Ich erwache wenige Minuten vor dem Weckerklingeln und stehe völlig abseits meiner Gewohnheit schon um 8 auf, denn heute heißt es, pünktlich um 9 im Büro zu sein. Damit das alles klappt, nutze ich den Fußweg (durch den gerade erst leicht heller werdenden Tag, mit ordentlich Regen) sowohl für das erste Telefonat mit dem Liebsten als auch zum Verzehr einer Lussekatte zum Frühstück, das passt, denn heute ist ja Luciatag. Die Tram hat Verspätung und ist sehr voll, so dass einige Leute sogar aussteigen, weil es ihnen too much ist. Ich nehme die nächste, die eine halbe Minute später kommt, und habe direkt einen Sitzplatz.
Im Büro angekommen habe ich einiges vorzubereiten, bevor um 10 der erste Teil unserer Weihnachtsfeierlichkeiten beginnt: Ich drucke mir eine Tabelle zum Mitschreiben und Abhaken aus, ich bereite Umfeld und Hintergrund für die hybride Veranstaltung vor (Ausrichten des Bildschirms in den Raum, so dass alle, die vor Ort sind, Platz haben und gesehen werden, Dekoration des Bildausschnitts mit weihnachtlichen Gestecken und von der Kollegin mitgebrachten Plätzchen, Einrichten einer Samstagabendshow-würdigen Sitzecke mit Couchtisch, Sesseln und Sofa – das ist so schwer, dass drei Kollegen mit anfassen müssen, darunter ein Fußballer und ein Handballer, Eröffnen des Meetings, Teilen der Präsentation, Mikrofontest, Reminder im Standort-Chat, kurze Absprache mit dem Geschäftsführer, wer das Intro macht (ich, denn er verspätet sich aus einem anderen Meeting), Heranholen und Sortieren diverser benötigter Gegenstände, Heranholen diverser Kolleg*innen, damit es pünktlich losgehen kann, Ziehen eines Cappuccinos aus der Kaffeemaschine, nebenbei Absprachen im Team-Chat darüber, was heute noch so ansteht, Fotos vom Setting machen.

Dann ist es 10 Uhr und wir fangen an mit unserer Auktion, deren Erlös an das Hospiz gehen wird, in dem unser verstorbener Kollege seine letzten Tage verbracht hat. Ein Kollege gibt den Auktionator und moderiert sich locker flockig durch 25 zu ersteigernde Dinge, ich habe einen Blick auf die Gebote der Remote-Kolleg*innen, bediene die Präsentation und schreibe nebenbei mit, wer was für wieviel ersteigert. Die Kolleg*innen haben die Spendierhosen an und ich selbst ersteigere mir ein Triptychon aus Katzenbildern, die neulich bei einem Team-Event entstanden sind, während ich mich von meiner Darmspiegelung erholte.

Nach einer Dreiviertelstunde ist alles weg und wir haben bereits mehr als 800 € gesammelt. Während die meisten der Kolleg*innen erstmal wieder zurück an die Arbeit gehen, räume ich mit meinen beiden Helfer*innen schnell auf und kehre dann an meinen Schreibtisch zurück. Ich übertrage meine Notizen in die elektronische Tabelle, rechne aus, wer wie viel zu zahlen hat und schicke eine E-Mail ans Team mit dem aktuellen Stand und den Instruktionen für die jeweils ersteigerten Gegenstände. Einiges kann direkt vor Ort übergeben werden, anderes versende ich per Mail, für wieder anderes müssen Versandadressen gesammelt und weitergegeben werden. Nebenbei trudeln stetig PayPal-Benachrichtigungen ein, wenn jemand seine Schulden bezahlt oder einfach einen Geldbetrag gespendet hat, was dann natürlich auch wieder transparent dokumentiert wird. Außerdem schreibe ich eine Mail an die globale Matrix-Organisation des verstorbenen Kollegen, informiere über die Aktion und die Möglichkeit sich zu beteiligen. PayPal meldet sich noch öfter als vorher.
Ich habe dann gerade noch Zeit, die E-Mails und Benachrichtigungen zu checken, die über Nacht eingetrudelt sind, da folgt der zweite Teil der Feierlichkeiten – die Gänsekeulen, die Klöße und das Rotkraut sind eingetroffen. Ich baue mit einem Kollegen das Büffet auf, stelle Sekt und Wein zurecht, organisiere eine Bluetooth-Box mit weihnachtlicher Musik, beauftrage eine Kollegin mit Bar-Erfahrung mit dem Öffnen der Sektflaschen und sage im Standort-Chat Bescheid, dass es Essen gibt. Kurz vor 13 Uhr sind alle in der Küche versammelt, laden sich die Teller voll und genießen das gemeinsame Essen. Ich mache erst Fotos und setze mich dann selbst dazu.

Nach dem Essen (und Aufräumen) verfallen ein Kollege und ich erst einmal ins Suppenkoma. Ich versuche mich am Abarbeiten einiger Aufgaben aus E-Mail-Postfach, Projektmanagement-Tool und Team-Chat, werde aber immer wieder rausgerissen durch das Operationalisieren nach der Versteigerung und durch gesprächige Kolleg*innen, deren Zungen durch Sekt, Wein und allgemeine Ausgelassenheit gelockert sind. So schaffe ich nicht allzu viel von meinen sonstigen Aufgaben, bis es Zeit für das einzige Meeting des Tages ist – mit Ostfriesland, Berlin und Paris, gefolgt vom Auswertungstelefonat mit Ostfriesland. Als das vorbei ist, ist es halb 5. Ich telefoniere ein weiteres Mal mit dem Liebsten und fange dann an, ernsthaft Dinge abzuarbeiten, während sich das Büro nach und nach leert.
Ab 17 Uhr bin ich einigermaßen im Flow (und alleine im Büro) – ich schreibe eine Reihe von Textbausteinen für einen Kommunikationsplan vor und muss dafür mehrere Dokumente abgleichen. Zwischendurch ruft der Liebste an und braucht moralische Unterstützung, die ich wohl gerade nur unzureichend geben kann. Ich bastle versuchsweise an einer Seite im Intranet und schicke das Zwischenergebnis an meine Kollegin in Südengland, ich erstelle eine komplette Seite im Intranet neu. Dann ist es 18:30 Uhr und mein Kopf raucht. Ich melde mich im Teamchat bis morgen ab (da werde ich aus Gründen schon um 8 anfangen), packe meine Sachen zusammen, nehme das eingenommene Bargeld mit und hinterlasse alles so, dass ich dieses Jahr nicht mehr zwingend ins Büro kommen muss.
Auf dem Heimweg in der Tram – Maske, Kopfhörer, Rucksack und die drei ersteigerten Bilder jonglierend – schreibe ich mit dem Liebsten und bin weiter wenig hilfreich. Zuhause angekommen hole ich ein Paket von der Nachbarin ab (weitere Weihnachtsgeschenke), lege meine Sachen ab, halte kurz Smalltalk mit dem Mitbewohner, rühre Porridge für morgen früh an, trinke ein Glas Sanddornsaft, stelle meinen Katzenbilder dekorativ auf eins der Bücherregale im Wohnzimmer und telefoniere dann mit dem Liebsten. Wir hatten beide einen stressigen Tag und in meinem Kopf zumindest ist es immer noch kurz vor Tilt. Ich erledige dann noch meine Biokistenbestellung für die Woche (Deadline heute), arbeite meine Sprachlern-Apps durch (dafür war morgens keine Zeit), mache mir überbackenen Apfeltoast zum Abendbrot (immer noch Raclette-Käse da) und trinke einen Anti-Stress-Kräutertee.

Eigentlich hatte ich geplant, heute nur noch in die Badewanne und dann ins Bett zu gehen, da ich morgen so früh raus muss. Uneigentlich ist mein Kopf noch viel zu aufgedreht und nach einem letzten Telefonat mit dem Liebsten für heute bediene ich mich seiner bervorzugten Entspannungsmethode – auf einem Bildschirm Fernsehen (diverse YouTube-Videos), auf dem anderen Spielen. Irgendwann gegen Mitternacht fühle ich mich nicht mehr auf Adrenalin 180 und gehe ins Bett. Mit dem Einschlafen dauert es dann noch ein Weilchen und nach knapp 4 Stunden ist die Nacht wieder vorbei. Wann ist Weihnachten?