Nach dem gestrigen Gewaltmarsch wache ich eine Stunde später auf: halb 7. Yeah. Ich lese im Internet herum, schreibe mit Menschen, die auch schon wach sind, und stehe dann so auf, dass ich kurz nach 8 fertig zum Losgehen bin, denn um 8 macht die Rezeption des Hostels auf und ich kann auschecken. Der ursprüngliche Plan ist, noch bevor es so richtig heiß wird, mein Gepäck zum Bahnhof zu bringen (ein anderer, als der, den ich angekommen bin und der liegt über eine halbe Stunde Fußmarsch vom Hostel entfernt), es dort einzuschließen und auf leichten Sohlen noch ein wenig die Genueser Innenstadt zu erkunden, bevor es nachmittags weiter geht. Nun ja, ich sag’s wie es ist: Über eine halbe Stunde mit dem großen und dem kleinen Rucksack zum Bahnhof zu laufen ist auch morgens zwischen 8 und 9 kein großer Spaß. Und die Vorstellung, dann wieder eben so lange zurückzulaufen, nur um ein bisschen italienische Großstadtstraßen entlang zu bummeln und dann wieder zurück zu tigern gefällt mir irgendwie nicht mehr ganz so. Stattdessen beschließe ich, gleich einen früheren Zug zu nehmen und das mit der Gepäckaufbewahrung und dem Bummeln stattdessen in La Spezia zu machen, wo ich sowieso umsteigen muss.
Also frühstücke ich direkt am Bahnhof Cappuccino, Cornetto mit Pistaziencreme und frisch gepressten Orangensaft und setze mich dann in den Bummelzug, der direkt an der Küste entlang und durch den Cinque Terre Nationalpark nach La Spezia führt. Urprünglich hatte ich ja vor gehabt, mir zumindest ein oder zwei der Cinque Terre auch ganz aus der Nähe anzusehen, aber erstens gibt es nur in einem von ihnen ein Hostel, das nur telefonisch buchbar ist und nur über 6-Bett-Zimmer verfügt, zweitens bin ich nicht sicher, ob ich an den kleinen Bahnhöfen mein Gepäck einschließen kann und habe außerdem wenig Lust, selbst mit kleinem Gepäck, viel hoch und runter zu laufen, drittens habe ich mir sagen lassen, dass es dort inzwischen wie bei allen schönen Ecken alles sehr touristisch ist (merkt man auch an den Übernachtungspreisen abseits des Hostels) und viertens sind die Cinque Terre jetzt in meinem Kopf leider auch “vorbelastet” – ich würde wahrscheinlich die ganze Zeit über unterbewusst nach der Stelle suchen, an der dieses eine Foto gemacht wurde, das der Anfang von allem war.
Aus psychohygienischen Gründen bleibe ich also vorsätzlich im Zug sitzen und genieße lieber die schönen Ausblicke aufs Meer, erhasche den einen oder anderen Blick auf den Nationalpark und steige dann erst in La Spezia selbst aus. Dort gebe ich mein Gepäck ab – statt Schließfächern gibt es hier eine von Menschen betriebene Gepäckaufbewahrung und dementsprechend kann man auch nur zu bestimmten Zeiten Gepäck abgeben und -holen und es kostet etwas mehr, als ein zeitunabhängiges Schließfach. Aber was solls, meiner Reisekasse geht es ja noch ziemlich gut. Nur mit dem kleinen Rucksack laufe ich dann durch La Spezia und habe etwa vier Stunden zu vertrödeln. Leider bietet die Stadt nicht allzu viel Sehenswertes (ich weigere mich, zum Schloss hinaufzusteigen und dort ggf. noch Eintritt zu zahlen), aber immerhin gibt es schöne Orangenbaum-Alleen, die voller Früchte hängen, eine Marina mit einer Promenade, auf der man unter Palmen entlanggeht und ein paar Fußgängerzonen.
An der Marina hole ich mir zum Mittag ein Lemonsoda und eine Art Spinatpastete und setze mich unter Palmen hin, um mit Blick aufs Wasser Mittag zu essen (es ist inzwischen halb 1) und ein wenig zu lesen – inzwischen bin ich bei Goethes “Italienischer Reise”. Auf die Idee hatte mich mein Bruder gebracht und tatsächlich liest sich das gar nicht so übel. Mir fallen sofort die Stellen auf, die ich aus “Go Trabi Go” kenne, aber auch drumherum gibt es einiges Vernügliches zu entdecken. Dann bummele ich weiter durch die Innenstadt und bin schnell auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen, wo ich weitere Lesezeit verbringen kann, denn es wird wieder sehr heiß und viel zu sehen gibt es wie gesagt sowieso nicht. Vor einer Gelateria stehen Bänke unter einem Sonnensegel, das sieht gemütlich aus. Also gehe ich zunächst einmal hinein und frage nach der Toilette. Eine italienische Nonna schnappt sich den Schlüssel und führt mich auf verschlungenen Wegen hin – wieder raus aus der Gelateria, dann zum Eingang des Nachbarhauses, dort in den Innenhof (groooooße Stufe!) und dort gibt es ein kleines, abgeschlossenes Kabuff, in dem sich dann aber zum Glück ein normales WC und kein Plumpsklo befindet.
Wieder zurück in der Gelateria bestelle ich mir zum Dank eine Granità, die hier mit frisch gepresstem Orangensaft zubereitet wird, und setze mich dann raus auf die Bänke, um genüsslich zu schlürfen, auf einen vulvischen Springbrunnen zu starren, und weiter zu lesen. Irgendwann setzt sich mir gegenüber ein Straßenkünstler hin, der sich ein Brathähnchen gekauft hat, Mittagspause macht und ungefähr die Hälfte seines Hähnchens an die Tauben verfüttert. Irgendwann ist es Zeit aufzubrechen und langsam, ganz langsam, durch die Hitze zum Bahnhof zu laufen. Ich nehme meinen großen Rucksack wieder in Empfang und fahre mit einmal Umsteigen in Pisa weiter nach Livorno. “Wieso nicht Pisa?” hatte mich eine Freundin am Morgen gefragt. Die Antwort ist relativ einfach: In Pisa war ich schon mindestens 3 oder 4 mal, in Livorno noch nie. Außerdem ist Livorno am Meer und Pisa nicht.
Als ich auf meinen Zug warte schreibt mir übrigens meine Chefin, die meine Reise auf Instagram sehnsüchtig verfolgt, mit guten Nachrichten und während der Zugfahrt dann nimmt eine lang geplante Verabredung Gestalt an – ich fahre also dann am Wochenende nach Rom!
Livorno beginnt mich mit einem grüßen Bahnhofsvorplatz mit Gras und Bäumen und den ersten zirpenden Grillen dieses Urlaubs. Fühlt sich gleich viel entspannter und gemütlicher an als Genua und La Spezia! Ich habe einen 20-minütigen Weg bis zu meinem AirBnB vor mir, aber wenn ich langsam gehe, ist das durchaus zu schaffen. Anders als in Genua gibt es nämlich auch keine unliebsamen Steigungen und außerdem ist es inzwischen nach 18 Uhr. Mein AirBnB-Gastgeber ist Pole, lebte schon in England und Deutschland und jetzt eben in Italien, und kommt mir schon entgegen. Seine Wohnung liegt in einem typisch italienischen Miethaus mit Fahrstuhl (yay!) und mein Zimmer leider direkt zur vielbefahrenen Straße hinaus (nay!). Ich schließe als erstes direkt mal die Fenster, aber die sind nicht besonders dicht und jeder Ton schallt herein.
Aber erstmal ist das egal, ich komme in Ruhe an und skype erstmal ausführlich mit dem Bruder in Berlin, der mich wahrscheinlich demnächst für ein paar Tage auf meiner Reise besuchen wird, und den Eltern in Kanada, die heute zu ihrer großen Tour in die Arktis aufbrechen werden. Dann suche ich mir eine Osteria für den Abend und habe Glück – sie liegt nur ein paar Minuten vom AirBnB entfernt und hat tolle Bewertungen! Es handelt sich um eine kleine, traditionelle Osteria mit begrüntem Innenhof. Der Wein kommt in unbeschrifteten offenen Flaschen und wird einfach auf den Tisch bestellt, die Karte ist überschaubar und sehr text- und fischlastig. Selbst mit meinen eher rudimentären Italienischkenntnissen verstehe ich einen Großteil des Textes und muss viel grinsen.
Dann bestelle ich mir Kichererbsen mit Hering (ein sehr reichhaltiges Antipasto) und Linguine alla marinara, die heute mit Polpo bianco serviert werden. Der Wein dazu schmeckt, Wasser gibt es auch, und ich bin sehr zufrieden mit allem. Für die angebotenen Nachtische reicht meine Magenkapazität dann aber nicht mehr aus und müde bin ich auch, also zahle ich meine Rechnung und laufe nach Hause. Trotz Straßenlärm kann ich erstmal relativ gut und schnell einschlafen, nachdem ich erst einmal die Fenster noch kurz weit geöffnet und den Ventilator angeschmissen habe, damit er mir etwas kühlere Luft hinquirlt. Aber nach dem ersten Aufwachen gegen zwei – mein Körper hat noch die üblichen Katzenweckzeiten in seinem Rhythmus drin – bin ich erstmal hellwach. Ich höre einen Podcast, versuche es mit einer Schlafmeditation und gebe irgendwann genervt auf. Oropax müssen her, denn zusätzlich zu den Autos, die auch um diese Zeit noch erstaunlich oft vorbeifahren, ist auch noch ein Wind aufgekommen, der die Jalousien laut klappern lässt.
Mit Oropax und lesen schaffe ich es dann irgendwann zwischen vier und und fünf wieder zurück in den Schlaf – immerhin bis gegen 7 diesmal… Die nächsten zwei Tage verbringe ich in einem winzigen Ort, vielleicht schlafe ich dann ja sogar mal bis 8?
One thought on “Reisetagebuch 3. September 2019 – Genua-La Spezia-Livorno #loosinterrail”