28.12.2023 – Viele Menschenleben, reale Treffen und scharfes Essen

Der Tag beginnt wie immer mit dem Liebsten mit Kaffee im Bett. Diesmal muss er recht früh gleich richtig arbeiten – mit stundenlangem Kundentelefonat, während ich mir Zeit lassen kann und ganz gemütlich in den Tag starte. Kurz vor 10 bin ich dann wieder in meinem Couch-Office, frühstücke Mince Pie, Plätzchen und Obst und gehe durch die E-Mails der Nacht. Dann bearbeite ich die Dinge, die der Kollege aus Chicago mir an seinem Nachmittag zugearbeitet hat, koordiniere etwas mit einem Kollegen in Brünn und etwas anderes mit einem Kollegin in Dublin. Um 12 habe ich ein Meeting mit Berlin und Ostfriesland und danach kann ich mich den größten Teil des Arbeitstages (bis auf ein kurzes Übergabemeeting mit Chicago um 16 Uhr) der Freiwilligenarbeit widmen.

Entdeckt habe ich die Arolsen Archives damals bei Anke Gröner. Hier können alle, die lesen und schreiben können, dabei helfen, Akten aus Zeit der Shoah zu digitalisieren – einfach die Scans lesen und in digitale Formulare abtippen. So entsteht ein digitales Denkmal und ein von überall auf der Welt durchsuchbares Archiv, das sowohl für wissenschaftliche als auch für Familienforschung genutzt werden kann. Die Prämisse dabei ist, all die Namen der Opfer zu erfassen und ihnen so Respekt zu erweisen. In den letzten Jahren habe ich meine zwei Volunteering-Tage im Jahr dafür genutzt, Häftlingsakten aus Dachau zu digitalisieren. Dieses Jahr beschäftige ich mich mit Formularen, mit denen während und nach dem Krieg Menschen ihre – zumeist jüdischen – Angehörigen gesucht haben. Das nimmt mich diesmal emotional etwas weniger mit, weil diese Formulare von wohlmeinenden, besorgten Menschen ausgefüllt wurden und nicht von Verwalter*innen der Vernichtung.

Nichtsdestotrotz fahren dabei die Gedanken natürlich Achterbahn, all die Menschen, all die Schicksale, all die Lebenswege – geboren in dem einen Land, als letztes wohnhaft in einem ganz anderen Land, oft staatenlos geworden, die Suchenden wohnhaft in den USA, Brasilien, Palästina… Ab und zu ist ein Vermerk da, dass die Person lokalisiert wurde – gefunden und gerettet heißt das nicht zwangsläufig: einen Berliner Juden, der lokalisiert wurde und einen außergewöhnlichen Beruf hatte, habe ich gegoogelt und musste lesen, dass er im KZ umgekommen ist – aber immerhin wussten das die Angehörigen dann.

Es sind auch viele Kinder dabei, alte Leute, Jugendliche… Und natürlich denke ich dabei an Menschen, die heute auf der Flucht oder vertrieben sind, an Menschen in oder aus Kriegsgebieten und an den nicht enden wollenden Schrecken der Menschen, die dem damaligen Horror entkommen sind und wie wenig die Menschheit bereit ist zu lernen. Nebenbei höre ich das eben erschienene Live-Album von Jimmy Kelly, bei dessen Konzert ich im Mai war und bleibe bei „Ale Brider“ hängen, das mir als Ohrwurm den ganzen Tag erhalten bleibt.

Mittags gehe ich draußen spazieren, lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen, höre den Podcast mit Monika Hauser zu Ende und kaufe Saft und Eier ein. Abends treffen wir einen ehemaligen Kollegen aus Warschau und seine Frau bei unserem Stammchinesen. Sie sind aus Gründen genau hier in der Nachbarschaft untergebracht und wir treffen uns heute zum ersten Mal live und in Farbe. Es wird ein netter Abend mit Algensalat, Morchelsalat, Gurkensalat, Bambussalat, Frühlingsrollen und für mich Mapo Tofu. Das Handy bleibt die ganze Zeit in der Tasche, während wir vor allem über Essen, Reisen, Haustiere und alte und neue Arbeitgeber reden, daher keine Fotos vom Essen. Das Mapo Tofu ist unheimlich scharf und ich schaffe nur einen kleinen Teil davon, fast 12 Stunden später bin ich beim Schreiben innerlich immer noch ganz wund. Aber schmecken tut es trotzdem!

Wieder zurück lege ich mich in die Badewanne und dann mit Buch ins Bett, während der Liebste noch Wikingerdinge am Rechner tut.

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