Heute klingelt der Wecker, denn ich möchte ein vorhandenes Zeitfenster so gut wie möglich ausnutzen. Also beginne ich die Morgenroutine früher, frühstücke dann die Kokosmilchcouscousmangoreste von gestern und einen heißen Birnensaft und fahre dann mit der Tram zum Alex, um in den RegionalExpress zu steigen. Eine gute Stunde später steige ich im Brandenburgischen aus, in einer wirklich kleinen Kreisstadt. In diesem Kreis wohnen seit ich denken kann und auch schon ein wenig davor meine Tante und ihre Familie. Deshalb kenne ich die Gegend ganz gut, die Kreisstadt selbst jedoch vor allem aus Erzählungen – aus Zeiten, bevor sie vor 15 Jahren ein „Bad“ vorangehängt bekam. Deshalb heißt sie in meinem Kopf auch hartnäckig ohne Bad. Der Freund, der mich am Bahnhof abholt, ist erst seit letztem Jahr regelmäßig hier in Bad Kreisstadt.


Wir drehen zuerst eine kleine Sightseeing-Runde, steigen zur Burg hinauf und laufen durch die Altstadt. überraschend hügelig ist es hier, außerdem gibt es viel Kopfsteinpflaster und Backsteinbauten, aber das ist typisch für die ganze Gegend. In einer engen Innenstadtstraße steht dann das Haus des Freundes, an dem er seit letztem Jahr nun herumwerkelt. Verwandle 200 Jahre altes Haus, das viel Modernisierung und Verschlimmbesserung durchgemacht hat und zuletzt von Messie-Preppern bewohnt wurde in ein schönes, nachhaltiges Haus, das modernen Standards genügt und dabei die ursprüngliche Architektur wieder zum Glänzen bringt. Benutze dazu vor allem Deine einige Kraft, Ideen und Expertise, während Du eigentlich einen Akademiker-Vollzeitjob in Berlin hast und die Hälfte der Zeit über in Potsdam wohnst und Deine Kinder betreust. So ungefähr. Wo nehmen manche Leute bloß den Enthusiasmus und vor allem die Energie her?

Es ist total beeindruckend, was der Freund unter diesen Bedingungen schon alles geschafft hat und ich kann mir – durch viel Staub und Schutt watend – schon gut vorstellen, wie es hier einmal aussehen könnte.

Nach der Baustellenbesichtigung ist es Zeit für Mittagessen. Bad Kreisstadt hat 11.000 Einwohner*innen, aber die Restaurantauswahl ist beeindruckend und kann es (fast) mit meinem Kiez in Berlin aufnehmen. Statt Döner, Asia-Imbiss, Griechisch, Vietnamesisch, Steakhaus, gutbürgerlicher Gaststätte oder Chinesisch entscheiden wir uns erst für Nepalesisch, aber weil dieses Restaurant außer der Reihe zu hat, landen wir dann bei Indisch.

Hier gibt es Chai und Mango Lassi und dann für uns beide ein Lamm Curry mit Ananas, Ingwer und Co. Dazu unterhalten wir uns lang und breit über den Zustand der Welt, Deutschlands und unsere eigene Situation in dem allem. Es geht viel um Wahlen und Wahlkampf, berufliche Pläne, private Vorstellungen und auch vergangene (gemeinsame) Schulzeiten bzw. die alte „Heimat“ und ihre Bewohner*innen. Nach dem Essen haben wir noch ein wenig Zeit, bis mein Zug geht, setzen uns um die Ecke in ein libanesisches Café, trinken Tee mit Kardamom und knabbern Kekse. (11.000-Einwohner*innen, Brandenburg, plattes Land, Leute! Migration fetzt!)

Ich nehme einen recht frühen Nachmittagszug (die fahren hier zweimal die Stunde direkt nach Berlin) und überlasse den Freund wieder seiner Baustelle (Er hört beim Rackern gerade Vorlesungen aus Yale, hat er erzählt). Zurück am Alex steige ich wieder in die Tram, steige aber ein paar Stationen früher aus. Ich muss heute noch zwei Pfanddosen abgeben und gehe dazu in eins der italienischen Restaurants, in dem ich schon mal mit dem Liebsten gut gespeist hatte. Heute nur gucken und Dosen abgeben! Dann laufe ich die restliche Strecke nach Hause und erreiche mein Schrittziel.
Zuhause angekommen habe ich noch genau zehn Minuten bis mein heutiges Webinar beginnt. Ich mache mir etwas zu trinken und lege mich auf die Couch. Das Webinar ist leider thematisch nicht ganz, was ich brauche und verlangt zudem mehr Interaktivität, als ich heute noch in mir habe. Ich breche also ab, bevor ich in Breakout Rooms gesteckt werde um mich über Erfahrungen auszutauschen, die ich nicht habe, und geselle mich stattdessen virtuell zum Liebsten, der gerade ein Hearing aus dem US-Kongress live im Stream verfolgt. Sehr spannend und hat mal nix mit Trump zu tun!
Als es vorbei ist, telefonieren wir nochmal ausführlich und dann verbringe ich den Rest des Abends mit Nachlesen der politischen Entwicklungen des Tages (Das neue Kabinett Trump wird ein wahres Horrorkabinett.) und zum Runterkommen dann mit ein paar Folgen This Is Us.