13.10.2024 – Persisch, Chinesisch, Tibetisch und endlich wieder Hanson

Der Tag beginnt damit, dass der Pittsburgher und seine Freundin wieder vor der Tür stehen und wir zu dritt in einem persischen Café um die Ecke frühstücken gehen. Es gibt sehr leckeren Orange Blossom Latte für mich und zu dritt teilen wir uns drei Gerichte – ein persisches Omelette, ein Crispy Chicken Maple Syrup Croissant mit Linsensuppe und ein süß-würziges Gonabadi Omelette mit Trauben und Walnüssen. Alles sehr, sehr gut und ungewöhnlich – lecker!

Während wir aufs Essen warten, stellt sich die Freundin des Pittsburghers noch nebenbei bei einem sehr beliebten Pie-Laden in die lange Schlange und kauft zwei verschiedene Birnen-Pies, die die beiden mit nach Hause nehmen werden. Nach dem Frühstück laufen wir rüber nach Chinatown, um in der chinesischen Bäckerei, in der ich seit 19 Jahren Kundin bin (also immer dann, wenn ich hier bin – heute zum vierten Mal) und kaufen uns chinesische Brötchen für den Reiseproviant. Dann fahren wir mit dem Auto nach Little Tibet und schauen uns da ein wenig um.

Wir kaufen uns ein paar vegetarische Momos, dann setzen sich die Beiden ins Auto und treten die lange Rückfahrt an – theoretisch sind es nur fünf Stunden Fahrt nach Pittsburgh, aber mit Stau, Pausen und Grenzübergang werden sie am Ende achteinhalb brauchen. Ich hingegen habe erstmal nichts vor und spaziere weiter durch Toronto.

Erst geht es nochmal runter an den Lake Ontario, durch den Budapest Park an den Sunnyside Beach. Nicht sehr sunny heute.

Künstlicher Strand im Gegensatz zu dem im Ostteil der Stadt, im Hintergrund schon die Skyline von Mississauga

Dann laufe ich durch das polnische Viertel Roncesvalles Village nach Norden und dann auf verschlungenen Wegen durch Little Portugal und Trinity-Bellwoods zurück zum Gastgeber.

Der Gastgeber ist gerade unterwegs, also mache ich es mir erstmal auf der Couch gemütlich, lege die Füße hoch und gucke eine Folge Downton Abbey. Als er heimkommt, gehen wir in Chinatown ein frühes Abendbrot essen.

Drei Sorten Frühlingsrollen, gebratene Nudeln mit Pilzen und Seitan-„Fleisch“, gegrilltes Gemüse, dazu gratis grünen Tee, soviel wir mögen

Das hatte auch noch auf meiner mentalen To-Do-Liste gestanden. Das Restaurant in dem ich früher immer war, gibt es nicht mehr, aber das hier ist sehr ähnlich. Wir schlagen uns die Bäuche voll und der Gastgeber nimmt dann den Rest dann mit nach Hause für morgen. Ich hingegen steige ins Streetcar und fahre… zum Hanson-Konzert!

19 Jahre, nachdem ich Hanson zum ersten und bisher einzigen Mal live gesehen habe – hier in Toronto, in einem Venue, das inzwischen abgerissen wurde, um weitere Wolkenkratzer zu bauen; in Europa spielen sie nicht so oft und wenn in Deutschland meistens in Köln oder so – ist es wieder soweit. Damals bin ich nur aus höflichem Interesse hingegangen, wurde dann aber völlig weggeblasen und habe mein 90er-Fanherz wieder ausgegraben und bis heute erhalten, auch wenn ich die Erscheinungen der letzten Jahre nicht mehr ganz so intensiv gehört habe – meine letzte Hanson-CD habe ich 2010 gekauft, danach nur nach halbherzig gestreamt. Schwierig ist auch, dass es sich eben um evangelikale Christen handelt, die am Knotenpunkt von vier Indigenen-Reservaten in Oklahome leben und in ihrer nun über 30jährigen Karriere noch nie ein Wort über Indigene verloren haben. Über Gott und ihren Glauben zum Glück auch sehr wenig. Ab und zu dringen mal schwierige politische Aussagen durch, aber dafür engagieren sie sich dann auch wieder für gute karitative Zwecke… Edit: Von Zac und Isaac dringen leider immer wieder furchtbare Aussagen durch – transphobe, rassistische Witze, sexistische Witze… die scheinen beide spätestens mit der Pandemie abgedriftet zu sein (und der georgisch-orthodoxen Kirche beigetreten, Zac ist sogar Deacon). Taylor scheint hingegen unproblematisch, aber sagt halt auch nix dagegen, was seine Brüder da verzapfen.

Es ist also eine insgesamt kompliziert, musikalisch aber unstrittig gut. Dreistimmiger Satzgesang, während man gleichzeitig noch ein Instrument spielt (Taylor heute Keyboards, Gitarre und Schlagzeug, Zac Gitarre und Schlagzeug, Isaac „nur“ Gitarre) ist schon echt beeindruckend – ebenso wie die Texte, die ja zum Glück nicht von Religion oder Politik handeln, dafür aber oft ziemlich raffiniert sind.

Aktuell sind sie jedenfalls auf einer Jubiläumstour für ihr Album von vor 20 Jahren – pro Stadt mit je einem Akustik-Gig und After Party and Tag 1 und einem Elektro-Gig an Tag 2. Leider habe ich das zu spät mitbekommen, sonst hätte ich meine Reiseplanung darauf eingerichtet. So habe ich durch Zufall Glück, dass ich den Akustik-Gig und die After Party mitnehmen kann, während des Elektro-Gigs sitze ich schon im Flieger zurück nach Deutschland, schnüff.

Am Eingang gibt es strenge Sicherheitskontrollen, inklusive Metalldetektor und Taschendurchleuchten. Wer ein Ticket für die After Party hat, bekommt ein gelbes Bändchen. Wer Alkohol trinken will, muss seinen Ausweis zeigen und bekommt ein orangenes Bändchen – das spare ich mir, auch wenn ich später mitbekomme, dass auch die zwei originalen Hanson-Biere MMMHops IPA und Pink Moonlight Hazy IPA verkauft werden – aber ich steh ja eh nicht so auf IPA und bin mit meinem Ginger Ale zufrieden.

Support Act sollte heute eigentlich Matthew Sweet, der ist aber kurzfristig erkrankt, so dass Phantom Planet, die eigentlich erst morgen spielen sollten, kurzfristig auftreten und sich innerhalb eines Tages ein Akustik-Set zusammengebaut haben. Von denen erkenne ich zwei Lieder, unter anderem natürlich das ALLEN bekannte California. Ganz nett insgesamt. Kurz nach 20 Uhr dann aber endlich der Main Act.

„Underneath“ im klassischen Set-up mit Zac am Schlagzeug und Taylor am Flügel

Ich sitze witzigerweise zwischen zwei sehr unterschiedlichen Besucherinnenkonstellationen. Links von mir sitzen zwei, die augenscheinlich nur die großen Chart-Hits kennen (davon werden heute nur „MMMBop“ und „Penny and Me“ gespielt), rechts neben mir sitzen zwei, die jedes Lied sofort erkennen, abfeiern und jede Zeile mitsingen und sich genau so wie ich über Raritäten wie „Stories“ und „Annalie“ freuen. Ich bin mental ganz bei ihnen, auch wenn ich von den insgesamt 23 Songs nur 20 mitsingen kann – die anderen drei sind von den neuesten paar Alben, die ich weniger gut kenne. Die ganze Setlist hier.

Penny and Me (Moonlight Version) mit Zac an der Lead-Gitarre, weil er sich das neue Riff ausgedacht hat und Isaac es angeblich zu schwer zu spielen findet und deswegen dann Taylor am Schlagzeug

Mit „MMMBop“ habe ich übrigens eine Wette gegen den Liebsten gewonnen, der der Meinung war, dass sie das ja zum Schluss oder als Zugabe spielen müssten, da das ja der einzige Song sei, den man von Hanson kenne. Ich war mir zu 99% sicher, dass sie ihn irgendwo mittendrin abhandeln werden, weil er halt dazugehört. Und ich hatte Recht! Definitiv nicht das Highlight des Konzerts, aber bei 30 Jahren Bandgeschichte gibt es eben viele andere, die tiefer ins Fan-Herz gehen als der Riesenhit. Ist bei den Kellys übrigens auch so, „An Angel“ kommt (inzwischen wieder) immer, aber halt irgendwo mittendrin. Jedenfalls – ich weiß, wer mich demnächst zum Essen einlädt!

Hanson spielen knapp zwei Stunden, mit nur einer Zugabe, aber eine halbe Stunde später kommt dann Taylor wieder raus und legt für die After Party auf. Ich kann das noch nicht so ganz fassen, dass ein Typ, der für mich Ende der 90er ein Riesenstar war (OG Taylor, liebe Swifties!), jetzt wenige Meter von mir entfernt in Ringelshirt und Jeans da steht und Lauryn Hill, Gwen Stefani, Katy Perry und Co. auflegt, vor einer versprengten Menge von den etwa 200-300 Fans, die nach dem Konzert noch geblieben sind. Bisschen wie Indie Night in Rostock, nur mit leicht anderer Musik. Das hätte meinem 90er-Ich mal jemand erzählen sollen! Und das alles in Toronto. Taylor ist drei Monate älter als ich, aber seit 22 Jahren verheiratet und Vater von sieben Kindern. In den 90ern war ich ja übrigens aus Prinzip Zac-Fan (wie ich auch bei den Kellys nie Paddy-Fan war), aber seit dem Konzert vor 19 Jahren hat Taylor sich auf den ersten Platz geschoben, unter anderem auch, weil er als einziger der drei bisher nicht mit fragwürdigen Aussagen aufgefallen ist. Und naja, optisch auch. 😁

DJ Taylor in Aktion

Nach einer knappen Stunde gehe ich dann aber doch – die Musik ist nicht so meins zum Tanzen und außerdem habe ich schon wieder die 20.000-Schritte-Marke geknackt und bin müde. Ich nehme das Streetcar nach Hause und friere mir auf den letzten Metern bei gefühlten drei Grad fast den Arsch ab, liege dann aber kurz nach Mitternacht glücklich und zufrieden auf meiner Couch und werde wild und witzig träumen. (Wusstet Ihr, dass Taylor Swift und Taylor Hanson früher zusammen waren, jetzt gemeinsam soziale Projekte anschieben und ich mich beim Mittagessen mit Taylor Hanson fast über Religion gestritten hätte?? Ich auch nicht, aber mein Unterbewusstsein!