29.05.2023 – Festival-Fazit

Heute wird es auf dem Zeltplatz schon gegen 8 wieder lauter, die Menschen packen zusammen und reisen ab. Ich lasse mir ein wenig mehr Zeit, mein Weg ist ja nicht so weit. Allerdings hat es auch wenig Sinn, lange Zeit zu vertrödeln, wo doch zuhause fließendes Wasser, Strom, Internet-Empfang etc. auf mich warten. Ich verschiebe den Großteil der normalen Morgenroutine auf empfangreichere Zeiten und absolviere die Festival-Morgenroutine: Haare kämmen, in den Schlafsachen und Flip-Flops zum Kompostklo schlurfen, frische Socken und Unterwäsche anziehen, im Liegen in die Hose quälen, Porridge anrühren und frühstücken, zur Waschstation gehen, waschen und Zähne putzen, frisches T-Shirt anziehen.

Dann fange auch ich an, zusammenzupacken. Ich sortiere meinen wenigen Müll in die drei Beutel (Papier, Plastik, Rest), packe meinen Rucksack und meinen Stoffbeutel, stopfe meinen Schlafsack in den Übersack (?), lasse die Luft aus meiner Isomatte und verpacke diese, sammle die Heringe ein, falte die Zeltstangen, lege Innenzelt und Außenzelt zusammen, falte die Wasserschutzplane, falte die Picknickdecke, falte die Fleece-Decke… Am Ende liegen da wieder ein Reiserucksack, ein re:publica-Stoffbeutel und eine Ikea-Tasche voller Campingzubehör. Ich bringe meine drei Müllbeutel zur Sammelstation und sammele unterwegs noch einiges ein, aber sie werden nicht einmal halb voll. Viele Besucher*innen sind inzwischen so müllsparsam unterwegs, dass herumliegender Müll zum Füllen der Beutel ein begehrtes Gut ist. Früher gab es nur gegen volle Beutel Pfand zurück, inzwischen hat man aber wohl eingesehen, dass die Beutel einfach nicht mehr voll werden. Ich entscheide mich statt der 5 € Pfand für einen schicken Immergut-Beutel, mit dem ich dann wohl nächste Woche auf der re:publica auflaufe.

Auf dem Rückweg laufe ich praktischerweise meiner Berliner Bekannten über den Weg und kann ihr gleich noch die Ikea-Tasche bringen, bevor sie mit ihrem Bulli zurück nach Berlin fährt. Dann schultere ich Rucksack und Stoffbeutel und fahre mit Pendelzug, RegionalExpress und S-Bahn wieder nach Hause. Gleich ab Neustrelitz Hbf gibt es wieder Empfang und ich nutze die Zugfahrt zum Bloggen. Auf dem Nachhauseweg von der S-Bahn kaufe ich noch ein Kilo Erdbeeren am Erdbeerhäuschen und dann bewege ich mich heute keinen Schritt mehr vor die Tür.

Zuhause wollen Katzen gefüttert und Pflanzen gegossen werden. Das Katzenklo wird durchgesiebt und eine erste Maschine Wäsche dreht ihre Runden. Ich lege mich erst einmal zum Einweichen in die Badewanne und telefoniere mit dem Liebsten, der ebenfalls gerade von seinem Wochenende an der Ostsee zurückgekommen ist. Dann wasche ich mich gründlich und dusche nochmal allen Dreck ab, bevor ich mich auf dem Sofa niederlasse und Sushi bestelle – in Mehrwegdosen, was irgendwie dazu führt, dass man im Restaurant vergisst, wie man Sushi richtig transportfähig verpackt. Es sieht nicht schön aus, schmeckt aber sehr gut.

Eigentlich wollte ich gleich noch im Mecklenburg-Strelitz-Vibe bleiben und die neue Staffel Bridgerton weitergucken, aber irgendwie spinnt Netflix auf dem Fernseher. Ich kümmere mich also um meine Sprachlernsachen, schaue ein wenig TikTok und lese dann in meinem Buch weiter. Und ich lasse das Festivalwochenende Revue passieren – hier ein paar Bemerknisse:

-Ich bin mal wieder alleine hingefahren und habe auch bei meinem 9. Immergut vor Ort wieder jede Menge bekannte Gesichter getroffen – 20 um genau zu sein. Erstaunlich, wie das immer noch geht – die meisten von ihnen waren auch bei meinem ersten Immergut 2006 dabei.

-Seit 2006 haben sich Charakter, Musik und Publikum des Immergut stark gewandelt, ob das nun am Zeitgeist liegt, am Wechsel des Organisationsteams oder einfach daran, dass ich älter werde, sei mal dahingestellt.

-Ich habe weniger Spaß an der Musik als früher, dafür aber an den Lesungen, Diskussionsrunden und Denkanstößen.

-2006 standen nur wenige Frauen auf der Bühne, 2023 würde ich von Parität sprechen, auch wenn ich nicht explizit nachgezählt habe.

-2006 gab es nicht so wahnsinnig viel vegetarisches Essen zur Auswahl, 2023 gab es nur an zwei der Stände überhaupt Wurst im Angebot.

-Das Immergut ist sehr nachhaltig geworden – Müllpfand gab es damals schon, aber jetzt wird der Müll getrennt, es gibt Immergutbecher, die man an allen Ständen nutzen kann, es gibt Kompostklos und es gibt Wasserhähne, an denen man sich kostenlos bedienen kann.

-Überhaupt, Kompostklos sind der Shit! In den Nuller Jahren konnte man nur freitags und dann jeweils Samstag und Sonntag morgens einigermaßen OK auf die Dixies gehen und hat sich alles andere verkniffen. Heute ist der Klobesuch rund um die Uhr und an allen Tagen angenehm, sauber und geruchsarm.

-Diversität und Awareness spielen eine immer größere Rolle – es gibt ein Awareness-Team, das man ansprechen kann, es gab einen Privilegien-Check, mit dem man sich auseinandersetzen konnte, ein trans Autor hat gelesen, LGBTQIA+ Leute waren da und sichtbar und anders als 2006 habe ich auch eine signifikante Anzahl Nichtweiße Besucher*innen und Künstler*innen wahrgenommen.

-Es liefen jede Menge Kinder herum und wurden ins Festivalgeschehen einbezogen, das hängt sicherlich mit dem Älterwerden des Stammpublikums zusammen, die meisten von denen hatten in den Nuller Jahren noch keine Kinder. Das Immergut wäre aber damals auch noch kein so guter Ort für Kinder gewesen.

Ich frage mich, ob all diese Entwicklungen mit dem Musikwandel – weg von gitarrenlastiger „ehrlicher Rockmusik“ hin zu vielfach mit elektronischen Hilfsmitteln hergestellter „Popmusik“ mit Show-Effekten – zu tun haben. Und ob ich das OK finde, bei der Musik Abstriche zu machen, wenn ich dafür den ganzen Rest haben kann. Hab ja noch ein Jahr Zeit, mir darüber Gedanken zu machen.

Das Immergut war dann übrigens auch der letzte Auftritt dieses Paars Sneaker. Ich habe sie Anfang Oktober auf Procida aus der Not heraus für 24,99 € gekauft, weil meine Chucks sich aufgelöst haben und ich sonst nur Flip-Flops dabei hatte. Und da sie schrecklich bequem waren, habe ich sie seitdem fast jeden Tag getragen – außer, wenn ich krank darniederlag und an den 1-2 Tagen im Winter, an denen mir Stiefel angemessener schienen. Sie haben mir gute Dienste geleistet und mein Wiedererstarken nach den beiden Covid-Erkrankungen begleitet – vor allem den wochenlangen 10.000+-Schritte-Streak Anfang des Jahres, mit dem ich mich zurück ins Leben gelaufen habe. Vor 1-2 Wochen fingen sie an, Auflösungserscheinungen zu zeigen und da fürs Immergut kein Regen angesagt war, beschloss ich, dass sie mit diesem Festival einen würdigen Abschied feiern könnten. Das waren sehr gut investierte 24,99 €, danke!

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