12.12.2024 – Huiiiiiiiii

Meine Yogalehrerin hat mir mal, als sie noch meine Physiotherapeutin war, eine witzige „Übung“ beigebracht. Man soll sich bewusst machen, mit was für einer krassen Geschwindigkeit (global gesehen, pun intended), die Erde durchs Weltall rast. Und dann in diesem Bewusstsein einen Strecksprung machen und „Huiiiiiiii“ rufen. Das macht gute Laune und holt einen ein bisschen raus aus dem Trott und der Strecksprung hat bestimmt auch noch physische Vorteile. Aber dies nur am Rande.

Ich erwache vom Weckerklingeln und fühle mich erst einmal unglaublich müde. Viel Zeit habe ich dadurch nicht, Italienisch und Spielen muss ich auf später verschieben. Halb 10 sitze ich am Schreibtisch, mit Müsli und Flohsamen und Kräutertee. Ich beantworte schnell die dringendsten E-Mails und telefoniere dann mit dem Finanzamt, das eine Woche später noch keine wirklich detaillierteren Informationen für mich hat, außer, das irgendwelche Infos wohl nicht angekommen sind über Elster und wir die nochmal einreichen sollen. Also stelle ich nochmal alles zusammen und schicke es meinem Bruder, damit er es ausdrucken kann und wir das postalisch machen. Zum Glück sind das nur wenige Klicks und ein Anschreiben.

Dann widme ich mich dem Rest der E-Mails und dem Projektmanagement-Tool und einer Übersetzung und telefoniere erst mit Ostfriesland und dann mit Lichtenberg. Das dauert bis zum ersten Meeting halb 12 – mit dem neuen Büro. Das hat diese Woche sein Soft Opening und genau darüber informiere ich im Nachgang die Belegschaft. Dann kommt eine Benachrichtigung von DHL, dass ein Paket mir genau während der üblichen Mittagspausenzeit zugestellt werden soll. Also ziehe ich mich schnell an und gehe vorher nach Draußen. Schneller Einkauf im Supermarkt, mit Selbstzahlkasse statt Schlange, I love it. So brauche ich inklusive Hin- und Rückweg nur eine halbe Stunde. Hunger habe ich noch keinen, also setze ich mich wieder an den Laptop und mache weiter.

Ich lektoriere eine Übersetzung und meete dann spontan die Kollegin in Südengland, um zwei Punkte abzusprechen. Dabei stellen wir fest, dass wir einen Teil der Woche nur zu zweit im Team sein werden und das mal wieder ganz schön sportlich werden wird. Unsere Chefin hat eigentlich ab Morgen Urlaub, da ihr Kind Ferien hat, wird aber wohl oder übel trotzdem teilweise arbeiten müssen, wir wollen ihr aber so viel wie möglich echte Freizeit ermöglichen. Donnerstag beginnt der erste Urlaub des Kollegen in Chicago seit dem Sommer und ab Donnerstag Nachmittag hat die Kollegin in Paris frei, die gerade mitten im Umzug steckt und dann ihre alte Wohnung zur Übergabe fertig machen muss. Gut, dass ich letzte Woche krank war und nicht diese. Aber auch: Ich muss dann jetzt diese Woche gesund sein, auch wenn der Bauch noch rumort.

Während dieses Meetings klingelt es und der DHL-Bote kommt. Weil der Teenie (Oder inzwischen nicht mehr Teenie? Er fährt jedenfalls schon Auto) von oben drüber eilfertig nach unten läuft, um sein Paket zu holen, muss ich wohl oder übel hinterher, sonst dauert das alles ewig und ich habe ja die Kollegin virtuell da sitzen. An der Haustür nehmen wir unsere Pakete entgegen, aber immerhin trägt mir der Teenie dann mein schweres hoch (Trockenfutter und ein neues Katzen-Gimmick, erzähle ich, wenn ich die Muße zum Auspacken und Ausprobieren hatte) und ich ihm sein leichtes. Ich komme trotzdem außer Puste zurück ins Meeting, aber die Kollegin hatte auch jemanden an der Tür und so fügt sich dann alles wieder.

Dann geht es von diesem Meeting direkt ins Nächste – wieder Büro und dazu Ostfriesland. Wir reden konstruktiv, überziehen eine Viertelstunde und beschließen dann eine Vertagung auf ein weiteres Meeting morgen Nachmittag, weil zwei dringend los müssen. Ich nutze dann gegen 15 Uhr die Gelegenheit und mache mir den Rest Kartoffel-Möhren-Dings und zwei vegetarische Würstchen warm. Gegessen wird wieder am Laptop, es gibt genug zu tun. Ich schaue mir die Aufzeichnung eines Talks an, dem ich neulich nur beiläufig folgen konnte, und mache mir Notizen. Dann ist der Kollege in Ostfriesland vom Kita-Abholen zurück und wir sprechen nochmal eine halbe Stunde. Am Rande auch darüber, dass heute Rosenmontag ist und er als Düsseldorfer ja im Karnevalsexil. Letztes Jahr ist er von Potsdam nach Ostfriesland gefahren und wenigstens wird dort in der Kita auch am Rosenmontag gefeiert und nicht wie bei uns im Osten am Dienstag, wo doch da im Rheinland quasi immer schon alles vorbei ist. Da habe ich so noch nie drüber nachgedacht. Ich denke generell wenig über Karneval nach, bin aber damit aufgewachsen, dass Fasching immer am Dienstag ist und fand es dann merkwürdig, dass woanders so ein Brimborium gemacht wird und der Montag so wichtig sein soll. So schwimmen wir halt alle in unseren Blasen.

Von diesem Meeting geht es direkt weiter in eines mit Madrid, Chicago, Bristol und London. Auch hier wird überzogen, aber ich muss leider pünktlich raus in mein Team-Meeting um 17 Uhr. Das ist mal wieder pickepackevoll und wir müssen um 18 Uhr abbrechen, ohne alles durchgesprochen zu haben, weil da schon wieder das nächste Meeting ist, für drei von uns zumindest. Diesmal muss ich nur still zuhören und es ist sehr spannend. Ab 18:30 mache ich dann noch die dringendsten Nacharbeiten aus dem Team-Meeting und dann klappe ich irgendwann völlig fertig den Laptop zu und setze mich kurz zum Veratmen und mit dem Liebsten telefonieren auf die Couch. Ein Montag mit sieben Meetings, davon vier direkt back to back, zwei dienstlichen Telefonaten, einem DHL-Boten und dem Finanzamt.

Unter normalen Umständen würde ich jetzt einfach auf der Couch bleiben und irgendwann ins Bett wechseln, aber heute hat Mama Geburtstag und deswegen verlasse ich stattdessen kurz vor halb 8 die Wohnung und fahre mit Tram und U-Bahn nach Mitte, wo wir uns als vollständige Kernfamilie (passiert selten genug) in einem Restaurant treffen. Einen Tag, nachdem ich einem ähnlichen Plan in Südberlin eine Absage erteilt hatte, weil ich noch nicht fit genug und mein Magen zu empfindlich war. Skurril, aber Familie ist Familie.

Ich brüte dann auch lange über der Karte, bis ich ein für mich gangbares Menü (möglichst schonköstlich, möglichst histaminfrei) zusammengestellt habe. Ganz geht das nicht, mit Spinat zumindest muss ich leben. Die Alternativen wären noch fettiger und damit nicht schonköstlich gewesen – oder halt voller Histamin mit Tomaten, Parmesan usw. Während die Familie sich an apulischem Primitivo erfreut, trinke ich Ginger Ale und Wasser. Das Essen ist dann aber nicht nur schon-, sondern auch sonst köstlich:

Vitello tonnato und ein Malfatto
Wolfsbarschfilet an Zitronen-Kardamom-Sauce und Spinat
Mangoparfait mit Mangosauce und Beeren

Ich esse vorsichtig und kaue gut und hoffe, dass das alles irgendwie verträglich ist. Dabei unterhalten wir uns natürlich wie immer sehr gut und haben eine Menge Spaß und ich schaffe es zwischendurch, die Arbeit zu vergessen und den Fakt, dass es Montag ist und noch die ganze Woche vor mir liegt. Die Eltern erzählen ausführlich von ihrer Reise samt Vortrag in Rostock, von der sie gestern zurückgekommen sind, es gibt viel Neues von den verschiedenen Bekannten und Verwandten. Und am späteren Abend geht es dann nochmal tief in die Familiengeschichte, und die Berührungspunkte mit dem „Widerstand“ gegen das NS-Regime – über den Pfarrer, der seinen Ort zur Kapitulation vor den Sowjets überzeugt hat, die (Groß-)tante, die eine jüdische Familie versteckt hat und in Yad Vashem geehrt wird und meinen Uropa, der die Produktion kriegswichtiger Erzeugnisse sabotierte, ukrainischen Kriegsgefangenen zur Flucht verholfen hat und im Laufe seines Lebens Mitglied verschiedenster linker Gruppierungen war.

Kurz nach 22 Uhr verabschieden wir uns – ich laufe wieder zur Bahn, der Rest geht noch auf einen Absacker zurück zu den Eltern. Während ich auf die U-Bahn warte, google ich nochmal ein paar Bilder, um herauszufinden, ob der Mann am Nebentisch, von dem mein Bruder meinte, er hätte Bernd Lucke sein können, nicht eher Jan Fleischhauer oder doch Heiko Maas war. Vermutlich keiner der Drei, aber er sah allen dreien ähnlich und vielleicht gibt es ja noch einen anderen Promi, der uns einfach nicht eingefallen ist? Sowohl die U-Bahn als auch die Tram fahren nicht mehr so eng getaktet um diese Zeit, so dass ich fast eine Stunde bis nach Hause brauche. Immerhin kann ich so Italienisch nachholen und meinen Streak im Handyspiel sichern. Gegen halb 12 liege ich mit rumorendem Bauch im Bett, bis zum Einschlafen ist es wieder nach Mitternacht.

Hinterlasse einen Kommentar