Heute schlafe ich länger, bis gegen 8 im Haus das Leben losgeht. Gegen halb 10 gehe ich hinunter zum Frühstück – diesmal in Flip-Flops, und treffe dort wieder auf gesprächige Menschen. Da fährt man auf eine nur wenig bewohnte Insel um mal seine Ruhe zu haben und bekommt schon zum Frühstück Gespräche an die Backe genagelt. Schlimm. Um das auszugleichen, gehe ich dann nach dem Bloggen direkt nach draußen und spaziere eine lange Weile durch menschenleeres Gebiet.


An den Pferden vorbei geht es zum Strand und dort dann diesmal nach Süden. Ich gucke nur halbherzig nach Steinen, sehe hauptsächlich Muscheln, Meer und Möwen und atme Seeluft. Dabei telefoniere ich auch kurz mit dem Liebsten und dem Teilzeitkind, bevor sie zurück nach Berlin fahren. Dann einfach laufen, laufen, Kopf leer machen.



Auf Höhe von Vitte gibt es kurzzeitig ein paar Fetzen blauen Himmel und außerdem kreative Sandskulpturen. Ich laufe dann noch weiter bis zur Dünenheide. Dort verlasse ich den Strand und stehe plötzlich wirklich mitten im Nirgendwo, hier gibt es auch keine vereinzelten Spaziergänger mehr.


Ich laufe zur geografischen Mitte der Insel, da steht ein Schild und eine Bank und natürlich gibt es einen Geocache, den ich erfolgreich gebe – der erste in diesem Urlaub, nachdem ich in Berlin und Stralsund jeweils zwei nicht gefunden hatte. Dann laufe ich wieder Richtung Norden und nach Vitte hinein. Plötzlich sind da Menschen, Zivilisation und ein moderner Ostsee-Ferienort. Im Gegensatz zu Kloster sind hier soweit ich überblicken kann alle Straßen gepflastert. Es gibt einen Supermarkt, einen Geldautomat (Ich decke mich ein, damit ich die Kassen des Vertrauens füttern kann – bisher habe ich nur eine einzige mit PayPal-QR-Code gesehen), diverse Läden, Cafés und Restaurants.
Ich kehre in einem Café ein, das auch allerlei regionale Produkte verkauft und fühle mich fast in den Prenzlauer Berg zurückversetzt. Die Käse- und Wursttheke sieht aus wie in meinem Stamm-Bioladen, allerdings ist fast alles regional. Die Menschen tragen bunte Mützen und Schals und haben Bullerbü-Kinder dabei und wahrscheinlich kommen die meisten aus Großstädten. Der Sanddornsaft wird hier mit dem Milchaufschäumer der schicken Kaffeemaschine heiß gemacht. Dazu gönne ich mir eine Waldbeerentorte und eine Nussecke und die Lektüre der Firmenzeitung.

Das Café gehört mit vielen weiteren Läden und Gastronomiebetrieben zum Imperium der Familie, der die kleine Insel Öhe seit 700 Jahren gehört. Dort züchten sie Rinder und Schafe und engagieren sich als zurückgekehrte Großstädter für die lokalen Fischer, Bauern, Fleischer etc. Klingt alles sehr lobenswert, nach Slowfood und zurück zur Natur, aber ein bisschen skeptisch macht es schon auch. Zumal sie dann noch eine Zeitung über sich in Auftrag gegeben haben und die für 3 € verkaufen. Egal, mich interessiert die Thematik und ich habe sie mitgenommen. Trotzdem mal recherchieren, was es mit dem Imperium noch so auf sich hat.

Ich sitze draußen und teile mir die Kuchenkrümel mit den Spatzen der Umgebung, bis es mir zu kalt wird. Dann setze ich mich nach drinnen, trinke noch einen Tee, lese und lausche den Gesprächen an den Nachbartischen. Zwei Gästinnen tauschen sich über queere Codes in Harry Potter und Tintenherz aus, eine weiße Mama mit Dreadlocks hilft ihrem Sohn beim Postkartenschreiben… Hier ist definitiv das Hipstercafé von Hiddensee.
Gegen 16 Uhr breche ich wieder auf und spaziere noch ein wenig durch Vitte. Erst zur Blauen Scheune, die aber jetzt im Herbst für Besucher*innen geschlossen ist, dann zum Asta-Nielsen-Haus.


Dann geht es über den Deich zum Hafen von Vitte, nochmal mit dem Liebsten und dem Teilzeitkind telefonierend, die inzwischen wieder zuhause angekommen sind.

Dort kehre ich in einem weiteren Lokal des Imperiums ein, das ein konsequentes Katzenthema durchzieht – vom veganen Katzengras-Burger bis zum Katzenklo, das laut Bedienung grad frisch eingestreut ist. Ich bestelle mir einen Burger vom Öhe-Rind, der hier mit „Pommes Chips“ und Sauerrahm serviert wird – nix Ketchup – und weiche so von Fisch-Thema der letzten Tage ab. Eine große Dosis Histamin ist wohl trotzdem dabei, entweder vom Fleisch oder vom Sanddorn-Radler.


Ich esse also langsam und behutsam und trinke hinterher viel Wasser nach – so geht es einigermaßen. Zwanzig vor 6 breche ich wieder auf, denn um 18 Uhr fängt im Zeltkino die Vorstellung von „Sophia, der Tod und ich“ an. Ich dachte ja, das Kino hätte für die Saison geschlossen, aber nein, die ziehen das durch und zeigen sogar zur für mich passenden Zeit den Film, den ich schon seit Wochen sehen will. Großartig! In diesem Kino (bzw. einem der Vorgänger, das aktuelle Zelt steht wohl erst zehn Jahre), habe ich damals „Die BMX-Bande“ gesehen und womöglich noch andere Filme, vielleicht „Mio mein Mio“, „Die unendliche Geschichte“, „E.T.“?

Der Film ist zum Glück so gut wie erwartet, die etwa 20 anderen Zuschauer*innen und ich haben viel Spaß. Danach laufe ich die 2,2 km zurück in meine Pension, zwischen den beiden Dörfern ohne Straßenlaternen und teilweise ohne befestigter Straße. Pünktlich 20:15 liege ich dann auf meinem Bett, wieder mit über 14 km in den Füßen, und beschäftige mich mit meinem Handy, poste Fotos, spiele… Dann irgendwann bettfertig machen und weiter Buch lesen. Kurz nach Mitternacht schlafe ich ein.