29.03.2024 – Auf nach Valencia

Das war wieder eine sehr stückige Nacht. Gut, dass sie so früh begann, denn kurz nach 4 ist sie zu Ende – drei Stunden vor dem Weckerklingeln. Nach dem gestrigen aufregenden Abend bin ich immer noch etwas benommen, wattig und natürlich sehr, sehr müde, als ich schließlich aufstehe – es hilft ja aber nichts, ich muss heute den Zug nach Valencia nehmen. Ich stelle mich unter die Dusche, räume den gestrigen Tag auf, packe meine Sachen, lasse den Teil der Dreckwäsche da, den ich die nächste Woche über nicht brauchen werde und ebenso den Beutel mit den Mitbringseln. Dann mache ich mir Müsli mit Erdbeeren und packe den Rest Erdbeeren für die Fahrt ein. Kurz vor 9 verlasse ich die Wohnung und laufe durch ein regnerisch-kaltes Madrid zum Bahnhof.

Das Bahnhofserlebnis ist speziell in Spanien, während ich es erlebe, erinnere ich mich wieder an meine Fahrten zwischen Sevilla, Cádiz und Málaga vor 12 Jahren ungefähr um diese Zeit. Nachdem ich herausgefunden habe, ob mein Zug im Unter- oder Obergeschoss fährt, gehe ich (nachdem mein Ticket gescannt wird) durch die jeweilige Gepäckschleuse, bei der Gepäck und Jacken durchleuchtet werden. Dahinter gibt es einen Wartebereich, auch ähnlich wie am Flughafen. An einer Anzeigetafel versammeln sich jeweils die Passagiere, deren Züge demnächst fahren und warten darauf, dass das Gleis angezeigt wird. Ist das soweit (in meinem Fall etwa zehn Minuten vorher), geht man zum Bahnsteig. Beim Betreten dessen wird das Ticket ein weiteres Mal gescannt, erst dann darf man zum Zug und sucht sich seinen Platz – der wird beim Ticketbuchen direkt und kostenfrei mitgebucht. Dabei muss man auch eine Ausweisnummer angeben, Menschen ohne Papiere können wohl nur mit Regionalzügen fahren?

Ich habe einen Fensterplatz mit Tisch, Steckdose und Audiobuchse für die Bordunterhaltung, die (mit Untertiteln) über die Bildschirme flimmert. Der Platz neben mir ist eigentlich besetzt, aber der Zug ist so leer, dass mein Sitznachbar sich mit seinen im Wagen verteilten Freunden einen gemeinsamen Vierer suchen kann. Extrem leer für einen Feiertag, aber hier war ja auch gestern schon frei und vermutlich sind die meisten gestern schon gefahren. Die Sitze sind extrem bequem und ich nicke direkt am Anfang ein, als wir durch langweilige Vororte fahren. Dann aber will ich was von Spanien sehen und bleibe wach und nasche Erdbeeren.

Nach zwei Stunden mit nur zwei Zwischenhalten sind wir in Valencia. Hallo Mittelmeer, hallo 25 Grad, hallo Orangenbäume überall!

Der Duft von Orangenblüten lauert hier an jeder Ecke und ist deutlich betörender als mein Parfüm (ebenfalls angeblich Orangenblüte). Ich rollkoffere vom Bahnhof zur nächsten U-Bahn-Station (namens Jésus), kaufe mir ein 10-Fahrten-Ticket für 11 € (das in Madrid hat 6,50 € gekostet) und fahre bis zur Station Maritim. Dort ist die Rolltreppe ausgefallen und weil die Treppe lang und steil ist, entscheide ich mich für den Fahrstuhl. Dumme Idee.

Zwei Minuten später stehe ich gemeinsam mit fünf anderen Menschen und deren Gepäck bei 25 Grad in einem engen Fahrstuhl, der zwischen den Stockwerken stehengeblieben ist (und ja, er ist für 10 Pesonen ausgelegt, daran liegt es nicht). Neben mir sind zwei deutsche Tourist*innen am Start und drei einheimische, die hektisch auf Spanisch debattieren und dann auf verschiedenen Wegen Hilfe anfordern – es gibt einen Notfallknopf und eine Telefonnummer und beide werden mehrfach betätigt. Techniker ist informiert, aufgrund des Feiertags kann es etwas dauern. Eine der spanischen Damen ist Asthmatikerin und wird schnell ein wenig panisch, am Ende dauert es aber zum Glück nur gut 20 Minuten, bis jemand kommt. Der Fahrstuhl wird dann sehr, sehr langsam wieder nach unten gelassen und die Tür mit Gewalt aufgestemmt, so dass wir alle rauskommen.

Ich atme befreit die frische Bahnhofsluft und bin froh, dass ich nicht zum zweiten Mal in zwei Tagen umgekippt bin. Dann trage ich meinen Koffer doch die lange, steile Treppe hoch und laufe die Viertelstunde durch schönsten Sonnenschein durch das ehemalige Fischerdörfchen El Cabanyal zu meiner Unterkunft. Dort treffe ich auf meine Gastgeberin, bekomme den Schlüssel und Anweisungen zu Küchengeräten, Lichtschaltern und Mülltrennung. Dann ist endlich Durchatmen angesagt. Ich gehe aufs Klo (hätte schon seit dem Hauptbahnhof gemusst) und telefoniere mit dem Liebsten und seiner Familie. Dann stelle ich die Waschmaschine an – ich habe in Madrid mehr von den wärmeren Klamotten verbraucht, als vorgesehen – und lege mich ein bisschen hin.

Lange liegen ist aber nicht, denn irgendwie muss ich noch an Essen kommen – angeblich ist der Supermarkt um die Ecke noch bis 15 Uhr auf. Als ich kurz nach 14 Uhr dort ankomme, muss ich feststellen, dass dem nicht so ist. Also laufe ich erstmal weiter zum Strand, in der Hoffnung dort irgendwo ein „Fischbrötchen“ oder ähnliches zu finden. Dabei und an der Strandpromenade komme ich an lauter überfüllten Restaurants vorbei – es ist beste spanische Mittagessenzeit und Feiertag und alle sind unterwegs. Ich will mich ja eigentlich gar nicht richtig hinsetzen, sondern nur schnell ein Calamares-Sandwich oder frittiertes Irgendwas auf die Hand, aber bis auf Burger King ist hier nichts Take-away und soweit sinke ich dann doch nicht. Also schaue ich mir die Restaurants nochmal aus der Nähe an, aber es stehen überall Leute an, die auf freie Tische warten.

Ich laufe nochmal ein Stück zurück in die Stadt, wo ich einen offenen Gemüseladen gesehen habe. Dort hole ich mir zwei Bananen, eine Packung Kekse und eine Tüte Chips und kehre damit an den Strand zurück, jetzt richtig bis ans Wasser. Ich starre freudig auf die Wellen – einige Mutige sind auch im Wasser, aber es ist sehr windig heute und damit trotz der 25 Grad frisch und das Wasser hat auch nur 15 Grad – und mampfe Banane und Chips. Dann wird mir der Wind zum Sitzen zu kalt und ich laufe am Wasser entlang und lasse mir die Beine nassspritzen.

Dann laufe ich zurück zu meiner Unterkunft, bevor der angekündigte Regen anfangen soll.

Ich hänge die Wäsche auf und lege mich zu einer ausführlichen Siesta ins Bett. Nach anderthalb Stunden komatösem Tiefschlaf wecken mich sintflutartige Regenfälle, die aufs Plastikvordach pladdern, unter dem meine Wäsche hängt. Als ich wieder einigermaßen bei mir bin, beginne ich mit den Recherchen fürs Abendessen. Ich habe Empfehlungen von meinem Kollegen, der mir El Cabanyal als Basislager empfohlen hat, und Empfehlungen von der Gastgeberin. Ich schaue mir die Lokale auf Google Maps, Foursquare, TripAdvisor an, lese die Speisekarten… und werde dabei immer träger. Vielleicht muss ich nicht an einem Feiertag abends nochmal los und in überfüllten Lokalen speisen? Gerade nach der Erfahrung gestern habe ich wenig Lust darauf, außerdem bin ich kaputt.

Dann kommt mir die entscheidende Eingebung: Was mache ich zuhause, wenn ich nichts zu essen im Haus hab und nicht rausgehen will oder kann? Richtig, Essen bestellen! Von den Apps, die ich dafür habe, ist UberEats diejenige, die auch in Valencia aktiv ist. Ich suche eine Weile, bis ich auf „spanisches“ Essen stoße (es gibt sonst vor allem Burger, Pizza, Tacos und Burritos) und stelle mir dann ein Menü zusammen – Patatas bravas mit zwei Saucen, Bocadillo mit Tomaten, Olivenöl und jamón, Orangenlimo. Gerade als ich bestellt habe, geht es draußen mit Musik los. Die Karfreitagsprozessionen gehen in die nächste Runde.

Schon bei der Ankunft hatte ich diverse kostümierte Menschen gesehen, aber jetzt geht es richtig los – mit Trommeln und Bläsern und Roben und allem Schnickschnack. Ich gehe raus vor die Tür und sehe einen Teil einer Prozession direkt vorm Haus vorbeiziehen.

Noch lange höre ich die Musik aus verschiedenen Richtungen, irritierenderweise zwischendurch auch die spanische Nationalhymne. Trennung von Kirche und Staat, so wichtig. Die ganzen Prozessionen scheinen den Essenslieferungsprozess zu beeinträchtigen – ich kann beobachten, wie der Fahrer auf dem Weg zum Restaurant mehrfach lange irgendwo steht und nicht weiterkommt und dann auf der Fahrt vom Restaurant zu mir Umwege fahren muss. Am Ende dauert es 50 Minuten statt der ursprünglich geschätzten 20-30, aber dann ist das Essen da. Etwas matschig und nicht mehr ganz heiß zwar – ich stecke es nochmal in die Mikrowelle – aber ausreichend lecker.

Nach dem Foto entscheide ich mich dann aber für Essen im Bett und dazu einen Film. Ich schaue „Late Night“ Emma Thompson und Mindy Kaling, der erwartungsgemäß OK ist, und hinterher nochmal zwei Folgen „Gipfeltreffen“ – weniger witzig als neulich, Johann König unangenehmer als früher, Torsten Sträter weniger weise, Olaf Schubert der unbestrittene Höhepunkt der Show. Dann ist es schon nach 23 Uhr. Ich könnte noch die neue Staffel LOL anfangen, entscheide mich aber für Zähneputzen, Pullern und ab ins Bett. Nach etwa zwei Buchseiten schlafe ich tief und fest, während draußen im barrio immer noch getrommelt und geblasen wird.