Durch die sozialen Medien geistert gerade die so genannte #TenYearChallenge und viele Menschen posten Vergleichsfotos von sich von 2009 und heute. Der direkte optische Vergleich interessiert mich aber gar nicht mal so sehr. Erstens kann 2019-loosy da eigentlich nur verlieren (mehr Kilos, mehr Falten, erste graue Haare) und zweitens hat sich außer den Alterungsercheinungen optisch nicht viel verändert, wie ich an diesem Foto vom Immergut 2009 sehe. Selbe Frisur (Haareschneiden war ich in dieser Dekade vielleicht drei- oder viermal, wenn’s hochkommt), selber Klamottenstil (heute noch mehr Röcke und Kleider als früher), immer noch kein Make-up und keine künstliche Haarfarbe.
Viel spannender finde ich, wie sich meine Lebenssituation seitdem verändert hat und welche inneren Veränderungen ich möglicherweise hinter mir habe. Dafür lohnt sich der Blick zurück dann doch. Blogtechnisch kann ich soweit nicht zurückblicken, da das eine Phase war, in der ich nicht viel oder gar nicht gebloggt habe (das Archiv hier setzt erst 2011 wieder ein, das “Loosy says” von davor habe ich irgendwann einmal gelöscht). Ich verlasse mich also hauptsächlich auf meine eigenen Erinnerungen (und ein bisschen auf die, die Facebook mir jeden Tag zeigt).
Anfang 2009 lebte ich erst seit einem halben Jahr in Berlin, und zwar alleine in einer 3-Zimmer-Neubauwohnung 10 Minuten vom Alex entfernt. Eigentlich wollte ich da zu zweit einziehen, dann aber kam das Leben dazwischen und so kam ich zu meiner ersten eigenen Wohnung. Allerdings auch nicht für lange, denn Anfang 2009 war ich auch frisch verliebt und in der Phase des gerade-noch-nicht-offiziell-Zusammengezogenseins. Den Hasen kannte ich übrigens noch nicht*.
Ich arbeitete auch noch nicht in meinem jetzigen Job, was durchaus eine gute Erklärung für diesen Umstand ist. Stattdessen verbrachte ich einen Großteil meiner Zeit tatsächlich zuhause in dieser Wohnung und hatte frei – abgesehen von ein paar Aushilfsjobs als Sekretärin oder Redaktionsassistentin beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen, dem einen oder anderen freiberuflichen Text- oder Übersetzungsauftrag und dem mehr oder weniger regelmäßigen Durchforsten der Stellenbörsen auf der Suche nach passenden Job-Angeboten und dann ab und zu auch Bewerbungen schreiben.
Eine dazu führte dann tatsächlich zu einem erfolgreichen Vorstellungsgespräch. Allerdings hatten mein neuer Freund und ich da gerade mehrere Auslandsaufenthalte (in Paris, Turin und Rom) geplant, die mit dem angestrebten Eintrittsdatum kollidierten. Erstaunlicherweise einigte man sich auf einen Kompromiss: Ich würde “nur” zweimal zwei Wochen wegfahren und bis zu meiner endgültigen Rückkehr als Praktikantin auf 400-Euro-Basis arbeiten, danach winkte die Festanstellung. Kam dann alles anders und nach dem Praktikum war auch der Job vorbei, aber im Nachhinein war das auch sehr viel besser so.
Was war noch los, Anfang 2009? Die Einjahresfrist, für die meine bestandene theoretische Führerscheinprüfung galt, war noch nicht vorbei und ich wagte noch einen dritten Versuch für die praktische Prüfung. Der scheiterte ebenso wie die ersten beiden und nach einigen Wochen und Monaten des Haderns beschloss ich dann, dass mein Leben auch ohne einen Führerschein ein gutes werden würde. Bereut habe ich das auch zehn Jahre später nie. Richtige Entscheidung also!
2009 lebten meine beiden Omas noch. Meine Eltern wohnten teilweise noch in der alten Heimat und in Berlin nur 5 Minuten Fußweg von mir entfernt, mein Bruder etwa 15 Minuten. Heute leben meine Omas nicht mehr, die alte Heimat wird selten besucht, zu meinen Eltern brauche ich mit der BVG etwa 45 Minuten (außer vom Büro aus) und mein Bruder lebt in England.
2009 war ich zwar physisch schon in Berlin, mental aber eigentlich noch Rostockerin. Es hat eine Weile gebraucht, bis ich die Stadt, in der ich geboren wurde, zu meiner eigenen gemacht hatte und nach Rostock nicht mehr “nach Hause”, sondern “auf Besuch” fuhr. Mein damaliger Freund, der wohl einer der größten Berlin-Fans der Welt ist, hatte da einen großen Anteil dran. Er zeigte mir sein Berlin, das der Literatur und Philosophie, das der wilden Westberliner Zeiten und das der wilden Nuller Jahre. Und natürlich wuchs mein Freundes- und Bekanntenkreis mit der Zeit an. Spätestens ein Jahr später, als ich meinen jetzigen Job antrat, war er größer als der in Rostock.
Heute wohne ich zu zweit und mit Katzen und Fischen in einer fast schon Altbauwohnung im Prenzlauer Berg, gehe seit Jahren einer geregelten Tätigkeit nach und bin in meiner Stadt zuhause.
Vieles ist in der Zwischenzeit passiert, bei weitem nicht alles davon war schön. Vieles aber doch. Und trotz aller Veränderungen um mich herum: Grundsätzlich verändert habe ich mich in den zehn Jahren nicht. Ein bisschen vernünftiger vielleicht im Bezug auf Gesundheit und materielle Sicherheit. Ein bisschen reifer, offener und gelassener im Bezug auf die Menschen um mich herum und auch auf meine Erwartungen an meine Zukunft. Ein bisschen wütender über politische Entwicklungen – aber das ist vielleicht einfach den politischen Entwicklungen geschuldet. Ein bisschen selbstbewusster, was meine Fähigkeiten angeht.
Gleichzeitig bin ich aber immer noch genau so impulsiv und leicht zu begeistern, genauso genießerisch und manchmal faul, genauso besserwisserisch und manchmal egoistisch und auch manchmal ganz genauso naiv und ängstlich. Mir ist es noch genauso egal, was die Mehrheit der Menschen von mir halten und genauso wenig egal bei ganz ausgewählten. Und wer die sind, das ändert sich immer noch nach den gleichen Mustern wie immer. Die gleiche Musik wie damals macht mich auch heute noch auf Knopfdruck traurig oder froh und gutes Essen macht mich heute vielleicht sogar noch ein wenig glücklicher als damals schon.
Ich hänge immer noch genauso viel wie damals im Internet herum, bin genau wie damals ständig auf Twitter und Facebook (und inzwischen auch Instagram). Ich schaue inzwischen mehr Serien als Filme, aber insgesamt immer noch ungefähr genau so viel. Ich lese oder quatsche oder tanze auch heute manchmal noch die ganze Nacht hindurch.
Ist mein Leben so, wie ich es mir vor zehn Jahren vorgestellt habe? Nicht wirklich. Es ähnelt dem von damals mehr als ich damals dachte und ich ähnele mir auch mehr, als ich damals dachte. Und vielleicht ist das ja auch total natürlich und wir glauben immer nur, dass in zehn Jahren alles anders sein wird. Ich sollte diese These 2029 überprüfen!
*und die Katzen lebten noch nicht einmal!
Toller Beitrag und tolle Idee. 🙂