Der Tag beginnt wie alle Tage gemütlich im Bett, ab jetzt ohne Schnelltest und Fiebermessen. Ich bin abgeschlagen und matt von der vielen Bewegung gestern und mein Bauch ist immer noch nicht wieder im Normalbetrieb, aber insgesamt geht es mir ganz gut und ich freue mich auf einen entspannten Schontag im Bett.
Da auf Arbeit ja immer noch eine sehr spannende Woche ist, kann ich mir einen Blick auf das Diensthandy allerdings nicht verkneifen. Die Abschlussmail zu dem Förderungsprogramm, an dem ich das letzte Jahr über teilgenommen habe, ist da. Sie enthält eine Aufzeichnung der letzten Session, die letzte Woche stattfand, als ich noch „richtig“ krank war und keinen Gedanken für irgendwas abseits davon übrig hatte. Und sie enthält das Zertifikat mit einigen Formulierungsvorschlägen zu LinkedIn-Posts und der Bitte, doch diese Woche darüber zu posten.
Was weg ist, ist weg, denke ich mir. Außerdem ist es sinnvoll, zu den ersten zu gehören, die posten – nächste Woche habe ich Urlaub und in der Woche darauf geht es dann wahrscheinlich im Algorithmus unter, wenn alle anderen schon gepostet haben. Also bastele ich aus den Formulierungsvorschlägen einen Text zusammen, füge noch einiges hinzu, tagge alle Beteiligten und poste. Dann lese ich die Abschiedsmail noch einmal, die mir meine aktuelle Chefin gestern spät abends noch geschrieben hat, und beantworte sie. I nd weil ich dann den Laptop schon auf habe, gucke ich noch schnell nach etwas, das meine neue Chefin gestern im Teammeeting erwähnt habe, füge etwas in ein Doc ein, stimme mich kurz mit einer Kollegin ab… Huch, arbeite ich etwa?
Dann schaue ich mir „nur noch kurz“ die Abschlusssession von letzter Woche an, das ist ja quasi Privatvergnügen. Währenddessen schreibe ich mit zwei der Beteiligten, immerhin über private Dinge. Die eine ist gerade nach Madrid gezogen, die andere verbringt die nächsten Wochen im Familiendomizil am Mittelmeer und ich bekomme Reiselust.
Genau in dem Moment ruft der Liebste an. Wir hatten verabredet, heute zu entscheiden, ob wir diesen Sommer wieder nach Kanada fliegen können, trotz des um mehr als 20 % gestiegenen Preises für Flug und Mietwagen. Unabhängig voneinander sind wir beide zu dem Schluss gekommen, dass wir es machen wollen und dann sind wir beide sehr froh und ich drücke auf den „Jetzt buchen“-Knopf. Voller Vorfreude bastele ich eine Insta-Story dazu, untermalt von dem Song, den wir letzten Sommer immer gehört haben hören mussten, sobald der Liebste den Motor angelassen hat: Long Hair Queer von den Vandals.
Dann knurrt mein Magen und ich mache mir ein schnelles, schonköstliches Mittagessen – Gemüsebrühe mit TK-Erbsen, Möhren, Suppennudeln, Eierstich und koreanischer. Chilipaste. Nach dem Essen werde ich müde, aber Noosa schnarcht neben mir so laut, dass ich nicht einschlafen kann. Außerdem ist es gleich 15 Uhr und da wollte ich ja kurz in ein Meeting mit einigen Teamkolleg*innen und einem ehemaligen Kollegen reinschauen. Die müssen bis Donnerstag Abend CST ein umfangreiches Projekt abschließen und eigentlich war ich eingeplant, um bei Bedarf auszuhelfen. Als ich bei dem Meeting auftauche, schimpfen sie aber alle mit mir und sagen, ich solle mich gefälligst auskurieren. So kläre ich nur schnell ein für mich wichtiges Thema an dem Projekt und höre dann nur noch zu, als sie durchgehen, was noch zu tun ist. Schon davon bekomme ich Kopfschmerzen. Am Ende des Meetings sage ich nochmal, dass sie mich im Notfall dazuhocken können, aber sie drohen mir mit „I can already hear the German HR sirens ringing, sign off, Susi!“ und dann gebe ich endlich nach.
Ich schimpfe mit mir selbst, kann aber immer noch nicht ganz abschalten und verfolge weiter den Teamchat und lese eine E-Mail. Dann klappe ich den Laptop mit Wucht zu. Jetzt habe ich noch eine gute Stunde Zeit, bis der Liebste und das Teilzeitkind auf Krankenbesuch vorbeikommen. Ich dusche mich und ziehe mich an, dann döse ich auf dem Bett, bis es klingelt. Das Teilzeitkind musste mit zwei Kugeln Eis bestochen werden, damit es seinen freien Nachmittag opfert, um für eine Stunde Krankenbesuch zwei Stunden Bahn zu fahren. Es schaut sich in der Wohnung um und entdeckt mit Adleraugen eine bereits offene Chipspackung, die ich irgendwann letzte Woche aufgemacht hatte, bevor die Bauchproblematik begann. Ja, es darf sich ein paar Chips nehmen. Jetzt ist es versöhnt.
Der Liebste widmet sich heldenmutig dem Katzenklo und saugt danach die Wohnung, während das Teilzeitkind und ich mich um mein Bett kümmern. Es zieht das Laken ab und hilft mir, die Heizdecke zurück in die Verpackung zu friemeln. Dann ist es schon wieder in der Wohnung unterwegs, während ich die Kissen und Bettdecke von den Bezügen befreie und neue Bettwäsche hole. Großmütig hilft es mir dabei, die Kissen zu beziehen und freut sich, als dabei Federn fliegen. Um die Decke kümmere ich mich selbst und dann sind wir fertig, setzen uns auf die Couch und sprechen über den Urlaub.
Das Teilzeitkind will unbedingt wieder in das Bed & Breakfast mit dem rosa Duschvorhang, wo es Muffins zum Frühstück gab. Und da wir diesmal nicht in dem Hotel mit Pool übernachten werden, müssen wir irgendwo einen anderen Pool auftreiben. Wir schauen uns die Fotos vom letzten Jahr an. Bei jedem Foto von sich bewertet das Teilzeitkind erst einmal, ob es darauf gut oder blöd aussieht und wie die Frisur war. Puh. Dann gibt es aber auch diverse Fotos, wo es sagt, dass es da wieder hin will. Unter anderem in das Freiluftmuseum, wo es einen geschmiedeten Nagel geschenkt bekam, mit seinem Alter drauf. „Diesen Sommer bin ich ja dann schon zehn, da brauche ich doch einen neuen Nagel!“ Und wir müssen wieder die Freunde meiner Eltern besuchen, weil man da so toll im Gazebo auf dem See schlafen kann. „Aber diesmal müssen sie mich beim Kochen helfen lassen, da war ich so traurig letztes Jahr!“ (Es gab Lobster und das Kind wurde aus ihm unbegreiflichen Gründen aus der Küche fern gehalten.)
Dann ist es schon wieder Zeit für den Aufbruch. Ich bringe meinen Krankenbesuch noch zur S-Bahn und habe dabei die ganze Zeit eine Kinderhand in der Hand. Am besten wäre es, wenn ich jetzt einfach direkt mitkäme und nicht erst am Wochenende! Hmm, ja. Nee. Ich will zurück ins Bett. An der Bahn treffen wir zufällig den Lieblingsnachbarn, der gerade aus dem Büro kommt und meine Begleitung auf dem Rückweg übernehmen kann. Praktisch!
Wieder zuhause lege ich mich erschöpft zurück ins Bett und verbringe den Rest des Abends mit TikTok, nur unterbrochen von Suppe warmmachen und Essen, Zähneputzen und einer klitzekleinen Antwort auf eine Rückfrage meiner neuen Chefin, die auf das reagierte, was ich morgens ins Doc eingetragen hatte. Morgen muss und werde ich eine bessere Kranke sein! Achja, der Liebste postet den Vandals-Song in seinem WhatsApp-Status, mit dem Hinweis auf die Urlaubsbuchung. Ich weise ihn auf meine Insta-Story hin. Er attestiert mir präemptives Stockholm-Syndrom und erzählt, dass das Teilzeitkind genervt gefragt hatte, ob wir in Kanada wieder die ganze Zeit diese Hoppe Hoppe Reiter Musik hören werden müssen. Ja, das werden wir wohl…