Tag 1
Nach einem unerwartet ereignisreichen Freitag kommen wir erstaunlich pünktlich am Flughafen Tegel an, um dann festzustellen, dass unser Flugzeug über eine Stunde verspätet ist. Das gibt uns Gelegenheit, uns einmal ausführlich in Tegel umzusehen, durch die Läden zu stöbern, uns über Ritter.Sport-Abpackungen in Deutschland-Farben aufzuregen und den neuen Harry Potter immer noch nicht zu kaufen, weil er dort sogar noch mehr kostet als bei Amazon. Zum Glück fliegen wir ja in Harrys Heimat und können dort mit etwas Glück deutlich günstiger zuschlagen.
Der Flug mit Flybe ist nur zu zwei Dritteln gefüllt und außer uns sind fast nur Engländer an Bord – das Urlaubsgefühl setzt ein. Bei der Einreise in Birmingham haben wir dann allerdings mit unseren deutschen Personalausweisen einen deutlichen Vorteil. Leute mit „ID Card“ werden aus der langen Schlange herausgewunken, die sich an den Schaltern für UK & EU beziehungsweise Non-EU (noch ist alles beim Alten) gebildet hat. Wir kommen einen Schalter nur für uns und sind in Nullkommanix eingereist. Das Gepäck lässt auch nicht lange auf sich warten, mein Bruder steht mit Nahverkehrs-Tickets bereit und so sind wir mit Flughafen-Shuttle, Regionalzug und Metro in nicht einmal einer Stunde in der neuen Wohnung von ihm und meiner Schwägerin. Sie sind erst vor ein paar Wochen endgültig nach England gezogen und so ist alles noch neu und aufregend für alle Beteiligten. Bei Bier, Ginger Beer und Cider sitzen wir noch bis tief in die Nacht und erzählen.
Tag 2
Wir schlafen lange, schluffen noch ein wenig rum und frühstücken dann deutsch-ausführlich mit von uns mitgebrachtem Bio-Vollkorn-Körner-Brot, den Aufstrichen Sultans Freude und Scharfe Käthe, Ziegensalami von unseren Freunden, deutschem Käse und von den beiden in rauen Mengen gebunkertem Cashew-Mus. Natürlich stehen auch schon die ersten englischen Produkte mit auf dem Tisch, aber gerade für Brot und Käse müssen die beiden noch die richtigen Bezugsquellen finden. Selbst gebackenes Sauerteigbrot ist bereits in Planung. Wenn jemand Tipps hat, wo man den ganzen tollen englischen Käse in Birmingham kaufen kann, sind sie bestimmt sehr dankbar – bei Tesco gibt es nur Cheddar in sämtlichen Ausführungen. Nach dem Frühstück planen wir noch ein wenig den gemeinsamen Abschnitt unseres Riadtrips und trinken einen libanesischen Kaffee mit Kardamom. Dann laufen wir los, die Gegend erkunden. Zunächst geht es kreuz und quer durchs Jewellery Quarter, in dem die beiden wohnen. Hier reiht sich eine Juwelierwerkstatt an die nächste und drumherum wird fleißig gentrifiziert, mit Eigentumswohnungen, Cafés und Restaurants. Bioläden gibt es noch nicht, die sind in England allerdings auch generell eher selten. Am St. Paul’s Square, dem „Kollwitzplatz von Birmingham“ liegen halbnackte Engländer auf der Wiese und sonnen sich – es ist nämlich dankenswerter Weise hier gerade deutlich sonniger und wärmer als in Berlin.
Wir laufen weiter, bis wir auf das Kanalsystem stoßen. Birmingham war früher ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt für Wasserstraßen und ist deswegen noch immer von Kanälen durchzogen – angeblich auf mehr Strecke als Venedig. Wir flanieren an den Kanälen entlang bis zu der Stelle, an der wir eine Bootstour machen wollen. Da das nächste Boot erst in einer guten Stunde ablegt, setzen wir uns in einen Burgerladen, trinken Limonade aus Löwenzahn und Klettenklee bzw. Holunderblüten und essen leckere Burger (Rindfleisch-Limette-Chipotle für den Hasen, Süßkartoffel-Bohnen-Mango-Ingwer für mich) mit Chips bzw. Gemüsespieße und Süßkartoffelpommes. Außerdem nutzen wir das WLAN, denn in der neuen Wohnung gibt es leider noch keinen Internetanschluss. Blöderweise habe ich bisher auch fast überall in Birmingham sehr schlechten Internetempfang auf dem iPhone, so dass ich mich ein wenig von der Welt abgeschnitten fühle, kaum mal etwas recherchieren kann und nur ab und an ein Instagram-Bild den Weg in die Öffentlichkeit findet (nach dreimaligem Abschicken und unter größten Anstrengungen).
Dann geht es eine gute Stunde lang mit dem Narrowboat durch die Kanäle – zunächst noch durch die Innenstadt, dann vorbei an Fabrikruinen und Industriebrachen voller Graffiti, die die Natur sich langsam zurückerobert. Der Hase eröffnet in Gedanken Restaurants, Clubs und Galerien und ich schieße Foto um Foto. Überall blüht der Sommerflieder, die Hecken hängen voller reifer Brombeeren und vor einem riesigen Graffiti sonnt sich ein fast gleichfarbiger Reiher. Bruder und Schwägerin verfolgen derweil, wo wir genau langfahren, welche Radwege wohin führen und welche Touren sie also demnächst am Wasser entlang planen können. Birmingham ist nämlich ansonsten eine typische Autostadt, was ein bisschen nervig ist. Nach der Tour laufen wir weiter mitten ins Zentrum und begucken uns die Prachtbauten – Symphonieorchester, Theater, Bibliothek, Rathaus, den Hauptbahnhof (eigentlich New Street Station, wird aber gerade umgebrandet ins vornehmere Grand Central Station), den von Lady Di eröffneten Victoria Square und die New Street mit ihren Geschäften und teilweise schönen alten Häusern, die leider von hässlichen Neubauten unterbrochen sind.
In einem Einkaufscenter, in dem das Leben an einem Samstag natürlich tobt und wo ein DJ live für die entsprechende Elektro-Untermalung sorgt, gönnen wir uns nur schnell einen Milchshake – shoppen werden wir morgen noch ein wenig, allerdings nur dringend benötigte Dinge wie eine zusätzliche Jeans für den Hasen und eben den neuen Harry Potter. Stattdessen nehmen wir den Bus und fahren ins so genannte Balti Triangle, eine Wohngegend, in der vor allem viele Pakistanis leben, die hier gemeinsam mit den Indern die größte nationale Minderheit darstellen (dicht gefolgt von Jamaikanern, Iren und sicherlich auch Polen). Wir spazieren durch die Straßen, schauen uns die vielen bunten Kleider in den Schaufenstern an, kaufen uns in einem Supermarkt acht Mangos und in einem Imbiss zwei Ladoos und suchen uns dann zielsicher das einzige Restaurant aus, das nicht voller pakistanischer Familien, sondern voller Weißer ist. Mist! Anders als erwartet schmeckte das Essen trotzdem hervorragend, unsere Theorie ist jetzt, dass der Unterschied zwischen den Restaurants vor allem im Schärfegrad und vielleicht noch im Preis liegt. Wir aßen Baltis, eine pakistanisch-birminghamsche Spezialität, bei der Curries portionsweise in gusseisernen Wok-ähnlichen Pfannen zubereitet werden und dann noch brutzelnd und kochend heiß serviert werden. Wir suchten uns jeder ein anderes Balti aus. Für mich gab es „tropische Gemüse mit Paneer“, der Hase hatte Kartoffeln, Erbsen und Paneer, der Bruder Hackfleisch mit Kichererbsen und die Schwägerin Okra. Dazu gab es Reis und Naan mit Koriandergrün und natürlich jede Menge Mango-Lassi.
Nach dem Essen fuhren wir mit dem Bus nach Hause und fielen dann nach 13,7 gelaufenen Kilometern hundemüde ins Bett.
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