Das Frühsommerwetter mit der vielen Balkonzeit ist zurück in meinem Leben, auch heute wieder. Ich verbringe den Tag bis etwa 13:30 draußen und gehe dort meinen Verrichtungen nach.

Viel Zeit geht drauf für das Recherchieren und Aufregen über die designierten Unionsminister*innen. Starke Trump-Kabinett-Vibes, was Befähigungen, Beziehungen und politische Ansichten angeht. Aber auch: Entscheidend ist, was hinten rauskommt, vielleicht wird es ja weniger schlimm als gedacht. Und mal gucken, was die SPD auffährt, vielleicht können sie ja noch was rausreißen.
Am frühen Nachmittag bringe ich meinen Fuß ins Draußen – heute ist er seit fünf Wochen verletzt. Laut erster Expertenmeinung sollte ich die Schiene vier bis sechs Wochen tragen, die zweite Meinung sagte direkt sechs Wochen. Ich beschäftige mich also gedanklich langsam damit, nächste Woche dann mal zu probieren, ob und wie es ohne gehen könnte. Aufregend. Letzte Woche habe ich nochmal zwei Schmerztabletten genommen, jetzt komme ich schon wieder gut ohne klar. Dafür zieht und drückt es immer mal wieder auch in unerwarteten Momenten, ich bin ein bisschen nervös. Anyway, ich kann draußen rumlaufen und bin zwar langsamer, aber komme soweit klar.
Ziel sind die Ellis, die zur Geburtstagsnachfeier mit Kuchen geladen haben. Es gibt viel zu erzählen über die letzte Woche, die Politik hier, die Politik in Kanada usw. usw. Nach dem Kuchen kommt das Eis (wieder auf dem Balkon), nach dem Eis der Vinsanto.


Dann geht es weiter zum nächsten Termin, Netzwerktreffen im Food Hub am Potsdamer Platz. Ich esse dekonstruierte venezolanische Arepas mit Rindfleisch, Bohnen, Kochbananen, Avocados, Käse, Knoblauch-Dip und Chili-Dip, trinke deutsche Cola um wach zu bleiben und unterhalte mich mit alten und neuen Bekannten über Arbeits- und Karrieredinge, Leben in Berlin und schon wieder den Koalitionsvertrag und die Ministerinnenriege.

Der Heimweg dauert dann nochmal besonders lange. Der Fuß ist erschöpft, die Tram fährt nur noch alle zehn Minuten… Es ist halb 11, als ich zuhause bin, die Crowdfarming-Kiste ausgepackt (Orangen, Avocados, Heidelbeeren) und die Katzen versorgt habe und beim Liebsten durchklingele. Der Countdown zur Wahlnacht in Kanada läuft. Das ist nicht nur aus weltpolitischer Sicht spannend, this time it‘s personal. Der eigentliche Plan ist, die ersten Ergebnisse aus Newfoundland & Labrador und den Maritimes abzuwarten, beruhigende Ergebnisse von den Liberalen zu sehen, zu gucken, wie es in „unserem“ Wahlkreis ausgeht, der stark umkämpft ist, und dann beruhigt einzuschlafen.
Stattdessen kommen beunruhigende Deja-vus von der US-Wahl im November – die ersten Ergebnisse sehen besser für die Konservativen aus, als erwartet und die Kommentatoren der CBC wirken beunruhigt. Der Liebste geht entnervt ins Bett, ich hingegen bleibe dran und kaue Fingernägel, bis sich die Lage ein bisschen beruhigt und wohl mehr urbane und Briefwahlstimmen da sind. Dann nicke ich weg, wache aber eine Stunde später wieder auf, weil schon feststeht, dass die Liberalen auf jeden Fall gewonnen haben, auch wenn noch längst nicht alles ausgezählt ist.
Trump hat diese Wahl effektiv zu einer Zweiparteienwahl gemacht, die Neuen Demokraten und die Grünen sehen kaum einen Stich, die Polarisierung schreitet auch in Kanada voran. Aber wenigstens gewinnt dieses Mal nicht der Mini-Trump und in unserem Wahlkreis gibt es auch eine liberale Mehrheit. Kleines Aufatmen.