#ithasien – Italien-Roadtrip 2018 – Tag 5: Bergamo, Grumello und das Bett von Garibaldi

Das Schöne am Urlaub sind ja die ganz unverhofften Dinge – und von denen hatte Tag 4 einige zu bieten! Begonnen hat er allerdings wie erwartet mit einem sehr leckeren Frühstücksbuffet im Agriturismo. Neben den italienischen Frühstücksklassikern und Zugeständnissen an ausländische Gäste, etwa Müsli, Käse und Schinken, gab es auch köstliche Frittata, Apfelstrudel, Bruschetta, Tramezzino mit Ricotta, Schinken und Tomate und Schokokügelchen, allesamt eben so hausgemacht wie die Kirschmarmelade.

Wir langten ordentlich zu, dann checkten wir aus und fuhren nach Bardolino selbst hinein, trotz der Vorurteile des Hasen gegenüber dem Gardasee. Die wurden zwar zunächst alle bestätigt – deutsche Touristen in den besten Jahren allüberall – aber als wir dann direkt am Wasser waren und darin diverse Fische und darüber Möwen und Enten und die Aussicht auf die Berge bewunderten, da fanden wir den Gardasee dann doch ganz in Ordnung. So für ne halbe Stunde. Dann wurde es Zeit, gen Westen aufzubrechen.

Während der Hase uns chauffierte, schrieb ich mit seiner Kollegin F., deren Familie in der Nähe von Bergamo lebt und dort unter anderem selbst Spumante keltert und eine Enoteca betreibt. Ein Besuch im Weinkeller und in der Enoteca waren angedacht, daraus wurde dann eine ganze Menge mehr, was sich schon jetzt dadurch abzeichnete, dass ihre Nonna ausrichten ließ, sie würde sich schon auf unseren “qualifizierten” Besuch freuen und wir könnten gerne bei ihr übernachten. Bäm! Eigentlich war ja geplant, dass wir im Hotel übernachten würden.

Doch zuerst zog es uns noch nach Bergamo, das Frau Nessy im Frühling so wunderschön beschrieben hatte. Wir fuhren mit dem Funicolare hoch in die Città alta und spazierten dort durch Gassen, bewunderten die kulinarischen Schaufensterauslagen und naschten ein Eis in der von Nessy empfohlenen Gelateria. Alles wirklich sehr schön dort und der Hase hat schon auf dem Plan, irgendwann nochmal für länger hinzufahren.

Nach unserer kurzen Stippvisite machten wir uns dann auf den Weg nach Grumello del Monte, wo wie wir wussten die Nonna bereits wartete. Auf Empfehlung der Hasenkollegin parkten wir unseren Bao Bao am Schloss und “spazierten” dann den Berg hinauf, durch Weinberge und Olivenhaine, bis zum Bauernhaus der Familie. Und wie hinauf das ging – besonders das erste Stück war so steil, dass ich kaum vorankam, arge Probleme mit dem Atmen hatte und mehrfach versucht war, umzukehren. Oben angekommen wurden wir auch von mehreren Familienmitgliedern gefragt, warum bloß wir denn nicht mit dem Auto hochgefahren wären. Als ich über den steilen Hang klagte, witzelte der Hasenkolleginnenvater dann allerdings, das sei eben nicht Berlin und der Ort hieße nun mal nicht umsonst Grumello del Monte. Wo er Recht hat…

Doch zuerst wurden wir nur von der Nonna empfangen, einer unglaublichen Dame von ca. 80 Jahren, die leider nicht mehr gut zu Fuß, ansonsten aber topfit war. Als wir im Wohnzimmer Platz nahmen, fielen mir zuerst Handy und Laptop auf dem Schreibtisch auf, ein WLAN-Router war auch am Start. Die Nonna stammt ursprünglich aus dem Trentino, einer der Regionen Italiens, die früher zu Österreich gehörte und bis heute zweisprachig ist. Deswegen sprach sie auch ein nahezu perfektes Deutsch, obwohl sie die Sprache nur in der Schule gelernt hatte und in der Familie Italienisch, bzw. den örtlichen Dialekt, der in Richtung Laddino geht, gesprochen hatte und außerdem vor ca. 60 Jahren in die Gegend von Bergamo gezogen war. Immer wieder entschuldigte sie sich bei uns, wenn sie nach Wörtern suchen musste oder die Zeitformen und Artikel durcheinander brachte, während sie komplizierte Relativsätze über mehrere Zeitebenen und gefüllt mit Fachbegriffen aus Landwirtschaft, Geschichte, Geographie und Kulinarik sprach. Französisch und Englisch könne sie übrigens leider nur sehr wenig und besser lesen als sprechen… Bäm Bäm!

Die Nonna erzählte uns, wie sie damals mit ihrem Mann hierher kam, auf dem Grundstück vier alte Olivenbäume entdeckte und daraufhin anfing, Olivenbäume im großen Stil anzupflanzen. In guten Olivenjahren stellen sie bis zu 300 l Öl her, in den letzten beiden, die schlechte Jahre waren, waren es zusammen gerade einmal 80 l. Das Hauptgeschäft ist allerdings der Sekt/Schaumwein/Spumante, den sie aus Trauben aus dem Trentino im eigenen Weinkeller keltern. Den vertreiben sie bereits seit Jahrzehnten weit über die Grenzen Bergamos hinaus. So kam es auch, dass sie und ihr Mann diverse Reisen unternahmen. Sie fragte uns über unsere Reiseroute aus, lobte uns für die tolle Auswahl an Städten und gab uns Tipps, was wir uns anschauen und wo wir was essen sollten.

Als die Sonne unterging, standen plötzlich die Hühner vor der Tür. Sie würden jeden Abend Bescheid sagen, dass sie jetzt langsam ins Bett müssten und vorher bittegerne noch Abendbrot hätten. Wir gingen also zusammen hinaus, fütterten die Hühner, schlossen den Stall, sammelten noch ein paar draußen versteckte Eier ein (“für Euch morgen zum Frühstück!”) und dann pflückte die Nonna uns noch drei Zitronen als Geschenk. Dann war es Zeit, unsere Betten zu beziehen, damit alles fertig wäre, wenn wir vom Abendbrot in der Enoteca zurückkehrten. Und da kam dann ganz nebenbei heraus, dass in dem Bett, in dem ich schlafen würde, eine Zeit lang Garibaldi geschlafen hatte… Bäm Bäm Bäm!

Die Familienlegende besagt, dass der Onkel vom Onkel vom Nonno einst Priester (oder wahrscheinlich ein noch höherer kirchlicher Würdenträger, das korrekte Wort fehlte gerade) in Trentino gewesen wäre. Als Garibaldi mit seinen Truppen Trentino eroberte, kam der Priester ins Gefängnis und Garibaldi bezog dessen Haus und Bett. Später entschied der König, dass Trentino nicht interessant genug wäre und ruhig bei Österreich bleiben dürfte. Daraufhin kehrte Garibaldi nach Italien zurück, der Priester wurde freigelassen und erhielt Haus und Besitz wieder. Das Bett aber kam irgendwann zum Nonno und mit ihm nach Grumello, wo ich es nun benutzen durfte. Aufregend!

Langsam wurden wir hungrig, deswegen verabschiedeten wir uns und liefen wieder hinunter in den Ort, um in der Enoteca der Familie zu Abend zu essen. Unser Kellner war der Hasenkolleginnencousin, während ihr Vater der Inhaber der Enoteca ist und gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, einer Köchin und bei Bedarf mehr Servicepersonal den Laden schmeißt. Weil wir uns nicht so ganz entscheiden konnten, bekamen wir eine Mischung verschiedener Vorspeisen als Antipasti serviert: verschiedene Käse- und Aufschnittsorten, natürlich mit Brot und Olivenöl, sowie eine Art Quiche und gegrilltes bzw. gedämpftes Gemüse, das ungewürzt war und den puren, intensiven Gemüsegeschmack behalten hatte. Eine Offenbarung!

Als Primo bestellte der Hase sich Strozzapreti mit einer Sauce aus gelber Paprika, Saffran und Salsiccia und ich mir ein Risotto mit Champagner und Trüffeln. Zu all dem wünschte sich der Hase einen etwas Primitivo-artiges. Der Hasenkolleginnencousin brachte uns zwei Flaschen Primitivo aus Apulien, die eine eher klassisch, die andere biodynamisch und innovativ. Wir kosteten zunächst diese und besonders der Hase war sofort begeistert.

Als Secondo teilten wir uns dann gebackenen Oktopus auf Maiscreme mit rohen Gemüsewürfeln. Dazu müssten wir auf jeden Fall einen anderen Wein trinken, befand der Hasenkolleginnencousin und brachte uns einen Rotwein vom Ätna, der sehr leicht, spritzig und mineralisch war und perfekt zum Meeresgetier passte. Amüsiert berichtete er uns von einer Politikerin, die sich geweigert hatte, zu Fisch Rotwein zu trinken, bis sie diesen Wein gekostet hatte. Evtl. sei es Angela Merkel gewesen, das wisse er nicht mehr genau.

Nach Antipasti, Primi, Secondo, einer Flasche Primitivo und je einem Glas von dem anderen Wein waren wir pappsatt, leicht angetüdert und unglaublich müde. So verzichteten wir auf Nachtisch (obwohl es ein “Torinomisù”, also Tiramisù mit Gianduja, gegeben hätte), Kaffee und Schnaps. Stattdessen zogen wir uns an und wankten zur Kasse, wo wir unsere Rechnung bezahlen wollten. Der Hasenkolleginnenvater kam auf uns zu, sah uns fest in die Augen, winkte dann ab und meinte nur “Ciao! Und ruft mich morgen früh, wenn Ihr wach seid, damit ich Euch den Weinkeller zeigen kann!” Bäm Bäm Bäm Bäm!

Wir fuhren völlig geplättet mit dem Auto zurück auf den Berg und vermuteten die Nonna im Bett. Stattdessen hatte sie den Ofen angeheizt und saß vor dem Fernseher, immerhin lief Champions League und Neapel dominierte das Spiel gegen Liverpool! So sahen wir vor dem Schlafengehen noch gemeinsam die zweite Halbzeit, jubelten über den neapolitanischen Sieg und Hase und Nonna fachsimpelten über Maradona, Ronaldo und die Unsäglichkeiten der Verhältnisse im Profifußball. Bäm Bäm Bäm Bäm Bäm!

Blutorangenrisotto

Auf dem Heimweg aus dem Büro fragte ich den Hasen per WhatsApp, ob ich noch irgendwas einkaufen soll. Seine Antwort: “Vielleicht. Du darfst Dir aussuchen, was wir kochen. Ich helf Dir auch und mecker nicht.” Was für eine vollends perfekte Antwort, oder? Ohne Rücksichtnahme etwas aussuchen können, worauf ich gerade Lust habe, die Zusage von zusätzlicher Arbeitskraft und der vorherige vertraglich (Ich hab das schriftlich!) zugesicherte Verzicht auf Genöle. Das einzige Problem: Ich hatte keine Ahnung, was ich kochen sollte und irgendwie keinen Appetit.

Das änderte sich allerdings schlagartig, als ich den riesigen Berg Moro-Blutorangen im Supermarkt sah. Ich liebe Blutorangen über alles, vor allem seit meinen regelmäßigen Italienaufenthalten, bei denen es für mich zu jedem Bar-Frühstück frisch gepresste spremuta für n Appel und n Ei gab. 

Mir fiel dann auch direkt das richtige Rezept ein, dass ich vor Jahren mal von einem Netz Orangen italienischer Herkunft abgeschnitten und schon einmal unter Aufbietung all meiner Italienischkenntnisse zubereitet hatte. In den Korb wanderten dann also noch Risotto-Reis (Vollkorn-Arborio) und ein schönes Stück Parmesan.

Zuhause angekommen begann ich das Kochen mit etwas Aromatherapie: Drei kleine Blutorangen wurden mit dem Zestenreißer bearbeitet, was die ganze Küche und meine Hände nachhaltig olfaktorisch verzauberte. Ich war direkt zurück in Sizilien, im Giardino della Kolymbetra und sprang jauchzend von Baum zu Baum. Dann presste ich die nackigen Orangen aus und erfreute mich an dem satten Rotton des Saftes.

  
Der Hase kümmerte sich in der Zwischenzeit ums Zwiebeln schneiden, Parmesan reiben und Gemüsebrühe anrühren und dann konnte es direkt losgehen – mit jeder Menge Olivenöl und wie Papa Dan Kelly zu sagen pflegte: “Viel Geduldigkeit.” Am Ende stand ein hocharomatisches, schlonzig-cremiges Risotto mit einem Extra-Vitaminkick – genau das richtige für kalte Winterabende wie diesen!

Rezept: (Blut-)Orangenrisotto

  • 3 unbehandelte Saftorangen (oder 1-2 große Orangen)
  • 200 g Risotto-Reis
  • 1 Zwiebel
  • 200 ml Weißwein
  • Ca. 1 Liter Brühe
  • Ca. 50 g Parmesan
  • Viel gutes Olivenöl

Die Orangenschale abreiben und danach den Saft auspressen. Die Zwiebel fein würfeln und den Parmesan reiben.

Die Zwiebeln in einem Topf in reichlich Olivenöl anschwitzen (bei mir stand das Öl gut einen halben Zentimeter hoch im Topf). Dann den Reis dazugeben und kurz anbraten. Mit dem Wein ablöschen  – das Rezept spricht davon, den Reis im Wein zu baden und wir wollen diesem malerischen Ausdruck nicht widersprechen.

Den Wein unter gelegentlichem Rühen verkochen lassen, dann zwei Kellen Brühe dazugeben. Wenn diese verkocht sind, die Orangenschale und eine weitere Kelle Brühe hinzugeben.

So geht es weiter: Rühren und verkochen lassen, wieder eine Kelle zugeben und dann von vorn – so lange, bis der Reis weich und das Risotto cremig ist. Das kann schon so 40-50 Minuten dauern. In Piemonteser Restaurants gibt es für Risotto immer eine angegebene Wartezeit und man muss mindestens zu zweit bestellen. Dort nähme man auch Butter statt Olivenöl, aber ich finde, zu Blutorangen passt eine südliche Zubereitung besser.

Ist die gewünschte Schlonzigkeit erreicht, den Topf vom Herd nehmen und den Parmesan einrühren. Ganz zum Schluss den Saft hinzugeben, ebenfalls unterrühren und dann direkt servieren.