25.01.2025 – Bunt statt SchwarzZuBlau

Ich wache kurz nach 4 aus einem sehr merkwürdigen Traum auf und kann dann irgendwie nicht mehr einschlafen. Höre erst Podcast, mache dann Kreuzworträtsel, lasse dann zwei Folgen Parenthood laufen und gegen 7 gebe ich die Nacht verloren, aber ohne ungewöhnlich müde zu sein. Nun denn. Tee kochen, Internet leer lesen, Französisch machen, Italienisch machen, mit Leipzig chatten, mit Tempelhof chatten, mit dem Liebsten telefonieren – der ist immer noch krank, also auch für heute Planänderungen. Irgendwann stehe ich auf und futtere eine große Portion Vogelhochzeit zum Frühstück – ist ja heute dann auch offiziell soweit.

Danach Haushaltskram erledigen – Katzenklo, Abwasch… Bald darauf geht es ins Draußen – zum ersten Mal seit… Mittwoch? Upsi. Erstmal Biomüll wegbringen und Eimer auswaschen. Dann bringe ich eine große Sammlung Pfanddosen rechtzeitig vor Ablauf der Pflicht weg. Der asiatische Streetfood-Laden macht am Wochenende erst später auf, also muss ich eine größere Runde drehen, werde an zwei Locations abgewiesen und melde dem Kundenservice, dass die von der Karte genommen werden müssen und lande schließlich bei dem Italiener, der die tolle Gorgonzola-Birnen-Pizza hat. Heute jedoch nicht. Also zumindest esse ich sie nicht, sondern gebe nur meine sechs Dosen ab und laufe dann weiter, mit Umweg über den Drogeriemarkt nach Hause.

Dann erstmal auf die Couch und Chillen, bald darauf in einen tiefen Mittagsschlaf fallen. Musste ja so kommen. Als ich wieder wach bin, koche ich mir einen großen Kaffee, bereite mein Demo-Outfit vor, verabschiede die Mitbewohnerin zur Arbeit und warte ungeduldig auf die Crowdfarming-Lieferung. Die kommt gegen 15 Uhr und wird noch begutachtet und verstaut, bevor es sehr warm und bunt angezogen wieder nach draußen geht.

Januar-Edition mit Avocados, Kiwis, Bananen und Orangen. Blutorangen werde ich wohl demnächst zukaufen müssen.

Da die große S-Bahn-Strecke mit Halt Brandenburger Tor zur Zeit nur Schienenersatzverkehr bietet, weiche ich auf U-Bahn und Laufen aus und fahre bis Unter den Linden. Schon ein paar Stationen vorher kristallisiert sich heraus, dass die halbe U-Bahn das gleiche Ziel hat. Zusammen mit vielen anderen schieben wir uns langsam die Linden entlang. Von der russischen zur amerikanischen Botschaft (wie symbolisch), wo die Stars and Stripes immer noch auf Halbmast hängen (doppelt symbolisch) und jemand davor eine große Antifa-Flagge schwenkt (dreifach symbolisch). Durchs Tor hindurch und dann um die Bühne herum verteilen wir uns, über den gesamten Platz und weit die Straße des 17. Juni herunter. Als ich ankomme, zaubern Siegfried & Joy gerade, dann spricht Dr. Seyran Bostancı, die der Liebste und ich letztes Jahr bei einer Veranstaltung zur Darstellung Indigener in den Medien kennengelernt haben.

Ich laufe herum und gucke Transparente und Plakate an, mache Fotos, höre Carolin Emcke zu, Christoph Bautz, Luisa Neubauer. Es sind viele Menschen hier. Es ist bunt und schön und aufbauend, wie so gesetzte, bürgerliche Berliner*innen laut und einstimmig Parolen gegen den Faschismus skandieren, Friedrich Merz die klare Kante zeigen, SPD und Grüne auffordern, ihren Rechtsruck aufzuhalten, Big Tech ablehnen und „Tax The Rich“ fordern. Das sind keine extremen Positionen mehr, das ist ein breiter Konsens. Ich bin ganz ergriffen und vorsichtig optimistisch, dass das alles vielleicht etwas bringt. Auf jeden Fall Mut macht und evtl. auch die Politiker*innen erreicht, die nächste Woche (in der Woche, in der wir der Holocaust-Opfer gedenken), ungeheuerliche neue, gesetzeswidrige Regelungen diskutieren und ggf. verabschieden wollen.

Dieses Jahr finde ich es gar nicht mehr cringe, mit allen zusammen zu singen – „Wehrt Euch / Leistet Widerstand / Gegen den Faschismus hier im Land / Haltet fest zusammen“. Es klingt ehrlich, entschlossen, verzweifelt und alle machen mit. Es ist auch extrem befriedigend, FaSCHISmus und FaSCHISten zu brüllen. Wie Luisa Neubauer sagt: „Verteidigen wir die Brandmauer, als ginge es um Alles, denn es geht um Alles.“ Genau so. Ich nehme an, dass wir nächsten Sonnabend wieder hier stehen werden und ich hoffe, dass zumindest die CDU in den Umfragen ein paar Prozentpunkte verlieren wird mit diesem Kurs ihres Vorsitzenden.

Nach Skandieren, Singen, Lichterschwingen und Gezähltwerden (100.000 laut Veranstalter*innen) laufe ich dann langsam wieder los – aufgrund des SEVs zum Potsdamer Platz. Am Holocaust-Mahnmal vorbei und am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Ich muss schwer schlucken und dann an die Menschen drüben in Amerika denken, die uns schon ein paar Schritte voraus sind in dem ganzen Prozess…

Mit einer vollen Regionalbahn fahre ich nach Tempelhof und laufe dann am ehemaligen SA-Gefängnis vorbei (das Thema bleibt heute) zur besten Freundin des Liebsten, die mich mit veganer Lasagne, Schokodessert und einer Flasche Champagner empfängt.

Der Abend war eigentlich zu viert geplant, aber wir machen auch zu zweit das Beste draus. Gespräche über die Demo, die Politik im Allgemeinen, hüben wie drüben, Arbeit, soziale Medien, den Fall Gelbhaar, den Fall Mischke, den Fall Hanson, Feminismus, DEI… Mit Haareraufen und Lachanfällen und genau wie so ein Abend sein muss.

Kurz nach 11 verabschiede ich mich auf den langen Weg nach Hause. Zurück zum Südkreuz, auf die Ringbahn warten, einmal um die halbe Stadt, durch Regen nach Hause laufen. Auf der Bahnfahrt verfolge ich die Berichterstattung zu den heutigen Demos, die Neuigkeiten aus den USA…. und TikTok. Dort wieder Ermutigendes. Creators aus den USA berichten auf klandestine Weise über ICE Raids in ihren Städten – sie erzählen in ihren Videos über Tiere oder Mode, statten sie mit den passenden Hashtags aus und halten währenddessen Zettel mit den tatsächlichen Informationen in die Kamera. Andere – besonders queere Creators, erzählen in langen Videos von sich und bitten die Zuschauer*innen, bis zum Ende zu gucken, zu liken, reposten, speichern und kommentieren – dann schüttet TikTok in den USA nämlich Geld für die Videos aus und der Algorithmus schafft Reichweite. Das Geld wird an die ACLU gespendet oder dafür gesammelt, mit den queeren Angehörigen aus einem roten in einen blauen Staat ziehen zu können. Zumindest in meinem TikTok formiert sich Widerstand. Eine Creatorin spielt „Do You Hear The People Sing“ ab und sinniert darüber, wie TikTok sich gerade zum globalen Widerstand gegen den Faschismus wandelt. Es wäre so schön.

Auf dem Fußweg im Regen höre ich das Lied mehrere Male – ab in die Charts damit – und denke an die vielen Demonstrant*innen in Deutschland, der Slowakei, Serbien und Georgien, die gerade gegen Faschismus und Imperialismus auf die Straße gehen. Vielleicht gibt es ja doch noch ein Quentchen Hoffnung.