Reisetagebuch 6. September 2019 – Rom #loosinterrail

Nach einer weiteren sehr erholsamen Nacht im kleinen Dorf erwache ich, um mir heute das krasse Gegenteil zu geben: Rom! Eigentlich widerspricht dieser Abstecher ja meinen Vorsatz, mich drei Wochen lang am Meer oder zumindest in unmittelbarer Umgebung des Meeres aufzuhalten. Aber wie das so ist: Alle Wege führen nach Rom, zumindest in Italien. Es gibt tatsächlich keine vernünftige Zugverbindung vom Nordwesten in den Südwesten, ohne dass man über Rom fährt. Und da kann ich doch auch gleich die Gelegenheit nutzen, mich ein wenig dem römischen Essen zu widmen. Seit ich 2015 den Language of Food-Workshop bei ihr gemacht habe, lese ich in ihren Kochbüchern, Artikeln im Guardian, Instagram-Posts und in Rachel Roddys Blog regelmäßig über das Leben und Essen in Rom und besonders in Testaccio, dem Viertel, in dem sie lebt. Also dachte ich mir, ich schau mir das ganze mal aus der Nähe an, und habe mir ein AirBnB gleich dort in der Nähe ausgesucht.

Denn in Rom selbst war ich schon zweimal – erst 2009 mit Il Professore, als ich ihn auf einem Forschungsaufenthalt begleitet habe und dann 2013 nochmal mit dem Hasen, als wir Il Professore über Pfingsten dort besucht haben, der für mehrere Monate in der Stadt weilte. Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten – Kolosseum, Petersdom, Vatikanische Museen, Forum, Capitol, Pantheon usw., habe ich also alle schon einmal oder gar zweimal gesehen. Das gibt mir die Freiheit, sie dieses Mal links liegen zu lassen und mich auf die mir wichtigen Dinge zu konzentrieren.

Gegen Mittag komme ich an und stelle als erstes fest, dass der Bahnhof Ostiense, in der Nähe meines AirBnBs und von Testaccio, keine Gepäckaufbewahrung besitzt. Da noch nicht klar ist, ab wann ich einchecken kann – der Host hat meine Buchung zwar schon vor Tagen angenommen, aber sich bisher noch nicht persönlich bei mir gemeldet oder auf Nachrichten reagiert, fahre ich also weiter zum Hauptbahnhof Termini, um dort mein Gepäck abzugeben. Ähnlich wie in La Spezia aber anders als in Palermo gibt es auch hier keine Schließfächer, sondern drei Schalter, an denen man Gepäck abgeben und wieder abholen kann – nicht ohne vorher eine Nummer zu ziehen und gemeinsam mit diversen anderen Reisenden ewig in der Schlange zu stehen. Zwanzig Minuten dauert es, dann bin ich mein Gepäck los und trete aus dem Bahnhof. In diesem Moment meldet sich dann mein Gastgeber und ich will mich schon ärgern, dass ich jetzt umsonst angestanden und Geld bezahlt habe. Aber nein, er ist ans Meer gefahren und wird erst heute Abend zurück sein. Also doch alles richtig gemacht. Übrigens findet die Konversation per WhatsApp und auf Italienisch statt – ich bin ein bisschen stolz, dass ich das kann.

Jetzt liegen also ein paar freie Stunden in Roms Zentrum vor mir, außerdem ist es langsam Zeit etwas zu essen. Logischerweise mache ich mich also zunächst auf zu Giolitti, in die beste Eisdiele der Stadt. Ein schönes Gefühl, an den Menschenmengen vorbeizulaufen, die in Scharen zur Fontana di Trevi oder zur Piazza Navona laufen. Been there, done that, thanks. Bei Giolitti bin ich auch zum dritten Mal, aber dieses Vergnügen ist ja dank der vielen Sorten jedes Mal ein anderes. Ich habe Glück und nur wenige Menschen vor mir in der Schlange. Für meine coppa grande wähle ich die vier Sorten Granatapel, Brombeere, Wildkirsche und Birne-Walnuss-Karamell, dazu gibt es natürlich noch eine Portion Sahne. Das muss bei Giolitti sein, denn erstens ist sie im Preis inbegriffen und zweitens schmeckt sie leicht angefroren vom Eis wirklich vorzüglich. Der Eismensch fragt mich übrigens auf Englisch nach meinen Wünschen, ich antworte auf Italienisch und bekomme das Eis dann mit deutschen Worten überreicht. Einen Akzent habe ich also ganz eindeutig, auch wenn mir nicht klar ist, an welchen Lauten er festzumachen ist, habe ich doch mein Italienisch hauptsächlich aus kampanischen Mündern, also quasi mit süditalienischem Dialekt gelernt.

Als ich die Eisdiele verlasse stehen draußen schon wieder Menschenmassen in der Schlange, mein Timing war also wirklich perfekt. Ich suche mir eine ruhige Ecke zum Hinsetzen und löffle genüsslich mein Eis. Hier muss ich die Zero-Waste-Sache leider mal aufgeben, denn vier Kugeln schmelzen schnell und ich esse Eis eher langsam, eine Waffel wäre also sicherlich durchgeweicht und außerdem mit der Sahne dazu dann doch etwas viel gewesen. Nach dem Aufessen sehe ich auf Google Maps, dass ich mich schon fast am Tiber-Ufer befinde und spaziere also dort hin und dann im Schatten der Platanen am Fluss entlang – beginnend an der Engelsburg und endend am Ponte Sisto.

Von dort geht es durch enge Gassen mit eher alternativen Läden und Streetart zum Campo dei Fiori, wo gerade der Markt abgebaut wird. Ich nicke Giordano Bruno einen Gruß zu – pflichtbewusst, denn nichts anderes hätte Il Professore von mir verlangt, wäre er dabei – und spaziere weiter zum Largo di Torre Argentina, wo in einer archäologischen Ausgrabungsstätte viele, viele Katzen leben. Auch sie wollen jedes Mal besucht werden, wenn ich in Rom bin. Inzwischen gibt es dort auch einen Verein, der die Katzen füttert, impft und sterilisiert. Man kann gegen Spenden Souvenirs erwerben, eine Katze aus der Ferne adoptieren oder einfach so Spenden da lassen.

Dann bewege ich mich langsam und gemächlich wieder in die grobe Richtung Termini und komme dabei fast zufällig am Capitol und der Trajan-Säule vorbei. Als ich in der Ferne das Kolosseum entdecke, schreibt mir mein Host, seine ungefähre Ankunftszeit, die bedeutet, dass ich mich so langsam auf den Weg machen kann. Bis Termini habe ich noch ein wenig zu laufen,

Ich stelle mich wieder in die Schlange an der Gepäckaufbewahrung, habe meinen Rucksack diesmal aber schon nach etwa zehn Minuten wieder. Dann schaue ich in meiner Interrail-App nach dem nächsten Zug nach Ostiense – es fährt von hier aus zwar auch eine U-Bahn, die nur fünf Minuten braucht, aber für die müsste ich ein Ticket kaufen und mich erstmal in das U-Bahn-System einfuchsen. Der Regionalzug hingegen ist schon bezahlt und da er einen großen Bogen ums Zentrum fährt und 15 Minuten braucht, sehe ich auch noch etwas von der Stadt, zum Beispiel den riesigen Parco Regionale Appia Antica, der mich kurz überlegen lässt, ob ich wirklich noch in Rom bin oder aus Versehen den falschen Zug erwischt habe. Aber nein, es hat alles seine Richtigkeit.

In Ostiense steige ich aus und laufe vorbei an der Pyramide, die den Eingang zu Testaccio markiert, zu dem alten Palazzo, in dem mein Host lebt. Er empfängt mich an der Straße, dann steigen wir erst eine Treppe hinauf, um in den sehr grünen Innenhof zu gelangen, von dem die verschiedenen Aufgänge zu den Wohnungen führen. Sie sind alphabetisch benannt und wir müssen zum Aufgang O. Oben erwartet mich ein kleines Studio-Apartment mit Wohnküche, Bad und Schlafzimmer. Mein Host selbst wird das Wochenende über nicht da sein, so dass ich die komplette Wohnung für mich haben werde. Aber erst putzt er noch schnell das Bad fertig und gibt mir Tipps, wo ich in der Nähe gut und authentisch römisch essen gehen kann.

Ich ruhe mich ein wenig aus und mache mich frisch, dann laufe ich gegen 20 Uhr hinaus ins römische Nachtleben. Ich freue mich über die hiesige Streetart mit einem Portrait von Antonio Gramsci – eine weitere Erinnerung an Il Professore. Dann erreiche ich die von meinem Host empfohlene Pizzeria, die “günstig, aber sehr gut” ist und außer Pizza auch Bruschetta, Fritti, Pasta (4 traditionelle römische Sorten und Gnocchi, aber die nur donnerstags), Fleisch, Fisch und Desserts serviert. Sie ist sehr groß, laut und hektisch, aber so stelle ich mir das in Rom auch vor. Ich bekomme einen Tisch gleich am Eingang und in der Nähe des Pizzaofens und kann den Pizzaioli bei der Arbeit zusehen. Beim Bestellen erinnere ich mich wieder an alles, was ich je bei Rachel gelesen habe und entscheide mich für Supplì, Fiore di Zucca, Cacio e pepe und weil das alles ziemlich teig- und fettlastig ist noch eine Insalata Mista. Sie kommt als eine große Schüssel voll verschiedener Blattsalate und Tomatenstücke auf den Tisch, dazu gibt es Olivenöl, Balsamico und Salz. Achja und ein Viertel vom roten Hauswein habe ich natürlich auch bestellt – der erste Rotwein auf dieser Reise.

Es ist alles wahnsinnig lecker und unglaublich schnell auf dem Tisch. Die beiden Fritti esse ich natürlich stilecht mit den Fingern, die dabei schön ölig werden. Der Mozzarella zieht eine lange Schnur zwischen Supplì und meinem Mund, bei der Fiore di Zucca werden Erinnerungen an meine erste – damals bei der Hochzeitsfeier auf dem Rasen einer Villa bei Bologna – wieder wach (und an meinen eigenen bisher einzigen Versuch, das nachzukochen) und bei der ersten Gabel Cacio e pepe überlege ich kurz, ob man Nudeln heiraten kann. Auch der Salat ist lecker und knackig-frisch und die perfekte Ergänzung. Der Wein ist einfach aber stimmig und so bin ich schnell sehr zufrieden und sehr satt. Ein Dessert schaffe ich nicht mehr, also bezahle ich schnell – mit Trinkgeld 20 € für dieses Festmahl – und gehe wieder zurück auf die Straße, wo inzwischen an die 40 Leute auf einen Tisch oder ihre Pizza zum Mitnehmen warten. Wieder perfektes Timing! Ich laufe zurück in meine Unterkunft und kehre noch kurz bei einem Obst- und Gemüseladen ein, den ich auf dem Hinweg bereits gesehen hatte. Als leichten Nachtisch und Snack für morgen früh hole ich mir ein paar Pflaumen und Trauben. Und dann geht es auch schon sehr schnell ins Bett.

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