27.11.2023 – Schwerer Tag

Der Liebste wird des Nachts immer wieder von Hustenanfällen geschüttelt – und ich mit – Reizhusten in der Nachfolge des letzten Infekts, der höchstwahrscheinlich Covid war (zum dritten Mal), sich aber nicht mit Test nachweisen ließ. Kurz nach halb 6 sind wir beide endgültig wach und trinken dann bald resignierend Kaffee im Bett. Immerhin viel Zeit für Morgenlektüre, Bloggen und alle diese Dinge. Halb 7 klingelt der Wecker des Teilzeitkinds, Dreiviertel 7 wird es endgültig zum Aufstehen gedrängt. Eigentlich soll es halb 8 aus dem Haus aber heute dauert alles etwas länger. Aber auch mit einer knappen Viertelstunde Verspätung wird es dank Roller noch pünktlich angekommen sein.

Als die Wohnungstür ins Schloss fällt, gehe ich ins Bad und dann begleitet mich der Liebste noch bis zur S-Bahn. Ich nutze die Fahrt für die Sprach-Apps und höre dann Monchi bei Feelings zu. Kurz vor 9 laufe ich von meinem S-Bahnhof nach Hause und treffe auf dem Weg den Lieblingsnachbarn, der gerade auf dem Weg ins Büro ist. Wir verabreden uns für später in der Woche. Zuhause angekommen setze ich Teewasser auf und will mir gerade Frühstück machen, als mich die Nachricht erreicht, das unser todkranker Kollege gestern gestorben ist. Fuck. Frühstück fällt erstmal aus. Ich gebe den Katzen schnell ihr Futter und setze mich mit Tee an den Schreibtisch.

Der Tag versinkt im emotionalen Chaos – zwischen Erleichterung, dass der liebe Kollege nicht mehr leiden muss und dass der furchtbare Schwebezustand ein Ende hat immer wieder Fassungslosigkeit und Trauer. Ich spreche mit vielen Kolleg*innen, alle in unterschiedlichen Phasen der Trauer und Verarbeitung. Ich sage meiner Chefin Bescheid und organisiere Dinge, sorge dafür, dass alle am deutschen Standort Bescheid wissen und wissen, dass sie sich heute nicht zu Höchstleistungen zwingen müssen, sorge dafür, dass ihre Vorgesetzten im Ausland das auch so sehen und Verständnis haben, schreibe meine erste offizielle Rundmail zum Tod eines Kollegen, sage ehemaligen Kolleg*innen Bescheid, mit denen ich in den letzten Wochen dazu in Kontakt war, setze auf eines der Fotos, die ich in den letzten Wochen herausgesucht habe einen Schwarz-Weiß-Filter, finalisiere Pläne für das offizielle Verhalten der Firma und setze diese durch.

Etwas zu tun zu haben, fühlt sich gut an. Aber da sind noch die anderen Aufgaben, die nichts mit dem Thema zu tun haben. Die brechen mir heute das Genick. Ebenso das merkwürdige Verhalten weitgehend unbeteiligter Personen. Gerade noch habe ich allen geschrieben, sie sollen sich heute selbst Zeit und Raum geben, aber ich muss mich mit so einem Scheiß rumärgern? Bevor ich unflätig wäre, ziehe ich die Reißleine und gehe für eine Weile auf die Couch. Zwischendurch hatte ich mir schon ein Müsli runtergewürgt, aber am frühen Nachmittag nutze ich ein ausgefallenes Meeting aus und stelle mich an den Herd. Ich koche mir in aller Ruhe einen Gemüseeintopf aus Zwiebeln, Möhren, Sellerie, Pastinaken, gelber Bete, Kartoffeln, Erbsen, Petersilie und den letzten Suppennudeln.

Damit geht es zurück an den Schreibtisch, denn eine dringende Deadline ist soeben nochmal dringender geworden. Ich sitze vor der Aufgabe und mein Kopf streikt. Tilt. Nix geht. Der Kollege, der mir dabei helfen soll, ist in Chicago und steht gerade erst auf. Also atme ich tief durch und fange einfach an irgendeiner Stelle an. Und dann kriege ich es hin. Nicht so, wie gedacht – dazu sind meine Excel-Kenntnisse zu rudimentär – aber eine Alternativlösung bekomme ich hin. Danach wieder Sitzen und Atmen bis zum Treffen unserer Frauen-ERG. Seit diesem Monat bin ich da nicht nur zum Spaß dabei, sondern auch als Teil meines Jobs. Mit Kolleginnen aus Madrid, Chicago, Bristol und Maine sprechen wir über das, was gerade so ansteht – beruflich und privat. Das tut gut.

Dann Teammeeting mit Paris, Chicago und Nordengland (Südengland hat heute frei). Wir besprechen, wie sich auch die globale Firma zu dem Tod des Kollegen verhalten sollte – also kommunikativ. Ich bin dankbar, dass die anderen das Reden übernehmen und ich nur sagen muss, ob etwas für mich passend und kulturell angemessen ist. 13,5 Jahre war das mein Kollege, bis zur Pandemie sahen wir uns jeden Arbeitstag, bis zu seiner Krankheit hatten wir auch danach noch regelmäßig virtuell miteinander zu tun. Jetzt bin ich – zusammen mit zwei anderen, die am gleichen Tag angefangen haben wie ich, die dienstälteste Mitarbeiterin in Deutschland. Und er kommt wirklich nie mehr wieder.

Wir besprechen dann noch die anderen Themen für die Woche und dann mache ich um 18 Uhr Feierabend. Ich quatsche kurz mit dem Mitbewohner und ziehe mich dann mit noch einer Schüssel Suppe, einer Satsuma, einem Schokoladenweihnachtsmann und den Katzen auf die Couch zurück. Nur noch Einmummeln will ich mich. Ich zünde zwei Kerzen an – Gedenken und Gemütlichkeit.

Beim Durchscrollen der Timeline sehe ich, dass heute ein Solidaritätskonzert gegen Antisemitismus im Berliner Ensemble stattfindet und live übertragen wird. Also verbringe ich den Abend mit Igor Levit, Margot Friedländer, Katharina Thalbach, Wolf Biermann (neben Margot Friedländer ist der alte Mann plötzlich ein junger Hüpfer), Alexander Scheer, Sven Regener, Thees Uhlmann, den Toten Hosen und einigen mehr. Die Gedanken aber schweifen auch hier immer wieder ab zum Kollegen. Gegen Mitternacht ist das Konzert vorbei und ich gehe ins Bett. Heizdecke und Podcast sorgen (samt Schlafdefizit) für ein schnelles Einschlafen.