die eigene Geschichte und auf das relative Zusammenleben verschiedener Kulturen. Die Motivation meiner Mitlernenden und des so idealistisch und ehrenamtlich Lehrenden ist ähnlich, politisch und humoristisch liegen wir auf einer Wellenlänge. So entstehen zum Üben so schöne Sätze wie “Ich gebe der Katze mit der Hand Suppe.” oder “Ich spreche wegen der grünen Flasche mit dem Frosch.” oder “Der Pfarrer schlägt die beiden sorbischen Frauen mit der Rute.” Nunja…

 

Besonders schön ist neben dem Lernen dann auch das ganze Geplänkel drumherum. Die sorbische Community ist klein, im Grunde kennt jeder jeden und so höre ich vieles über die Hintergründe des sorbischen Medien- und Kulturbetriebs. Zudem gibt es ganz nebenbei Lektionen in sorbischer Geschichte und Literatur (wir befinden uns mit unserem privaten Sorbischzirkel in sehr guter Tradition), zur Sprachpolitik, zu Germanismen im Sorbischen (z.B. farar, der Pfarrer) und Bezüge zu anderen slawischen und/oder Minderheitensprachen. Und dazu die Lausitzer Sprachfärbung, die jeden dieser Abende zu einem kleinen Heimaturlaub macht (und mit Sächsisch zum Glück nicht allzu viel zu tun hat).

Heute haben wir das Ganze dann noch mit sorbischer Osterdekoration und dem sorbischen “Nationalgericht” (Quark mit Leinöl und Pellkartoffeln) auf die Spitze getrieben. Dabei wurden zwei Bio-Leinöle verkostet – eins aus dem Spreewald und eins aus einer Kreuzberger Ölmühle. Unser Lehrer erzählte dann noch vom hohen Leinölverbrauch bei ihm zuhause, was mich wieder einmal ermunterte, noch viel mehr Rezepte mit Leinöl auszuprobieren – ein passendes Kochbuch dafür habe ich schon.

Und wenn dann alle, die es verlernt haben, wieder Sorbisch können und die deutschen Lausitzer in der Zwischenzeit alle ausgewandert oder weggestorben sind, dann, ja dann holen wir uns die Łužica zurück und teilen sie gerne mit Geflüchteten aus aller Welt – Platz genug ist ja.

#12von12 im März 2016

12 Bilder vom 12., diesmal sämtlich aus den eigenen vier Wänden. Den Rest gibt es wie immer hier.

 

Ich wache früher auf als der Hase und bin in seiner Umarmung auch etwas bewegungseingeschränkt. Aber es reicht, um zum Handy zu greifen, das Internet leer zu lesen und dieses Foto zu machen.

  
Ich habe mal wieder Lust auf diesen Schwarztee mit Mango. Den haben mir meine Eltern ursprünglich mal aus Malaysia mitgebracht – inzwischen habe ich ihn natürlich schon mehrfach nachbestellt.

 

Auf dem Tisch sammeln sich Blumen – rechts der Frauentagsstrauß, den der Hase mir geschenkt hat, links die Lilien, die er für sich selbst gekauft hat.

 Frühstück für Zwei…
  
…oder Drei?

  
Später dann ausgiebiges Couchen – eigentlich wollte ich ganz viel schaffen, aber dann sagte mein Körper “Nein!” und ich entschied mich, auf ihn zu hören.

  
Nachmittags bringt der Hase Kuchen mit – deutsche Spritzringe und italienische Patisserie aus dem Café um die Ecke.

  
So gestärkt klappten die Sorbisch-Hausaufgaben gleich nochmal so gut – nur mit dem Instrumental habe ich noch Probleme, also schreibt am besten nicht ab!

  
Ich nutze die Gelegenheit, endlich die zweite Staffel Transparent zu gucken.

  
Die Mieze findet Ihre Schattenspiele spannender.

 

Zum Late-Night-Snack gönne ich mir eine übrig gebliebene Kartoffel und einige Scamorzette.

 Und dann geht es früh ins Bett.

Tagebuch-5 im März – Syrisches Festmahl-Edition

Es ist der 5. und Frau Brüllen fragt wie jeden Monat: WMDEDGT? Das gibt mir Gelegenheit zu einem sanften Wiedereinstieg in die zuletzt so sträflich vernachlässigte Bloggerei. Zumal ich heute sogar noch etwas Spannendes erlebt habe. Aber first things first…

Gegen 9 wachen der Hase und ich auf, aber das Bett ist wahnsinnig gemütlich, der Hunger noch nicht so groß und das Internet spannend, so dass wir tatsächlich erst gegen 11 den Weg in die Vertikale finden (abgesehen von einer kurzen Episode Katzenfütterei natürlich). Dann gibt es ein relativ unspektakuläres Frühstück mit Cappuccino, Brot, Käse, Marmelade und Obst, gefolgt von einer fleißigen Runde Haushaltszeugs. Der Hase saugt, bringt Müll weg und kauft Katzenfutter und Katzenstreu. Ich wasche jede Menge Geschirr (was so diese stressige Woche über anfiel, so schön, dass wir ab Montag wieder eine Spülmaschine haben…), wische Bad und Küche und räume ein wenig auf.

Dann schnappen wir uns ein paar aussortierte Klamotten, DVDs und CDs und machen uns auf den Weg in das Flüchtlingsheim, in dem der Hase in den letzten Monaten oft ausgeholfen hat. Er wird von allen Seiten freudig begrüßt, während es mein erster Besuch dort ist. Wir unterhalten uns mit verschiedenen Leuten im Aufenthaltsraum. Ein älterer Mann aus Syrien entschuldigt sich bei mir, weil er mir aufgrund seiner Religion nicht die Hand gibt und nicht möchte, dass ich das in den falschen Hals bekomme. Ein junger Bekannter von ihm zeigt uns Fotos aus seiner Heimatstadt Aleppo (sein Haus ist zwar bisher nicht zerstört, aber Aleppo existiert für ihn nicht mehr wirklich – alles ist kaputt und sieht aus wie Deutschland nach dem Krieg, sagt er) und berichtet von der drei Monate dauernden Flucht über die so genannte Balkanroute. Ein Pakistani bittet uns um Mithilfe bei der Suche nach einem Deutschkurs – er hat ein Arbeitsangebot, soll aber erst seine Sprachkenntnisse verbessern. Der ältere Mann bleibt übrigens der Einzige, der mir nicht die Hand gibt. 

Wir beobachten eine Horde Kinder beim wilden Spielen und Schokolade erbetteln in der Küche und warten auf unseren Freund M. aus Damaskus. Mit ihm und seiner Familie sind wir heute zum Essen verabredet. M. hat Glück. Er hat eine Aufenthaltsgenehmigung, besucht einen Integrationskurs und ist vor ein paar Wochen mit seinem Vater und seinem Bruder in eine eigene Wohnung gezogen. Seine Mutter und Schwester sind noch in Damaskus und bisher ist nicht klar, ob und wann sie nachkommen können.

M. hat letzte Nacht nicht geschlafen – er war in einem Club tanzen, wo sie Techno spielen und Geflüchtete verbilligt hineinkommen. Eine typische Freitagnacht in Berlin eigentlich, für einen Anfang-20-jährigen. Heute morgen ist er von dort direkt zur Probe eines Theaterstücks, an dem Deutsche und Refugees zusammen arbeiten und das zu Ostern Premiere haben wird, gegangen. Danach trifft er uns und gemeinsam fahren wir nun nach Neukölln, wo die – im Moment noch nur – dreiköpfige Familie in einer 2-Zimmer-Wohnung wohnt. M.s Vater G. hat uns zum Essen eingeladen, zum Dank für die Hilfe, die der Hase zusammen mit anderen beim Beziehen und Einrichten der Wohnung geleistet hat. Ich erkenne in der Wohnung einiges wieder – ein alter Couchtisch, ein Fernseher, ein DVBT-Receiver, ein Wäscheständer, Biergläser, eine Auflaufform… Lauter Zeug, das sinnlos bei uns rumstand und verstaubte. Hier hat es nun einen guten Platz gefunden. Auch sonst ist die Wohnung liebevoll eingerichtet – Blumen stehen in einer Vase, eine schöne Tischdecke liegt auf dem Esstisch, ein Heiligenbild hängt an der Wand – die Familie ist christlich und wenn man nach ihren Facebook-Profilen  geht auch sehr religiös.

Während G. die letzten Handgriffe in der Küche tut, M. unter der Dusche verschwindet und der Hase zusammen mit T. versucht, die auf eBay ersteigerte PlayStation zum Laufen zu kriegen, schaue ich mich noch weiter in der Wohnung um, mache Fotos von interessanten Zetteln an der Wand und stelle mir vor, wie es ist, in einem Land gestrandet zu sein, dessen Sprache man nicht spricht.

Dann gibt es Essen und was G. auftafelt ist wirklich fantastisch. Ich glaube, gerade weil wir alle Gerichte auch aus hiesigen Restaurants und Imbissen kennen, fällt uns auf, wie großartig sie selbst- und nach authentischen Rezepten gemacht schmecken. Es gibt Tabouleh, Hummus, Pide, Kibbeh und Weinblätter, die mit Reis und Hackfleisch gefüllt sind und warm serviert werden. G. hat auch einige vegetarische Weinblätter gemacht – für mich und ihn, die wir beide nicht so oft Fleisch essen. Er selbst verzichtet im Moment wegen der Fastenzeit völlig. Auch der von uns mitgebrachte Wein bleibt für heute unangerührt.


  

G. ist ein wundervoller Gastgeber, der ständig in die Küche eilt und Nachschub holt und uns auffordert, immer mehr und noch mehr zu essen, während seine Söhne lachend mit den Augen rollen. Aber sie stopfen sich genau wie wir den Wanst voll und geben mit den Kochkünsten ihres Vaters an – “Das Beste vom Besten für die Besten.”. Ich finde interessant, dass die nicht nur den Hummus auf das Brot streichen, sondern auch alle Komponenten in Brot einrollen oder das Brot wie beim Äthiopier als Besteck benutzen. Zwischendurch wird auch eine Gabel benutzt, es scheint da keine genauen Regeln zu geben oder zumindest bleiben sie mir verborgen. 

Obwohl ich sehr neugierig bin, stelle ich keine Fragen, denn wir haben leider nur sehr wenig Zeit – die Jungs und der Hase sind zum Wrestling gucken im Huxley’s verabredet. Als wir uns anziehen, fällt M. mein Hoodie auf, auf dem “Revolution” und “The Beatles” steht. Ich bekomme ein Kompliment dafür, aber auch die Frage, was das ist. Die Beatles kennt er nicht. G. hingegen freut sich über die zwei mitgebrachten Beatles-CDs, die wir zuhause doppelt hatten und fühlt sich an seine Jugend erinnert. Wir laden alle drei für demnächst zu einem Essen bei uns ein und machen uns auf den Weg.

Am Hermannplatz ist ordentlich Trubel und M. beschwert sich über die “vielen Araber” hier. Vor dem Huxley’s treffen wir den Rest der Wrestling-Meute und unterhalten uns noch, bis der Einlass beginnt. Dann nehme ich die U-Bahn zum Alex und von dort die Tram nach Hause. In der Tram treffe ich zufällig auf eine Freundin, mit der ich über M., T. und G., einen Sushi-Geheimtipp bei uns im Kiez und ihren Sunday-Dinner-Club plaudere.

Zuhause angekommen füttere ich die Katzen und beziehe, da meine Abendverabredung wegen Migräne abgesagt hat, Stellung auf der Couch. Die aktuellen Folgen von Girls, Call The Midwife, New Girl und Modern Family wollen geguckt werden. Die gesättigten Katzen nehmen dabei auf und neben mir Platz und laden ihre Gekuschelt-werden-Akkus auf, die in der letzten Woche gefährlich leer geworden sind. Ich tippe diesen Blog-Eintrag mit einer Mieze auf meinem Unterarm, die zwischendurch auch selber tippt und auch schon mal den Bildschirm um 90° dreht. Zeit, den Blogpost abzuschließen, den Brot-Teig für morgen anzusetzen und noch einen Film bei Netflix auszusuchen…

 

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