05.08.2023 – 26 Stunden wach

Es ist der 5. und wie jeden Monat ruft Frau Brüllen zum Tagebuchbloggen auf. Die anderen Beiträge zu “Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?” findet Ihr hier.

Heute habe ich wirklich keine Kosten und Mühen gescheut, um so viel wie möglich Content für #WMDEDGT rauszuholen. Nicht nur, dass der Tag nach hinten raus einfach noch fünf Stunden mehr hat, ich fange ihn auch einfach schon um zwei Uhr morgens an. Da puckert mein gestern aufgeschlagener und inzwischen ordentlich entzündlich angeschwollener Zeh nämlich nach nur etwa 3,5 Stunden Schlaf so los, dass ich aufwache. Drei Stunden vor dem Weckerklingeln, das eh schon großzügig früh angesetzt war. Ich versuche es mit kühlen, aber das ist alles sehr unbequem und ich finde keine entspannte Liegeposition mehr. Nach zwei Stunden komme ich auf die glorreiche Idee, ein entzündungshemmendes Schmerzmittel einzunehmen, danach entspannt sich alles ein bisschen, es ist aber auch halt kurz vor dem Weckerklingeln und ich bin einfach knallewach und gebe die Nacht verloren. Ich lese ein bisschen im Internet herum und übe Tschechisch, Niederländisch und Italienisch und dann ist es 5:30 Uhr und ich stehe auf.

Der Kulturbeutel muss noch in den Koffer, bei der Gelegenheit disponiere ich nochmal Schuhe um und ziehe die besonders breiten für die Reise an. Die Flipflops wandern als Backup in den Rucksack. Der Proviant wandert aus dem Kühlschrank in den Proviantbeutel. Dann noch schnell Wassernäpfe auffüllen und Katzen ausgiebig füttern und streicheln und schon kann es losgehen. Kurz vor 6 Uhr verlasse ich die Wohnung. Ab 6 Uhr zwei Kontrollanrufe in rascher Folge beim Liebsten, um sicherzugehen, dass er den Wecker gehört hat. Kurz nach dem zweiten kommt die erlösende Nachricht, dass sie wach sind. Ich laufe zur S-Bahn und fahre zum nächstgelegenen Fernbahnhof. Noch in der Bahn checke ich den neusten Stand zum avisierten Zug und kriege fast einen Herzkasper, als da steht, dass der Zug ausfällt. Mein Hirn schaltet in Extrem-Orga-Modus um. Noch bevor ich dem Liebsten davon erzähle, will ich Alternativoptionen im Kopf haben. Im Notfall müssen wir schnell für teures Geld ein Auto mieten und uns auf die Autobahn nach Frankfurt stürzen. Erst gucke ich aber, wann der nächste Zug fährt und ob das noch hinhaut. Zu meiner Überraschung: Zum genau gleichen Zeitpunkt wie der geplante. Es fällt nämlich nicht die Verbindung aus, sondern nur der Zug selbst, dafür wird ein anderer eingesetzt. Danke, Deutsche Bahn, 1a User Experience habt Ihr da. Nicht. Ich schreibe dem Liebsten also nur, dass der Zug ein anderer sein wird und unsere Reservierungen nicht mehr gelten und ich ihm dann Bescheid sage, wo ich sitze.

Weil ich früher losgekommen bin als gedacht, habe ich am Bahnhof noch 40 Minuten Zeit, bis der Zug abfährt. Wegen des schweren Gepäcks, des Zehs und meiner Müdigkeit begebe ich mich trotzdem direkt zum Bahnsteig – der Fahrstuhl ist defekt, die Rolltreppe fährt in die falsche Richtung, ich trage also alles nach oben, hmpf. Dann lasse ich zwei andere Züge abfahren, bevor unser Zug erfreulich früh da steht – hier geht nämlich die Strecke los. Ich suche mir im noch sehr leeren Zug einen schönen Viererplatz mit Tisch im Nicht-Ruhe-Bereich und decke schon mal fürs Frühstück ein. Der Zug fährt pünktlich ab, hält noch einmal zwischendurch und dann steigen an der nächsten Station schon der Liebste und das Teilzeitkind ein. Jetzt wird gefrühstückt:

Drei verschiedene Sandwiches, drei Brezen, eine Waffel, Oreos, Nüsse, Reisemöhren, Himbeeren, Blaubeeren, Eiskaffee für den Liebsten und mich, Trinkjoghurt für das Teilzeitkind, Apfelschorle für die beiden, Wasser für mich.

Heute ist Tag 1 nach der Histaminkarenz, zum ersten Mal seit fast drei Wochen gibt es für mich also Kaffee, Remoulade (auf den Sandwiches), Kakao (in den Oreos) und Himbeeren. Mal gucken, ob das gut geht. Die Fahrt dauert ab jetzt gute vier Stunden. Wir erzählen viel, lesen viel und freuen uns vor. Das Teilzeitkind schläft unterwegs eine Weile mit dem Kopf auf meinem Schoß, nachdem es mir stolz sein Handy präsentiert hat – zum Fotos machen sowie Spotify und Audible hören, keine Spiele, keine SIM-Karte. Ab Frankfurt Hbf klingelt der Wecker eines Mitreisenden, der das beharrlich ignoriert, augenscheinlich aber auch am Flughafen aussteigen muss. Das Teilzeitlind rüttelt mehrfach an seinem Fuß, bis er wach wird und sich überschwänglich bedankt.

Wir kommen mit knappen 10 Minuten Verspätung am Flughafen an und haben so genügend Puffer, um entspannt zum Gate zu gelangen. Erst heißt es, das richtige Terminal zu erreichen, dann geht es zur Gepäckabgabe, dann weiter zur Passkontrolle, für die wir lange anstehen müssen, da die automatischen Türen für EU-Bürger*innen erst ab 12 Jahren genutzt werden können. Wir stehen also mit allen anderen Familien und den weniger privilegierten Nicht-EU-Bürger*innen gemeinsam in einer langen Schlange. Als die Passkontrolle selbst dann nur zwei Minuten dauert, ist das Teilzeitkind empört, dass man dafür so lange anstehen muss und überhaupt sei es ja in zwei Jahren schon 12 und da könnte man es doch ruhig jetzt schon durch die automatischen Türen lassen.

Ich erzähle dann, dass alles, was wir tun müssen, um nach Kanada zu kommen, ist, online zwei Formulare auszufüllen (für das eine reichte noch das vom letzten Jahr) und einmal unseren Pass zu zeigen und dann dürfen wir sechs Monate da bleiben. Mein pakistanischer Mitbewohner hingegen möchte demnächst auch seine Eltern in Kanada besuchen. Dafür muss er bald nach Düsseldorf in die dortige kanadische Botschaft reisen (die in Berlin ist nicht für Pakistan zuständig) und dort ein Visum beantragen, wofür er seinen Pass, seine Blue Card und ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen muss. Die Behörde darf dann seinen Arbeitgeber und mich als seine Vermieterin kontaktieren, um Informationen über ihn einzuholen. Falls (nicht: wenn) sein Visum dann genehmigt wird, darf er dann für drei Monate ins Land.

Die nächste Spannung gibt es dann an der Security. Erst braucht die Familie vor uns sehr lange. Es sind zwei kleine Kinder dabei, samt Kindersitzen, der Vater hat jede Menge technisches Equipment dabei, das ausgepackt und aufs Band gelegt werden muss, und dann packen sie noch drei Flaschen Schnaps aus dem Handgepäck aus, die hier bleiben müssen – sie sind aus Versehen im Falschen Gepäckstück gelandet. Die Beamten erkundigen sich direkt erfreut, was dass denn genau sei und hatten dann vermutlich einen angenehmen Feierabend. Bei uns geht alles sehr viel schneller, jedenfalls bis man sich meine Powerbank genauer anguckt und feststellt, dass die doppelt so viel Stromstärke hat, als im Handgepäck erlaubt. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet, dass die Powerbank ein Problem sein könnte. Die muss jedenfalls auch da bleiben, ich darf sie aber bei meiner Rückkehr wieder abholen. Grummel, noch mehr Komplikationen!

Mein erster Weg ist dann auch direkt der in einen Elektronikladen. Während das Teilzeitkind mit einem elektronischen Schlagzeug-Pad spielt, suchen der Liebste und ich nach der Powerbank, die am meisten erlaubte Stromstärke zum geringstmöglichen Preis ermöglicht. Die wird gekauft und dann gehen wir erstmal schnell zum Gate, sichern uns Sitzplätze in der Nähe einer Steckdose und ich bewache dann unsere Sachen und lade nebenbei die Powerbank auf, während die anderen nochmal losziehen und sich Wasser (und Schokolade fürs Kind) besorgen. Als sie wieder da sind, übernehmen sie die Wache und ich gehe auch nochmal los. Erst auf die Toilette (20 Minuten in der Warteschlange), dann Trinkflasche auffüllen, dann in den Duty Free. Ich bin durchgeschwitzt vom Tag bis hierhin und schnuppere an den Parfümtestern, bin ich etwas angenehmes, unaufdringliches finde, von dem ich mir ein paar Spritzer auftrage. Dann spaziere ich noch ein paar Minuten das Terminal rauf und runter, um das Schrittziel weiter zu verfolgen und kehre dann zu den anderen zurück. Eine knappe halbe Stunde später beginnt schon das Boarding.

Es folgen siebeneinhalb Stunden Flug. Zum Glück sind wir alle drei sehr gut darin, uns stundenlang an Bildschirmen die Zeit zu vertrödeln, ohne uns groß zu bewegen. Zum späten Mittagessen (also, wenn der Tag normal spät enden würde, für uns total angemessen), gibt es Gnocchi mit Spinat und Kirschtomaten, Krautsalat, Laugenbrötchen mit Butter und Käse und eine Panna Cotta. Hier schlagen Spinat und Tomaten in meiner App total rot an.

Im Laufe des Fluges bekomme ich einiges an Symptomen, aber ob das nun am (ungewohnten) Histamin liegt, am wenigen Schlaf, mangelnder Bewegung oder den Strapazen der Reise? Ich werde weiter beobachten. Ansonsten schaue ich direkt hintereinander weg drei Filme, die ich alle noch nicht kenne, bzw. bisher nicht geschafft hatte, sie zu sehen: „Leander Haußmann‘s Stasikomödie“ (amüsant, besonders Detlev Buck und die Sonnenallee-Referenzen), „How to be single” (nette, zeitgemäße RomCom) und „Lieber Kurt“ (das Buch war sehr gut, der Film ist es auch – mich stört halt Till Schweiger, im Allgemeinen und auch weil er deutlich älter ist, als ich mir den großen Kurt im Buch vorgestellt habe). Während des Films wird das Abendbrot serviert – ein Stück Pizza mit also Hefeteig und noch mehr Tomate. Meine App rotiert. Weil der Tag noch lang wird und die Optionen für Schlaf so langsam vorbei sind, trinke ich dazu sogar noch eine Cola.

In den letzten 45 Minuten löse ich ein Kreuzworträtsel aus dem New York Times Archiv und halte mich nebenbei gut fest, es gibt Turbulenzen und ein Luftloch. Dann landen wir mit etwa 15 Minuten Verspätung in Halifax. Es folgen eine lange Schlange bei der Einreise, das Einscannen von Pässen und Gesichtern, das Sichten von Teilzeitkind-bezogenen Dokumenten (Geburtsurkunde, Sorgerechtserklärung, Brief der Mutter mit Erlaubnis) und dann geht es weiter zum Gepäckband. Auch hier heißt es wieder, warten, warten, warten, das gibt mir Gelegenheit, mein Schrittziel vollzubekommen, bevor es in Deutschland Mitternacht ist. Dann mit unseren Koffern weiter zu den Mietwagenanbietern. Dort, wo wir reserviert haben, ist die längste Schlange – natürlich. Der Liebste stellt sich an, das Teilzeitkind und ich sitzen zumindest gemütlich. Knappe anderthalb Stunden später haben wir ein Auto – sogar spontan ein etwas kleineres und damit günstigeres als gebucht. Insgesamt Stunden nach der Landung rollen wir los.

Die Musik läuft, die Sonne geht langsam unter und wir durchfahren die Gebiete, die vor einigen Wochen von den Waldbränden betroffen waren. Es fängt an zu dämmern und wir fahren durch diverse Baustellen in den Gebieten, die vor zwei Wochen vom Hochwasser betroffen waren, das Teile des Highways weggeschwemmt hat, die jetzt erneuert werden. Die letzte halbe Stunde dann ist es stockfinster – keine Straßenlaternen, einfach nur noch unsere Scheinwerfer und ab und an die entgegenkommender Autos. Kurz vor 22 Uhr (oder 3 Uhr morgens deutscher Zeit) sind wir dann endlich zuhause und werden von meinen Eltern freudig begrüßt. Es gibt noch einen kleinen Snack (für mich die letzte Breze von heute morgen), einen Saft für das Kind, ein Bier für den Liebsten, Gin Tonic und Wundsalbe für den Zeh für mich. (Erster Alkohol seit drei Wochen auch.) Um 23 Uhr liegen wir alle fünf in unseren Betten und das Einschlafen geht sehr schnell.

Hinterlasse einen Kommentar