Reisetagebuch 2. September 2019 – Genua #loosinterrail

27.879 Schritte, sagt die App (ich muss aber gleich nochmal ins Bad), das sind 18,8 km und 23 Stockwerke bin ich auch hoch- oder runtergelaufen. Dazu habe ich noch lokal begrenzten Sonnenbrand am Dekolleté, an Oberarmen und Oberschenkeln. Das mit dem Eincremen üben wir dann also morgen noch einmal. Reicht eigentlich als Zusammenfassung des Tages, oder?

Na gut. Ähnlich wie zuletzt in Berlin auch fast immer, wache ich viel zu früh auf, nämlich um halb 6. Dabei ist es weder im Hostel noch draußen auf der Straße laut. Ich bin halt einfach wach. Versuche zunächst mit einem Podcast und später mit Lesen wieder einzuschlafen, aber das ist mal wieder nicht von Erfolg gekrönt. Zumal ich ja auch in einer mir neuen Stadt bin, die entdeckt werden will! Zunächst gönne ich aber meinem müden Körper noch etwas Ruhe und schreibe meinen Blogeintrag fertig, lese mich durchs Internet, schreibe mit ein paar Freund*innen… Gegen halb 9 stehe ich auf, dusche und mache mich fertig für den Tag. Kurz nach 9 verlasse ich dann das Hostel und laufe zunächst einmal schnurstracks ans Meer, in diesem Fall an den Hafen, der nur wenige Fußminuten entfernt liegt. Leider ist der schöne Naturhafen zugebaut mit Hafenzeugs und der so genannte antike Hafen steht voller moderner Gebäude und Amüsement-Zubehör. Vom Wasser sieht man so gut wie nix. Aber ich wollte ja eh eine ganze Weile laufen und den Corso Italia entlang zum Vor- und Badeort Boccadasse promenieren.

Nur muss ich den Corso erstmal finden. Direkt am Wasser gibt es nur eine hässliche und viel befahrene Hochstraße, also muss ich erstmal quer durch die Stadt. Blöderweise geht quer in Genua nicht gut, zumal besagtes Stadtviertel irgendwie auf einem Berg liegt. Es geht also viel nach links und rechts und vor allem sehr viel hoch und runter und ich mache hunderte Umwege. Hoch über dem Meer auf einem Aussichtspunkt nehme ich an einer Bar erstmal das obligatorische Frühstück – Cappuccino und süßes Teilchen – ein.

Dann suche ich mir wieder einen Weg nach unten und nach vielem Herumgeirre bin ich dann tatsächlich irgendwann auf dem Corso Italia, der wirklich sehr schön ist und direkt am Meer entlangführt. Es handelt sich dabei vor allem um eine breite Promenade, ohne viel Schatten oder Kioske oder Eisstände oder… Aber halt mit Aussicht auf blaugrünes, glitzerndes tyrrhenisches Meerwasser. Immer geradeaus geht es nach Boccadasse, an dessen Eingang mich die Kirche des Heiligen Antonio von Boccadasse mit einer geöffneten Seitentür und dem Blick auf ein maritim-blaues Kirchenfenster, durch das die Sonne gerade hindurchscheint, empfängt. Fasziniert trete ich ein – normalerweise bin ich ja keine Kirchenguckerin – und mache Fotos vom Kirchenfenster. Dann verlasse ich die Kirche auf der gegenüberliegenden Seite und sehe, dass ich nur ein paar Schritte nach unten gehen muss und schon am Wasser stehe.

Die Piazza Nettuno ist ein Kuriosum. Eine winzig kleine Piazza, umgeben von Wohnhäusern, einer Bar und einer Gelateria, und in der Mitte statt Piazza eben ein Kieselstrand, der voller (vermutlich einheimischer) Leute ist, die dort liegen, sich sonnen und im Wasser baden. Ich habe Lust, ein bisschen da zu bleiben und vor allem, etwas Kaltes zu trinken. In der Bar bestelle ich mit Blick auf die herumliegenden Zitronen eine Limonade, bekomme aber nur ein Fertiggetränk angeboten. Ich ändere also zu frisch gepresster Zitrone mit Wasser und werde ungläubig angeschaut. Dann presst man mir 1,5 (!) Zitronen in ein Whiskyglas (!), schmeißt Eiswürfel dazu und einen Schluck Wasser und das Ganze kostet dann 3,50 €. Zum Glück habe ich ja meine Wasserflasche dabei und kann nach dem Abtrinken der ersten sauren Schlucke immer nachfüllen, solange, bis am Ende ein wirklich wohlschmeckendes Getränk dabei herauskommt. Mit dieser improvisierten Limonade setze ich mich auf einen Stuhl am Kieselstrand und schaue auf Wasser und Menschen. Nach einer Weile habe ich genug, gebe mein Glas wieder ab, fülle meine Wasserflasche am Brunnen auf und laufe weiter.

Es gibt hier nämlich noch deutlich mehr Strand. Also, irgendwo, in der nächsten Bucht. Und dazwischen wieder ein enges Straßen- und Gassengewirr mit viel rechts und links, hoch und runter. Kein Wunder, dass ich auf so viele Kilometer komme! Der richtige Strand ist dann sogar noch einen Ort weiter, in Sturla. Inzwischen bratzt die Sonne ordentlich vom Himmel, es ist kurz nach 12. Ich möchte mich in den Schatten legen, aber der Strand hat keinen, außer man bringt ihn sich mit oder mietet ihn sich. Also gebe ich 5 € aus, um den bewirtschafteten Strand zu betreten und noch einmal 5 € für eine Liege mit Sonnendach, die ich mir dann nah ans Wasser rücke. Mein Kopf ist im Schatten (wichtige weitere Körperteile nicht so, siehe oben), das Meer rauscht und ich liege gemütlich rum, genieße das Leben und plane meine nächsten Tage.

Kurz nach 2 wird es mir zu heiß und trotz mehrfachen Eincremens merke ich, dass der Sonnenbrand naht. Außerdem verspüre ich ein Hüngerchen. Ich setze mich also auf einen unbequemen Plastikstuhl unter das Sonnendach der Strandbar, schlürfe eine Granità mit Minzgeschmack, snacke eine kleine Tüte Kartoffelchips und lese weiter in den “Sternstunden der Menschheit”. Das Meer rauscht weiterhin fröhlich vor sich hin und je später der Tag, desto mehr Wind und damit auch Wellen kommen auf. Gegen 15:30 kommen die ersten Italiener*innen zurück an den Strand, scheinbar ist die größte Mittagshitze offiziell vorbei. Da ich aber weder Flip Flops noch Badesachen dabei habe und also weder ans noch ins Wasser komme, breche ich auf und laufe auf ähnlichen, aber nicht ganz den gleichen Wegen, zurück ins Zentrum. Immerhin kann ich jetzt ab und zu die Schattenseite der Straße nutzen und ein leichtes Lüftchen weht auch, zumindest, wenn ich schnell genug laufe. Die Wellen schwappen schäumend über die Steine am Ufer und alles fühlt sich schön meerig-maritim an auf dem Corso Italia. Meer macht allerdings auch Gedanken, solche, wegen derer ich wieder viel Licht und Liebe nach Irgendwo schicken muss und dann den Schritt noch etwas beschleunigen, damit sie sich nicht festsetzen können.

Am Ende des Corso angekommen, wähle ich diesmal eine andere Route und hoffe so, allzu viel Auf und Ab vermeiden zu können. Das klappt auch einigermaßen. Ich laufe stattdessen breite Prachtstraßen unter schönen Platanen entlang, schnurgerade und auch weitestgehend flach. Am Triumpfbogen vorbei geht es unter einem Berg hindurch durch einen Tunnel. Puh. Ich bin ja eigentlich nicht ängstlich, aber so ein sehr langer, glatter Tunnel ist schon etwas beklemmend. Laut, stinkend und eben laaaaaaang. Aber da auch andere Fußgänger*innen dort hindurchliefen, soll das wohl so und irgendwann war auch der Tunnel zu Ende und ich wieder einigermaßen im Zentrum. Dort lief ich vorbei am angeblichen Geburtshaus von Columbus, dem ollen Verbrecher, hinein (und hinauf, leider) in die Altstadt.

Wieder enge Gassen und niedliche Lädchen und dann große, offene Plätze. Auf der Piazza di Ferrari setze ich mich zunächst an einen riesigen rauschenden Springbrunnen. Doch mit dem sich drehenden Wind bläst der Brunnen plötzlich lauter Wassertröpfchen auf mein Telefon-Display und das ist mir dann doch etwas zu anstrengend. Also setze ich mich dem Brunnen gegenüber auf die Stufen vor dem Palazzo Ducale. Drinnen gibt es kostenlose Kunstausstellungen, gerade unter anderem von De Chirico. Mein Ex-Ex-Freund hätte seine helle Freude daran gehabt, aber da er nicht mit ist, fühle ich mich nicht verpflichtet, hineinzugehen. Stattdessen sitze ich gemütlich auf den Stufen und lese die “Sternstunden der Menschheit” zu Ende.

Dann flaniere ich, immer müder werdend, noch ein wenig durch die Straßen auf der Suche nach einem abendlichen Imbiss. Obwohl ich heute wenig gegessen habe und viel gelaufen bin, habe ich keinen richtigen Hunger. Eigentlich hätte ich gerne eine Farinata (Kichererbsenpfannkuchen) mit ordentlich Gemüse, aber sowas finde ich irgendwie nicht auf die Schnelle. Irgendwann habe ich genug vom Herumgelaufe und hole mir schnell entschlossen ein großes Stück Focaccia mit Tomaten für 2 € und in einem Laden um die Ecke vom Hostel noch ein halbes Kilo Tomaten, ein halbes Pfund Trauben und einen Liter Pfirsichsaft, für zusammen 2,80 €. Supergünstiges Abendbrot ist schließlich auch gut fürs Urlaubsbudget. Die Tomaten veredle ich dann in der Hostel-Küche noch mit Meersalz und Olivenöl. Ich esse, während andere Hostel-Bewohner Brownies backen. Einen Rest Trauben und den Rest Saft nehme ich mit hoch auf mein Zimmer – zum Snacken beim Bloggen. Bevor es ans Bloggen geht, wird allerdings erstmal der Sonnenbrand mit Aloe Vera versorgt. Zum Glück habe ich da noch ein angebrochenes Fläschchen dabei…

Reisetagebuch 1. September 2019 – Von Berlin nach Genua #loosinterrail

Der Wecker klingelt morgens um 4 und reißt mich unverhofft aus meinen Träumen – dabei war ich doch zwischendurch schon dreimal wach, seit ich gegen 21 Uhr ins Bett gegangen bin. Sei’s drum, jetzt wird es ernst! Ich kuschele kurz mit Nimbin, der wie immer morgens neben mir liegt und sammle meine Gedanken. Dann stehe ich auf, mache mich fertig, verstaue letzte Utensilien im Rucksack und schmiere mir eine Stulle für den Weg. Dann noch Katzen füttern, Blumen gießen, Noosa verabschieden und schon geht es los – vollbepackt mit großem Reiserucksack auf dem Rücken, kleinem Tagesrucksack vor der Brust und schwerem Proviantbeutel – 3 l Getränk plus 0,5 l Grießbrei mit Rosinen, Käsestulle, Gurken, Tomaten, Studentenfutter – in der Hand. Der Sommer ist so langsam vorbei, es ist noch stockdunkel in Berlin. Allerdings bin ich nicht alleine auf den Straßen, denn in Berliner Zeitrechnung ist es natürlich noch Samstagnacht und nicht etwa Sonntagmorgen. Am S-Bahnhof und in der Ringbahn begegne ich Partymenschen auf dem Weg zur nächsten Location oder nach Hause ins Bett, während mein großes Abenteuer gerade beginnt.

Am Gesundbrunnen steige ich mit wenigen anderen Leuten in einen leeren ICE ein und suche mir ein gemütliches, nicht reserviertes Plätzchen. Eigentlich wollte ich ja noch eine Weile schlafen, aber der Zug hält erstmal noch am Hauptbahnhof und in Südkreuz, wo jeweils viele Menschen zusteigen und dann ist in der Dreiviertelstunde bis Wittenberg auch noch Fahrscheinkontrolle. Also wird es erst einmal nichts mit dem Schlafen. Stattdessen lese ich (Stefan Zweig – „Schachnovelle“) und denke an das Fräulein, dem ich vom Wittenberger Bahnhof aus hinüber zum Friedhof zuwinke. In Gedanken nehme ich es mit auf die Reise, denn bei unserem letzten Treffen im März hatten wir noch darüber gesprochen, ob wir nicht ein paar Stationen davon gemeinsam befahren wollen…

Ungefähr bei Leipzig hole ich dann mein Essen heraus, nach drei Stunden Wachsein kann man ruhig mal frühstücken. Erstaunlicherweise ist mir eher nach dem herzhaften Teil des Proviants, gibts den Grießbrei eben später. In den nächsten Wochen werde ich ja sowieso vorwiegend süß frühstücken. Kurz nach dem Essen ist die Novelle ausgelesen, stattdessen schnappe ich mir den Reiseführer und lese mich ein wenig zu Genua und Ligurien ein und überlege, wie es danach weitergehen soll auf meinem Interrail-Trip durch Italien. Als ich genug vom Lesen habe, schaue ich nach draußen und befinde mich ganz offensichtlich im „grünen Herzen Deutschlands“. Ein kurzer Blick auf die Karte verrät mir, dass wir Thüringen dabei sogar schon verlassen haben und uns bereits in Hessen befinden. Wie erwartet, überkommen mich dabei ein paar traurige Gedanken an jemand anderen, der mich eigentlich auf zumindest einen Teil dieser Reise begleiten wollte, bis dann doch alles anders kam. Bevor ich zu sehr ins Grübeln verfalle, schnappe ich mir meinen Laptop und schreibe diesen ersten Teil des Reisetagebuchs – nicht ohne dabei auch ein bisschen Licht und Liebe nach Wo-auch-immer-Du-gerade-bist zu senden.* Vielleicht liest Du ja hier noch ab und zu mit, das wäre schön!

In Frankfurt wird es ein bisschen spannend: Wir fahren mit fünf Minuten Verspätung los, die sich bis Mannheim noch auf acht Minuten ausdehnen. Dabei habe ich doch in Mannheim planmäßig nur neun Minuten Umsteigezeit! Die Schaffnerin meint, das würde wahrscheinlich klappen, da der Zug nach Basel direkt vom Nachbargleis fahre und auch „der halbe Zug“ den nehmen möchte. Na gut. Kurz vor Mannheim dann Alarm: Auf dem Display im Zug steht, der Anschlusszug warte nicht. Ich wundere mich nicht, fährt er doch in die Schweiz und wir wissen ja alle, wie wenig die Schweizer*innen Verspätungen schätzen. Das Gute: Der nächste Zug nach Basel fährt nur zehn Minuten später und mit dem erreiche ich immer noch meinen Anschlusszug, auch wenn sich dafür dann die Umsteigezeit in Basel auf sportliche acht Minuten reduziert. Doch es kommt alles anders – der Anschlusszug steht noch da, als wir in Mannheim einfahren und da sofort alle rüber sprinten, kann man wohl nicht anders, als sie an Bord zu nehmen. Am Ende fährt der Zug mit knapp zehn Minuten in Mannheim los, holt diese aber bis Basel fast vollständig auf.

Auf dem Weg fahren wir übrigens durch Offenburg, wo ich in Gedanken an eine tolle Hochzeit schwelge und den beiden Bräuten, die inzwischen ja auch in Berlin leben, Grüße sende. In Basel begrüßt mich dann zunächst eine SMS, dass ich für jeden Tag, an dem ich mein Telefon nutze, automatisch 5,99 € Roaming-Gebühren zahle. Ach richtig, da war ja was. Hallo Schweiz, hallo Nicht-EU-Ausland! Ich bleibe nur vier Stunden, aber da ich ansonsten heute recht sparsam lebe, zahle ich die Gebühren gerne und bleibe weiterhin mit den lieben Menschen nah und fern verbunden. Auch hier steht mein Anschlusszug bereits wieder auf dem Nachbargleis, dabei hätte ich diesmal eine Viertelstunde Umsteigezeit gehabt. Ich dachte ja, dass das alles ganz schön knapp ist, aber scheinbar ist die App, die zum Interrail-Ticket gehört ganz schön clever und stellt mir keine Verbindungen zusammen, die man nicht schaffen kann. Im nächsten Abschnitt geht es im gemütlichen Vierersitz, den ich ganz für mich allein habe (sehr angenehm, nachdem ich mir im letzten Zug das Abteil mit drei Erfurter Wandervögeln teilte), mit Panoramablick einmal quer durch die Schweiz – bis nach Lugano. Schnell stelle ich fest, dass schräg gegenüber dafür jetzt vier Aachener Wanderfreundinnen sitzen, die sich in schönem Dialekt über Diät-Tipps austauschen. Ich löffele stumm meinen halben Liter Grießbrei mit Rosinen und schaue aus dem Fenster in die Schweizer Landschaft.

Die wird irgendwann nach Luzern dann richtig alpin. Schroffe Felswände, wolkenverhangene Gipfel, riesige Gletscherseen. Irgendwo am Vierwaldstädtersee (kurzer Gedanke ans Exil der Familie Mann und mit den Manns auch wieder ans Fräulein – ach…) ist mein 2-l-Tetrapak Eistee alle, es ist gerade einmal kurz nach 15 Uhr und ich habe bereits 2/3 meines Getränkevorrats geleert. Zusätzlich zu dem halben Liter Wasser, den ich morgens nach dem Aufstehen getrunken habe. Ein wichtiges Learning für die Rückfahrt, bei der ich allerdings ingesamt 27 Stunden unterwegs sein werde – keine Ahnung, wie ich das dann löse, aber darüber kann sich Zukunftsloosy Gedanken machen. Gegenwartsloosy hat noch einen Liter Wasser in ihrer Trinkflasche und teilt sich den jetzt am besten gut ein, dann muss sie auch nicht so oft auf Zugtoiletten. Mit der Alpiniizität kommen neben schönen Bergen und Seen leider auch viele Tunnel, so dass das Hinausschauen zwischendurch immer wieder wenig ergiebig wird. Gelegenheit, hier weiter zu schreiben und außerdem auch weiter zu lesen. Ich bleibe erstmal bei Stefan Zweig, jetzt sind die „Sternstunden der Menschheit“ dran. Merke: Wer alleine reist, kann viel lesen. Und wer wenig schleppen will, der kann sich für den E-Reader diverse Klassiker der Weltliteratur für umsonst oder einen schmalen Taler besorgen.

Nach einem besonders langen Tunnel, der fast für eine komplette Sternstunde reicht, sind alle Beschriftungen vor dem Zugfenster auf einmal auf Italienisch – wir haben das Tessin erreicht! Ab jetzt fühlt sich diese Reise wirklich nach Urlaub an. Nur noch einmal umsteigen vor Italien, und zwar in Lugano. Auch jetzt sind es wieder nur neun Minuten Zeit, aber diesmal mache ich mir keine Sorgen, denn noch sind wir in der Schweiz und bei der SBB CFF FFS gibt es keine Verspätungen! In Lugano war ich übrigens schonmal – irgendwann in den 90ern auf der Durchreise nach Frankreich, meine ich, wirklich erinnern kann ich mich nicht mehr – nur an einen großen See, das kann aber auch der Lago Maggiore gewesen sein, denn übernachtet haben wir damals in Locarno. Lugano ist auf jeden Fall bereits südlich der Alpen, das merke ich beim Aussteigen sofort – die Sonne hat eine ganz andere Kraft, die Luft fühlt sich anders an und der Himmel ist irgendwie viel blauer. Zeit, die Sonnenbrille rauszuholen! Nach den angepeilten neun Minuten geht es gemütlich mit dem Bummelzug (17 Stationen in 75 Minuten) über die Grenze und nach Mailand.

Genau am Grenzbahnhof in Chiasso höre ich das erste charakteristische „Allora…“ von einer Mitreisenden und merke, wie ich mich instantan entspanne. Italien, da bin ich wieder! Für einen Moment fallen alle Lasten der letzten Wochen von mir ab und ich fühle mich ausgeglichen und angekommen. Gleich fange ich an, meine nächsten Mahlzeiten zu planen und der Gedanke, dass ich in den nächsten drei Wochen täglich nur drei Dinge klären muss (Wo schlafe ich? Was esse ich? Wann sehe ich das Meer?), malt mir ein dickes Grinsen ins Gesicht. Ich fange an, um mit Eat Pray Love (siehe *) zu sprechen, mit meiner Leber zu lächeln und das scheinen mir beste Voraussetzungen für diesen Urlaub zu sein.

Eigentlich wollte ich ja in Mailand die 35 Minuten Aufenthalt nutzen, um gemütlich einen Aperitivo zu trinken und die Wahlprognosen aus Sachsen und Brandenburg zu verarbeiten. Allerdings bin ich ja jetzt in Italien und damit sind die Züge wieder nicht so pünktlich. Außerdem muss ich bis zum allerletzten Gleis laufen, um meinen kleinen regionalen Bummelzug zu finden und dann wird es mir doch zu hektisch. Ich sitze also im Zug, als ich die Wahlprognosen lese, ohne Alkohol. Im ersten Moment freue ich mich, dass die AfD in keinem der beiden Länder stärkste Kraft geworden ist. Im zweiten wird mir klar, wie viele Menschen sie gewählt haben und was das für die Landtage, die Parteienfinanzierung und das allgemeine Lebensgefühl in Sachsen und Brandenburg bedeutet. Heidewitzka. Kleiner Lichtblick: Die wahrscheinlichste Koalition bedeutet in beiden Ländern, dass die Grünen demnächst mitregieren. In noch zwei Ländern. Im Osten. Und Brandenburg wird das nächste R2G-Land. Perspektivisch eigentlich eine ganz schöne Aussicht… Wenn dann bei der nächsten Wahl die Protestwählenden wieder umschwenken (sollten), dann sind die AfD-Ergebnisse bestimmt immer noch viel zu hoch, aber vielleicht dreht sich der Trend dann trotzdem deutlich. Immer optimistisch bleiben!

Apropos optimistisch, bei der Ausfahrt aus Mailand habe ich keine Sorge mehr, heute Abend nicht mehr ausreichend Essen in mich hineinschaufeln zu können. Reisen macht hungrig. Oder in Italien sein. Jetzt muss ich nur noch ein nettes Lokal in Hostelnähe finden, das am Sonntagabend geöffnet hat. In Genua angekommen ist es bereits dunkel. Google Maps bringt mich zuverlässig zu meinem Hostel, das abseits der Via di Prè liegt, einer langen, sich windenden Gasse, in der auch am Sonntagabend das Leben tobt. Ein kleines Lädchen liegt hier neben dem anderen, dazwischen Imbisse, Restaurants und Cafés. Vor allem Schwarze Menschen in traditionellen afrikanischen Gewändern prägen das Straßenbild und scheinen dabei perfekt italienisiert: Stehen vor den Geschäften und unterhalten sich mit Passant*innen und Nachbarinnen, während ihre Kinder noch im Dunkeln draußen auf der Gasse spielen. Mal gucken, ob der Rest von Genua auch so multikulturell ist! Unterwegs werde ich von einer weiteren Backpackerin angesprochen, die ebenfalls mein Hostel sucht, aber kein Datenpaket für ihr Handy hat. Da kann ich helfen – danke EU! Im Hostel geht dann alles italienisch langsam, der Typ an der Rezension hat alle Zeit der Welt, als er mich eincheckt, nebenbei telefoniert, meinen Personalausweis abschreibt, Bezahlung, Kurtaxe und Schlüsselpfand verlangt, Bettwäsche heraussucht, meinen Schlüssel heraussucht, die Hostel-Regeln erklärt und mir dann mein Zimmer zeigt. Währenddessen drückt der Rucksack immer mehr auf meine Schultern und mein Magen hängt in den Kniekehlen.

Mein Zimmer ist dann überraschend nett, ich habe ein Doppelbett mit fester Matratze und eine Klimaanlage mit akustisch angenehmem Schlafmodus. Das Bad ist gleich um die Ecke und ich teile es mir nur mit den Bewohner*innen des 4er-Zimmers nebenan. Kann man machen! Nach kurzem Frischmachen laufe ich dann mit leichtem Gepäck hinaus in die Genueser Nacht – es wird Zeit für das Einstandsdinner! Bereits im Vorfeld habe ich mir eine gut bewertete Trattoria mit ligurischer Küche in der Nähe ausgesucht. Interessant und auch schon woanders in Italien so gesehen: Von der Straße aus blickt man erst einmal in einen sehr kleinen, familiären Gastraum, in dem gefühlt nur die Familie der Betreiber*innen sitzt und freut sich, dass man so ein authentisches Lokal gefunden hat. Kommt man aber dann hinein, wird man durch einen Bogen in den weitaus größeren Gastraum geleitet, an dem dann deutlich mehr Menschen sitzen und es gastronomisch professionell zugeht. War aber trotzdem immer noch sehr nett da und neben Tourist*innen waren auch viele Italiener*innen am Start.

Ich beginne meinen „Eatalien“-Urlaub mit Antipasti vom Meer und einem Viertel vom weißen Hauswein, die beide gleich beim ersten Mundkontakt überzeugten. Im Ernst, wie kann etwas ganz einfaches gleich so viel besser schmecken als zuhause? Nun gut, das Meeresgetier ist sicher fangfrisch, die Tomaten italiensonnengereift und das Olivenöl von guter Qualität. Beim Wein spielt vielleicht auch das Urlaubsgefühl eine Rolle. Das muss ich in den nächsten Tagen mal beobachten. Als Hauptgang gönne ich mir dann noch die Trofie al pesto genovese, denn wenn ich schon in Genua bin, muss ich auch echtes Pesto essen! Und wow, ja, jetzt weiß ich, wie das eigentlich gedacht ist! Herrlich aromatischer Basilikum-Geschmack, eine sehr sämige Konsistenz, die aus der Verbindung mit viel stärkehaltigem Pastakochwasser kommen muss und interessanterweise gab es darin noch ein paar grüne Bohnen und Kartoffelstücke, die traditionell wohl eher nicht hineingehören, aber sehr köstlich waren und das Ganze noch aufwerteten.

Ich spare mir Nachtisch, Espresso und Digestif und gehe schnellen Schrittes und ganz ohne digitale Navigationshilfe zurück ins Hostel und direkt ins Bett. Nach 20 Stunden Wachsein schlafe ich recht unproblematisch zum weißen Rauschen der Klimaanlage ein.

 

*Gestern ganz klischeemäßig noch „Ich bin dann mal weg“ und „Eat Play Love“ auf Netflix gesehen. In letzterem gelernt: Es ist OK, jemanden zu vermissen. Dann einfach Licht und Liebe dorthin senden und weitermachen.