Der Boss sang das gestern schon ganz richtig. Zum Glück müssen der Liebste und ich aber nicht so früh los, wie der Rest der Reisegruppe und können uns morgens im Hotelzimmer noch Zeit lassen. Kurz vor Check-out wird es dann fast hektisch, aber am Ende klappt alles und wir machen uns auf zum letzten Prager Programmpunkt: Zeit vertrödeln im Kaffeehaus. Ich habe mir ein sehr traditionelles mit ordentlich Geschichte und Blick auf die Moldau ausgeguckt und wir ergattern den perfekten Tisch – gepolsterte Sitzbank, auf der wir nebeneinander sitzend auf den Fluss gucken können und direkt unter dem berühmten Bild mit der grünen Fee.


Wir frühstücken Milchkaffee, frisch gepressten O-Saft, Croque Madame für den Herrn und Hirseporridge für mich, als zweiten Gang noch Mimosa für ihn, Eistee für mich und Aprikosensorbet für beide.


Dazu erzählen wir, lesen Zeitung Internet, recherchieren Dinge und diskutieren über Kunst, Kultur und Politik, wie sich das für Bohemiens in böhmischen Kaffeehäusern gehört. An den Nebentischen weiterhin Menschen in Springsteen-T-Shirts, wir waren Teil einer Invasion.
Irgendwann spazieren wir los in Richtung Bahnhof. Der Liebste kauft noch einen obligatorisch kitschigen Kühlschrankmagnet und wir entdecken zwischen all den Touris und Geschäften eine grüne Oase, den franziskanischen Garten. Ich stoppe und rieche die Rosen, aber entweder ist meine Nase noch vom Infekt geschwächt oder die Blüten haben den Peak Duft noch nicht erreicht, ein bisschen ist aber zu erahnen.

Am Bahnhof besorgen wir Proviant (veganes Sandwich für den Herrn, Linsen-Reis-Quinoa-Hummus-Salat für mich) und mehr Kaffee und dann warten wir, dass unsere Gleisnummer angezeigt wird. Der Zug kommt mit ordentlich Verspätung aus Budapest an, später erfahren wir, dass der Grund angeblich eine Baustelle an der ungarisch-slowakischen Grenze war. Und technische Fehler am Zug, von denen bemerken wir auch während der Fahrt einige. Wir halten mehrmals ungeplant an, während die Bundespolizei an der Grenze stichprobenhaft Personalien checkt (unsere nicht, der Liebste hat extra noch einen Pulli über sein Punkband-Shirt gezogen – hätten wir also doch Absinth und Cannabis kaufen und mitschmuggeln können) kreischt der Lautsprecher furchtbar laute Alarmtöne, danach fällt die Anlage ganz aus.

Zwischen Dresden (noch mehr Verspätung, wir sind jetzt bei über einer Stunde) und Berlin kommt dann Zugpersonal durch und verkündet, dass der Zug es nicht mehr an den Hauptbahnhof (geschweige denn weiter nach Hamburg) schaffen wird und entweder in Lichtenberg oder Südkreuz endhalten wird. Es wird dann Südkreuz. Witzigerweise macht die Ringbahn auch gerade Probleme, weil in Tempelhof Personen über die Gleise marschieren (wieder auf dem Feld eskaliert, wa?), so dass ich verspätet und statt gegen mit dem Uhrzeigersinn Berlin umrunde, noch eine Station mit dem Liebsten zusammen fahren kann, dann an der Beusselstraße aus und in die nächste Bahn umsteigen muss und am Ende erst kurz vor 21 Uhr zuhause bin. D
irekt mal Fahrgastrechte einfordern, dann Katzen und Pflanzen versorgen, mein Bett wieder auf Ursprungszustand zurückbauen und dann geht es mit Girl Dinner und Katzen auf den Balkon.

Ich gucke ein bisschen TikTok weg und dann diese Doku über Jugendliche in Bautzen, bei der drei junge Männer interviewt werden und über den Alltag in der Stadt berichten – ein christlicher Absolvent einer sorbischen Schule, der rechts ist, Homosexualität für Sünde hält und für deutsche Kultur einsteht; ein „liberal bis linkes“ Mitglied der Partei „Die Partei“, der findet, dass die Antifa manchmal zu radikal ist, und ein geflüchteter Immigrant, der seit zehn Jahren in der Stadt ist, perfekt integriert wirkt und in nahezu perfektem Deutsch berichtet, wie einige seiner Freunde über die Jahre rechts geworden sind und dass er gerne die Stadt wechseln würde.
Danach ist es dann dunkel und kalt und ich gehe ins Bett.