15.11.2023 – Community-Tag

Da ich ja von gestern so müde und erschöpft war, schlief ich einfach mal so sieben Stunden durch, ohne eine einzige Unterbrechung – selbst die Katzen ließen mich in Ruhe. Ich bin also deutlich ausgeruhter als gestern und nachdem der Schnelltest weiter negativ ist, kann ich wie geplant ins Büro gehen. Die Weg-Mate spare ich mir heute, ich bin innerlich aufgekratzt genug. Um mich mental für den Tag zu stärken, trage ich Orangensocken aus dem Spanienurlaub vor zwei Jahren, meinen Hiddensee-Hoodie und meinen Nova-Scotia-Schal.

Im Bürofahrstuhl

Beim Rausgehen sehe ich, dass das ältere alte Paar in der Wohnung nebenan heute auszieht, wahrscheinlich in eine barrierefreie Wohnung oder betreutes Wohnen oder so, die Möbel kommen jedenfalls alle mit, das ist beruhigend. Bis auf gelegentliches „Hallo“ und ein ausführlicheres Gespräch bei unserem Einzug vor nunmehr zehn Jahren hatten wir nichts weiter miteinander zu tun. Ich bin gespannt, wer als nächstes einzieht und relativ sicher, dass die Miete der Wohnung gewaltig ansteigen wird – im Rahmen des Erlaubten.

Im Büro angekommen schütte ich mir Hafermilch ins Müsli, schnipple einen Apfel hinein und hole mir einen Milchkaffee. Ich schicke dem Liebsten ein Foto des heutigen Startbildschirms – da wollen wir evtl. im nächsten Jahr wieder hin.

Dann fangen auch schon die vielen Gespräche mit Kolleg*innen an, über die beschissene Situation des sterbenden Kollegen. Es gibt viele Umarmungen heute, Erzählungen von früher, alle müssen sich das Thema von der Seele reden. Eine Kollegin sagt scherzhaft „Hallo Familie“ und hat irgendwie Recht damit. Das alles tut gut und hilft beim Verarbeiten und Einordnen – ähnlich wie oft die eigentliche Trauerfeier nach einer Beerdigung.

Eine muslimische Kollegin erzählt mir, dass nach ihrem Glauben bereits bei der Geburt der Todestag eines jeden Menschen festgelegt ist und man selbst darauf keinen Einfluss hat. Darüber denke ich lange nach. Das ist sicherlich manchmal tröstlich und hilft, nicht zu sehr mit dem Schicksal zu hadern, aber es entbindet einen auch irgendwie von jeglicher Verantwortung. Geht man denn zur Vorsorge, wenn man das glaubt? Schwierig. Am Nachmittag ruft mich noch eine ehemalige Kollegin an, die den Post des Kollegen auch gesehen hat und seitdem geistig damit beschäftigt ist und jemanden zum drüber Reden braucht.

Zwischen dem ganzen Reden ist natürlich auch Arbeit. Ich bereite Dokumente vor und übersende sie an zwei Kolleginnen in London und Madrid. Ich erteile Arbeitsaufträge an Kolleg*innen in Prag, Madrid, Warschau, Paris. Ich gehe einer Sache auf den Grund und bespreche mich dazu mit Kolleg*innen aus verschiedenen Teams und Führungsebenen vor Ort. Ich lektoriere eine Übersetzung für eine italienische Kollegin in Dublin. Ich ändere etwas auf unserer Corporate Website, ich helfe einem Kollegen vor Ort bei einer Formulierung. Ich recherchiere etwas für unsere Weihnachtsplanung und bespreche mich dazu mit einem Kollegen vor Ort…

Mittags gehe ich in den Food Court des Einkaufszentrums nebenan, stelle mir bei einem asiatischen Büffet einen vegetarischen und dazu noch sehr gemüselastigen Teller zusammen und esse den direkt vor Ort. Dabei kommen Erinnerungen auf an Toronto vor 18 Jahren. (18?? Das kommt mir beim Schreiben unheimlich viel vor, stimmt aber.) Da guckten ein Kollege und ich uns jeden Mittag an und fragten: Food Court oder Hot-Dog-Stand? Meistens wurde es der Food Court und dort meistens der asiatische Imbiss, wo ich mich meistens für das Golden Ginger Chicken mit Pad Thai als Beilage entschied. Das war meine erste Begegnung mit dem Konzept „Food Court“ – die Einkaufszentren in Bautzen und Rostock hatten so etwas nicht.

Am späten Nachmittag habe ich dann noch zwei Calls – einen mit London und einen mit Paris, London und Chicago. Dann ist der Arbeitstag um, ich bleibe aber noch etwas und suche im Archiv nach Fotos des sterbenden Kollegen. Die Kollegin aus Madrid hatte mich gestern Abend danach gefragt – sie wollte lustige Fotos, um sie ihm zu schicken und aufzumuntern. Ich gucke nebenbei auch nach anderen, weil ich ahne, dass ich demnächst auch eins ohne Partyhütchen brauchen werde.

Gegen halb 7 brechen ein Kollege und ich auf und laufen gemeinsam zu seiner Tram-Haltestelle. Wir haben uns wie immer viel zu erzählen. Morgen wird er bei einer Veranstaltung auf Christian Lindner treffen und aus Gründen womöglich Fotos mit ihm machen. Ich bitte ihn, Herrn Lindner von mir zu fragen, warum er arme Menschen hasst. Seine Bahn kommt auch nach zehn Minuten Warten nicht und die angezeigte Wartezeit wächst an. Er entscheidet sich dann für ein Uber und ich laufe weiter zu meiner eigenen Tram und fahre nach Hause.

Auf dem Weg habe ich große Lust, mir etwas zu essen zu bestellen. Zuhause ist dann aber sturmfrei und ich erinnere mich, dass der Mitbewohner aushäusig zum Essen verabredet ist und mir die Reste seines Abendessens von gestern angeboten hat. Es gibt also nicht von mir gekochte Pasta mit Brokkoli und das ist wie Essen bestellen, nur günstiger. Dazu Sanddornsaft.

Außerdem in der Post: Der Steuerbescheid mit der Bestätigung der Rückzahlung, die meine Software mir errechnet hatte. Noch ein Win. Ich fotografiere außerdem ein Behördenschreiben für den Ex-Mitbewohner und übersetze ihm den wichtigsten Teil.

Dann verbringe ich den Abend auf der Couch, mit Trevor-Noah-Podcast, Sprach-Apps und Liebstentelefonat. Wichtigste News: Das Teilzeitkind hat auf seinem Handy, das es bisher nur zum Fotografieren und Hörspielhören hatte und das nur im WLAN funktioniert, jetzt auch WhatsApp und wurde in die Familien-WhatsApp-Gruppe aufgenommen und ist sehr entzückt von einem süßen Video des Kindes der Schwester des Liebsten (dessen Tante ich ganz offiziell bin), das dort heute geteilt wurde.

Gegen halb 11 gehe ich in die Badewanne, gegen 11 liege ich im Bett und dann lese ich noch bis halb eins, bevor mir die Augen zufallen.

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