Ich wache recht früh auf und schaffe allen Internetkram ohne Ton, bevor der Liebste aufwacht. Dann gibt es Kaffee im Bett für Beide und draußen nur Nebel, der See ist nicht in Sicht. Also bleiben wir echt lange liegen und erscheinen dann echt spät zum Frühstück, so dass ich mir vorsorglich gleich alles vom Buffet hole, bevor es evtl. schon abgebaut wird. Aber nur leichte Kost heute, das Abendessen war ja recht mächtig.

Nach dem Gelage müssen wir uns nochmal kurz hinlegen und verdauen und dann geht es gegen 12 hinunter in den Wellnessbereich. Der ist schon deutlich voller als gestern Nachmittag, Wochenende halt. Wir drehen eine Aufmunterungsrunde im Solepool (32 Grad), weiten unsere Atemwege im Dampfbad (45 Grad) gehen dann in die Bio-Sauna (64 Grad) um uns langsam an Wärme zu gewöhnen. Danach erstmal Ausruhen. Leider ist heute den ganzen Tag kein Wasserbett frei, stattdessen entdecken wir den Waldbade-Raum für uns, lümmeln auf zwei gegenüber gestellten Sesseln, so dass wir beide die Füße hochlegen können, hören meditative Musik, gucken ins Grüne und lesen unsere Bücher.


Die zweite Runde führt uns vom Solepool in die Oktogon-Sauna (85 Grad), wo kurz vorher ein Eukalyptus-Aufguss stattgefunden hat. Dann gehen wir zurück zum Waldbaden. Ich lese Fang Fangs „Weiches Begräbnis“ zu Ende und döse dann vor mich hin. Die dritte Runde ist Solepool und Finnische Sauna (90 Grad), das ist dann erstmals so heiß, dass der noch angeschlagene Organismus keine 15 Minuten mitmachen will. Nach 10 gehen wir raus, kühlen uns ab, chillen ein bisschen im Abklingbecken und waldbaden ein letztes Mal für heute. Dann hoch aufs Zimmer, anziehen und hinüber ins italienische Restaurant, worauf wir uns sehr freuen, denn beim letzten Mal war das wirklich sehr lecker.
Wir haben ein Angebot gebucht, in dem zwei 3-Gänge-Menüs inklusive sind. Gestern im rustikalen Restaurant konnten wir diese frei von einer reduzierten Karte auswählen. Heute liegt eine fertige Menükarte auf dem Tisch (immerhin mit einer vegetarischen Variante fürs Hauptgericht) – keine Auswahl! Wir sind ein wenig angepisst, zumal auf der regulären Karte echt leckere Dinge stehen, die im Warenwert vermutlich unter dem liegen, was auf der Menükarte steht. Und weil es halt gestern anders lief. Und weil wir uns so gefreut hatten auf das tolle Essen. Der Liebste ist noch weniger amused als ich (und das will was heißen), isst sich aber überraschend tapfer durch die Broccolicremesuppe. Dazu gibt es Kalamansi Spritz.


Zum Hauptgang gibt es Weiderind mit gebackenen Kartoffelspalten und Ratatouille. Der Liebste mag kein Ratatouille und weil die angebotenen Alternativ-Beilagen ihm auch nicht zusagen, isst er halt die Fregola mit Waldpilzen und ist wenig begeistert von der Zubereitung. Dazu trinken wir Negroamaro.

Der Nachtisch ist dann wieder für beide OK – Crème brûlée mit Kirschen, für den Liebsten noch einen Grappa, aber die Laune ist ziemlich im Keller nach dem unterwältigenden Abendessenerlebnis.

Wieder auf dem Zimmer schreibt der Liebste noch eine sehr kritische, nicht öffentliche Bewertung, bevor er sich mit mir in das TikTok-Rabbithole begibt. Es ist der letzte Abend für die amerikanischen User*innen auf TikTok.
Es gibt nostalgische Contentrückblicke, emotionale Abschiede und viel Witziges über die Interaktionen zwischen Amerikaner*innen und Chines*innen auf RedNote, die beiden Regierungen nicht gefallen dürften. Die Amerikaner*innen lernen, dass das Leben in China (bis auf Rechte und Freiheiten) komfortabler und fortschrittlicher ist als in den USA, die Chines*innen lernen, dass was sie über die USA in der Schule lernen (Armut, fehlende Gesundheitsfürsorge, schusssichere Schulranzen) gar keine Propaganda ist, kommen dafür aber mit LGBTQIA-Themen in Berührung. Kreator*innen spekulieren darüber, ob sich die 170 TikTok-User*innen in den USA jetzt auflehnen werden, dass China bald getrennte Server für die amerikanischen RedNote-User*innen einrichtet, um seine Bevölkerung wieder abzuschirmen, Idealist*innen träumen von einem Niederreißen der „digitalen Berliner Mauer“ und einer neuen internationalen Solidarität der Menschen im Westen, in China, im arabischen Raum und in den Entwicklungsländern… Es ist faszinierend und unterhaltsam.
Passend zum Abend gucken wir uns moderne chinesische Entertainment-Versionen der Internationalen an (hier und hier) und ich bin ein wenig traurig, dass beim ESC nur originale Songs antreten dürfen. Eine Eurovision-Version während der Abstimmungspause wäre aber doch vielleicht drin?

Die bittere Realität scheint aber zu sein, dass der TikTok-Ban von Big-Tech-Interessen getrieben war. TikTok selbst erwartet, dass Trump das Ganze zurückfährt oder aussetzt. Trump wird vermutlich dafür sorgen, dass Musk oder Zuck o.ä. die App kaufen kann (und/oder sich TikTok den neuen Regeln unterwirft) und dann haben nicht nur die Amerikaner*innen, sondern wir alle ein weiteres soziales Netzwerk (mit seinen Community-Effekten und Mobilisierungsmöglichkeiten) an die Oligarchen/Faschisten verloren. AOC gehört übrigens zu der Mehrheit der Abgeordneten, die gegen den Ban gestimmt haben, weil die Unterlagen, die ein angebliches nationales Sicherheitsinteresse belegen sollten, nicht überzeugend waren.
Die Aussichten sind trübe, aber vom Unterhaltungswert her ist der Abend zumindest gerettet und das ist ja auch schon was.