Mein persönliches Corona-Update und #b2908

Gerade beim morgendlichen Blogs lesen hatte ich mal wieder große Lust, selbst etwas zu schreiben. Das geht jetzt schon seit Wochen immer mal wieder so, aber dieses Mal habe ich dann mal wieder – zum ersten Mal seit Monaten – hier im Blog vorbeigeschaut, aus Neugierde, was und wann ich denn das letzte mal geschrieben habe. Silvester war das, der Jahresrückblick auf 2019. Das ist einerseits verdammt lange her, andererseits auch irgendwie bezeichnend. Am 8. Januar lasen wir erstmals von dieser mysteriösen Lungenkrankheit in Wuhan und dann nahmen die Dinge bekanntlich ihren Lauf.

Da der Liebste wenige Wochen zuvor beruflich für zehn Tage in Wuhan war (und wie sich später herausstellte sowohl räumlich als auch zeitlich sehr nah am damals noch unbekannten Geschehen), verfolgten wir die Situation von Anfang an mit größter Aufmerksamkeit. Nachdem es ihm aber gesundheitlich nach seiner Rückkehr gut ging (bis auf den Jetlag), machte ich mir zunächst noch nicht allzu große Sorgen. Bei einem Mittagessen Anfang Februar berichtete mir ein Kollege, er hätte gerade aus Sorge um die Auswirkungen des Virus alle seine Aktien verkauft. Damals dachte ich noch vor allem an Schwierigkeiten in den Lieferketten aus China. Zeitgleich machte das Teilzeitkind Skiurlaub in Südtirol und damit waren wir ein zweites Mal in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe zum Infektionsgeschehen – kurz danach wurde dort alles dicht gemacht. Ich war auf einer Konferenz, als große Messen in Mailand abgesagt wurden, das gleiche Schicksal traf die ITB in Berlin, auf die wir im Büro hingearbeitet hatten.

Ende Februar waren wir auf eine Geburtstagsfeier in Nordrhein-Westfalen eingeladen und fuhren hin, obwohl Heinsberg bereits ein Hotspot war – wir waren davon einigermaßen weit entfernt und in Berlin war noch nicht viel los – bisher war nur eine einzige Infektion bekannt, die ein Großraumbüro in Quarantäne geschickt hatte. Am Vorabend der Reise ging ich noch mit der besten Kolleginnenfreundin auf ein Konzert. Wir sprachen auf dem Weg über Testkits, hatten aber keine Bedenken, uns mit Hunderten anderen in einem geschlossenen Raum zu befinden. Es war das letzte Konzert für eine sehr lange Zeit.

Die Geburtstagsfeier fand in einem Hotel statt, wir bzw. am zweiten Tag nur noch ich, nutzten Sauna und Pool ausgiebig – ebenfalls vorerst zum letzten Mal. Der Liebste blieb stattdessen mit Fieber und Erkältungssymptomen vorsichtshalber auf dem Zimmer, während ich mit seiner Familie und den anderen Gästen aß – darunter viele Mediziner*innen, die altersmäßig zur Risikogruppe gehörten. Während ich aufgrund der Symptome des Liebsten bereits zu allen Abstand hielt, wurde ich von seinem Cousin – den ich vorher nicht kannte – enthusiastisch umarmt.

Natürlich fing ich mir die – harmlose – Erkältung des Liebsten ein und meldete mich nach unserer Rückkehr für drei Tage krank. Den Rest der Woche verbrachte ich im Homeoffice, um nicht aus Versehen noch jemanden anzustecken. Während der Woche kristallisierte sich heraus, dass wir das Büro vorübergehend schließen würden, da es den Verdacht gab, ein Kollege hätte sich über Umwege mit Corona infiziert haben können. Zwei Wochen lang war das Berliner Büro als Vorsichtsmaßnahme zu, dann kam aus unserem globalen Headquarter die Ansage, dass alle Büros bis auf weiteres geschlossen sind.

Beim Liebsten ging dieser Prozess fast parallel vonstatten, die Kita des Teilzeitkinds folgte auf dem Fuß und nachdem die Befürchtungen um einen echten Lockdown unbegründet waren, erklärten wir unsere beiden Wohnungen zu einem gemeinsamen Haushalt. Da das Teilzeitkind im Wechselmodell lebt, gehörte seine zweite Wohnung natürlicherweise auch noch dazu und schon waren wir im Grunde etwa 10 Personen mit unterschiedlichstem Kontakt nach außen (teils normal berufstätig, teils in Elternzeit, teils im Homeoffice bzw. zuhause betreut), die eine Pandemie-Schicksalsgemeinschaft bildeten, auch wenn eigentlich nie alle auf einem Fleck waren.

Ich bin das Arbeiten von Zuhause bzw. anderen Orten seit jeher gewöhnt und arbeite eigentlich nur mit Laptop, neu war nur, dass ich jetzt nur noch in absoluten Ausnahmefällen ins Büro durfte. Der Liebste hingegen arbeitete vorher nur in Ausnahmefällen von Zuhause aus und braucht dafür deutlich mehr Equipment als ich. Von daher war er während der Woche auf seine Wohnung festgelegt, während ich mal hier, mal da war – teilweise im improvisierten Großraumbüro gemeinsam mit seiner Mitbewohnerin in der Küche. Da alle Erwachsenen viele Videocalls hatten, verteilten wir uns mitunter über die verschiedenen Räume seiner Wohnung, ab und zu arbeitete ich dann eben im Bett des Teilzeitkinds.

Weil unser “Haushalt” schon so viele Personen beinhaltete, reduzierten wir die Kontakte darum herum zunächst vollständig. In der ersten Zeit trafen wir eigentlich niemanden von außerhalb. Später sah ich meinen Bruder ein paar mal auf Abstand, dann zog die Mitbewohnerin des Liebsten aus (und eine neue ein) und kam trotzdem weiterhin ab und an vorbei. Dann kam Ende Mai der Geburtstag des Teilzeitkinds, bei dem der gesamte erweiterte Haushalt zusammenkam, und erst danach besuchte ich meine Eltern zum ersten Mal seit Mitte Februar wieder (wir saßen auf dem Balkon).

Inzwischen ist es so, dass Leute treffen nicht mehr ganz so ungewöhnlich ist, es findet aber im Normalfall draußen oder eben auf Balkons statt. An meinem Geburtstag Ende Juni kamen wir erstmals wieder mit meinem Bruder UND meinen Eltern zusammen und saßen drinnen (mit weit geöffneten Fenstern), um über Zoom mit weiteren Gäst*innen sprechen zu können. Tags darauf hielt ich ein WG-Casting ab und hatte tatsächlich drei fremde Menschen bei mir in der Wohnung (nacheinander, mit Abstand und offenen Fenstern). Bei den wenigen Malen, die ich im Büro war, traf ich auch jeweils auf mehrere Menschen und versuchte, so gut es ging, Abstand zu halten und in Meeting-Räumen zusätzlich Maske zu tragen.

Ich habe in dieser Zeit mein Fahrrad wieder aus dem Keller geholt, bin aber auch ab und zu mit den Öffis gefahren – immer versucht, Zeiten abzupassen, in denen sie leer genug für Abstand waren. Einmal ging es mit einem fast voll besetzten Zug eine halbe Stunde lang raus aufs Land, das war schon aufregend. Die Hochzeit der ehemaligen Teenie-Cousine besuchten wir von außen und auf Abstand bedacht. Urlaub machten wir in einer Ferienwohnung in Mecklenburg und des Liebsten Familienurlaubsdomizil in Franken. Ein Restaurant von innen habe ich seit Februar nur bei den Hotelfrühstücken am Hochzeitswochenende gesehen. Den Schulanfang des Teilzeitkinds feierten wir in Großfamilie draußen – mit Großeltern, Tante, Onkel usw. Und ein Wochenende drauf haben dann meine Eltern auch endlich mal das Teilzeitkind kennengelernt. Dass es jetzt täglich mit 25 anderen Kindern in einem Raum ist, ohne Abstand und Maske, reicht mir allerdings schon wieder, um kontaktmäßig ansonsten keine großen Sprünge zu machen.

Und irgendwie ist das meistens alles sehr OK. Ich habe das Glück, dass ich seit ich Teenager war die Kommunikation aus der Ferne (schriftlich, telefonisch, per Video) als der in der Kohlenstoffwelt gleichwertig empfinde. Dass ich einen Job habe, der sich von überall auf der Welt aus erledigen lässt. Dass ich den Liebsten, das Teilzeitkind und die Katzen habe und dadurch auch keinen Mangel an physischen Kontakten. Dass ich gut allein sein kann und mich mit Dingen beschäftigen kann. Dass wir hier keinen echten Lockdown hatten, jederzeit raus gehen konnten und zwischen den Wohnungen wechseln konnten. Dass ich eine Wohnung mit Balkon habe. Dass der Liebste einen Park vor der Tür hat, in dem das Teilzeitkind auf Bäumen klettern konnte, als die Spielplätze zu waren. Dass es einen steten Wechsel zwischen Alleinzeit, Paarzeit und Familienzeit gab und gibt. Alles beste Voraussetzungen, um #dieaktuelleSituation gut zu überstehen. Was mir fehlt, sind Konzerte und die Aussicht darauf, irgendwann wieder mit Rucksack und Zug bzw. Bus durch die Gegend zu reisen und in Hostels zu übernachten, ohne bei der Vorstellung direkt Phantomsymptome zu bekommen. Das ist aber beides auch OK und Luxus und kann noch eine Weile warten.

Ich sehe allerdings, dass viele andere dieses Glück nicht haben und viel schlechter damit zurechtkommen, Abstand zu halten. Ich versuche, Verständnis dafür aufzubringen und mich nicht zu sehr über Bilder von Bekannten aufzuregen, die sich in großen Gruppen und mit wenig Abstand treffen, in Restaurants und Bars hocken oder “ganz normal” verreisen. Ich atme tief durch, und tue das, was ich tun kann. Und ich sehe mit Schrecken, was das mit einigen von ihnen macht. In meinem Facebook-Feed habe ich einige Kontakte, die Verschwörungstheorien glauben und weiterverbreiten. Die Entwicklung vom Impfskeptiker zum QAnon-Gläubigen und Reichsbürgersympathisanten virtuell mitzuerleben ist extrem gruselig… Heute demonstrieren sehr viele, die vom Verschwörungsvirus infiziert sind in Berlin und ich hoffe, möglichst wenige von ihnen zu kennen. In normaleren Zeiten würde ich an einer Gegendemonstration teilnehmen, mir ist heute allerdings das persönliche Ansteckungsrisiko zu hoch und so rette ich die Welt diesmal, indem ich #staythefuckathome.

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