Was immer in der Welt passiert ist in den letzten Jahren – und das war eine ganze Menge – ich lese immer noch jeden Tag die Blogs in meinem Feedly. Und dabei am allerliebsten die Tagebuchblogs, die Fenster in anderer Leute Leben, deren Protagonist*innen zu meinem Leben dazugehören, obwohl ich vielen von ihnen noch nie persönlich begegnet bin, noch nicht einmal direkten 2-Wege-Kontakt habe ich mit ihnen gehabt. Immer wieder ergreift mich dann beim Lesen die Lust, wieder mitzuspielen.
Heute stolperte ich dann bei Buddenbohm und Söhne über ein Zitat von Mikka, das dieses Gefühl verstärkte und auch noch eine politische Dimension mit einbrachte (sowas ähnliches las ich neulich gestern schon bei der Kaltmamsell):
„Please blog
To reclaim the public square, the virtual town hall, we need to have a voice. One that is not drowned out in a river of unrelated things, one that does not fade in seconds. We need to speak in sentences, not artificially shortened slogans. Personal blogs educate, advocate, and entertain. They are, more than any microblog can ever be, humans behind keyboards, firmly anchored in the realities and complexities of life.
Blog in a way that is indestructible. Iron Blogging. Own your content, both digitally and personally. The cost is minimal, free more often than not (cost of a domain excluded, .md cost me $30 for five years), but the benefits are wonderful.
Don’t wait for the Pulitzer piece. Tell me about your ride to work, about your food, what flavor ice cream you like. Let me be part of happiness and sadness. Show me, that there is a human being out there that, agree or not, I can relate to. Because without it, we are just actors in a sea of actors, marketing, proselytizing, advocating, and threatening towards each other in an always vicious circle of striving for a relevance that only buys us more marketing, more proselytizing, more advocating, and more threats.“
Eine kurze Diskussion auf Mastodon später, bei der es um anonym, pseudonym, Klarnamen und Blog- und Nichtblogbares ging, bin ich nun hier. Während der Liebste und das Teilzeitkind gemeinsam das Computerspiel spielen, dessen Name nicht genannt werden darf – was ich aus ideologischen Gründen eigentlich falsch finde, aber vor dem individuellen Hintergrund der beiden Beteiligten wiederum vertretbar – liege ich gemütlich herum, habe unverhofft etwas Zeit, und schreibe kurz auf, was gestern war. Ob das von nun an täglich passiert, wage ich nicht vorauszusagen.
Gestern war Freitag und zwar ein Freitag im Homeoffice. Da der Mitbewohner auf Reisen ging und deshalb außer der Reihe zu meiner Stammzeit das Bad belegte, schaffte ich es nicht rechtzeitig, mir vor dem ersten Meeting Frühstück zu machen. Immerhin war ich aber fertig angezogen, hatte Tee und die Katzen waren versorgt. Ein von den Katzen vollgepinkelter Rucksack drehte im Hygienewaschgang seine Runden. Nicht zu viel wollen. Nach dem Meeting gab es dann Müsli (Salted Caramel Cherry Granola) mit kleingeschnittenem Apfel und Crowdfarming-Blutorange aus Sizilien (Sorte Moro, etymologisch bedenklich, ökologisch und kulinarisch aber vertretbar).
Die Mittagspause nutzte ich, um einen reparierten Mantel aus der Änderungsschneiderei abzuholen und ein zu reparierendes Kleid dort hinzubringen. Beide Kleidungsstücke litten unter geplatzten Nähten und ich habe noch zwei weitere, die ihnen folgen werden, sobald ich sie gewaschen habe. Die Frau in der Schneiderei schenkt mir immer leckeren vietnamesischen Instantkaffee und Minibonbons. Zurück zuhause säuberte ich noch das Katzenklo, füllte es mit frischem Streu, füllte die Wassernäpfe auf und stellte den Müll an die Wohnungstür.
Zum nächsten Meeting gab es dann Mittagessen – einen Rest Reis mit Linsencurry vom Mitbewohner, dazu Joghurt und einen Rest Koriander. Dann machte ich recht bald früh Feierabend, stellte den Katzen eine Extraportion Futter hin und stellte fest, dass mein Thermobecher kaputt war und ich ohne heißen vietnamesischen Instantkaffee losmusste. Also warm angezogen, Rucksack und Kopfhörer auf (das Hörbuch zu Monchis Buch – auch hier wieder Ambiguität – gute Musik, politisch stabiler Typ, spannendes Thema, Ostseeliebe, aber auch ungeklärte #metoo-Anschuldigungen stehen im Raum) und dann mit dem Müll nach unten.
Vom Müllplatz ging es dann zu Fuß durch zwei Parks, Nebenstraßen und an meiner alten Wohnung (von vor 10 Jahren) vorbei bis zum Café Moskau, das aktuell aus Gründen Café Kyiv heißt. Dort versammelten sich bereits die Demonstrant*innen zur Full Scale Freedom Demo – gegen Putin und für die Unterstützung der Ukraine. Abends verfolgte ich im Internet, wie viele meiner realen und virtuellen Bekanntschaften auch dort gewesen waren. Getroffen habe ich niemanden, obwohl ich es mit einem Freund zumindest versucht hatte, der mit seinen halbukrainischen Kindern dort war. Dann müssen wir uns bald mal wieder im Warmen treffen.

Die Auftaktkundgebung zog sich, der Lauti war viel zu leise und es drückten Regen, Windböen, Kälte und meine Blase. Ich beschloss, einen kurzen Abstecher ins nahegelegene Büro zu machen, um aufs Klo zu gehen und einen heißen Tee zu trinken. Unterwegs vibrierte mein FitBit – 10.000 Schritte geschafft. Im Büro traf ich trotz Freitagnachmittag sogar noch auf zwei Kollegen, mit denen ich einen kurzen Plausch hielt.

Dann fühlte ich mich gewappnet, wieder raus zu gehen und traf auf Höhe des Neptunbrunnens wieder auf den Demonstrationszug, der sich inzwischen auf den Weg gemacht hatte. Die Linden hinunter und aufs Brandenburger Tor zu, genau wie damals vor 20 Jahren, als wir noch hofften, die USA würden keinen Krieg mit dem Irak beginnen. Damals war ich da auch mit dem Freund, ohne Kinder natürlich noch. Wie verrückt, dass es uns 20 Jahre später aus ähnlichen Gründen wieder auf eine Demo dort verschlug, nur dass es diesmal gegen andere Imperialisten ging. Damals spielte Paddy Kelly bei der Abschlusskundgebung, diesmal gab es eine Videobotschaft von Selenskyi. Die habe ich dann aber nicht mehr mitbekommen. Als wir an der russischen Botschaft und dem russischen Panzerwrack vorbei waren, war mir erstens wieder kalt und zweitens drängte die Zeit bereits.
Ich stieg also am Brandenburger Tor direkt in die S-Bahn nach Südberlin und wartete beim Stammitaliener an der Ecke mit einem Campari Amalfi noch ein paar Minuten auf den Liebsten und das Teilzeitkind. Das gehört jetzt jeden zweiten Freitag irgendwie schon zum Ritual. Man kennt uns, man weiß, was mir möchten, wie das Kind heißt und dass ich experimentierfreudig bin. Einer von den Kellnern spricht mit mir immer Italienisch, sicherlich auch, um mich zu erfreuen, aber tatsächlich ist sein Deutsch auch weniger gut, als das des Anderen. Beide sind gute Freunde des Teilzeitkinds und schenken zum Abschied immer „heimlich“ einen Lolli.

Gestern jedenfalls meinte man auf Italienisch zu mir, das man heute ausnahmsweise Calamaretti hätte, die nicht auf der Karte stünden, und ob das nicht was für mich wäre. Klang erstmal gut. Mit ein bisschen Salat vielleicht? Hmm, wir hatten ja schon die traditionelle Focaccia und Bruschetta als Vorspeise… Oder vielleicht mit Spaghetti, in einer Tomatensauce? Now we’re talking! Calamaretti und Calamari in guter Tomatensauce, mit ordentlich Knoblauch und Petersilie und mit Peperonischeiben aromatisiertem Öl zum vorsichtigen Selbstdosieren. Sehr lecker!

Nach dem Essen waren das Teilzeitkind und ich schon sehr müde und eilten durch Kälte und Nieselregen nach Hause, während sich der Liebste noch uns Bezahlen und einen Gratis-Grappa kümmerte. Dann trafen wir uns alle im Kinderzimmer wieder. Das Teilzeitkind lag im Bett, der Liebste und ich lümmelten auf einer Matratze davor. Da der Liebste nun plötzlich noch müder war als ich, war ich mit Vorlesen dran und er machte ein Nickerchen. Kein ganzes Kapitel von Harry Potter 6 (s. o.) später, wurde verfügt, dass das Teilzeitkind jetzt noch leise weiterlesen und dann einschlafen darf – es war schon ganz schön spät geworden.
Die Erwachsenen trafen sich auf dem Sofa, um Reservation Dogs weiterzuschauen. Nach dem Vorspann war ich eingeschlafen und irgendwie schaffte ich es dann in einer Schlafpause noch ins Bett des Liebsten hinüber… Über 18.000 Schritte waren das gestern, nach fast ebenso vielen vorgestern. Vor zwei Monaten wäre das noch komplett illusorisch gewesen. #longcovid
Ich lese diese kleinen, scheinbar belanglosen Einblicke wirklich gern und irgendwas bleibt meist auch hängen und erzeugt Resonanz. Zum Beispiel werde ich nun bald mal wieder vietnamesischen Instantkaffee trinken, das habe ich zu langt mehr getan!
Freue mich sehr über diesen Eintrag zum Thema Bloggen. Danke dafür. Mir ist diese Ecke des Internet auch sehr wichtig., weil eine Vielfalt an Lebensentwürfen sichtbar wird.
please go on blogging. hach, schee. ich mag so ausflüge, einfach daher erzähltes was grad war und ist und gucke, wie’s weitergeht. dank buddenbohm hierhergefunden. tagebuchbloggen. ja, meins wird auch wieder belebt. grüße. eva