Und dann wacht man auf und es ist Dezember. Keine Vorstellung, wie das passieren konnte, aber ist dann jetzt wohl so.

Der Adventskalender steht ja schon eine Weile vor dem Bett und bietet heute morgen zum Einstieg dunkle Schokolade mit karamellisierten Kakaobohnensplittern. Das ist insgesamt recht bitter, passt aber zum Tag, der mit einer kleinen virtuellen Runde beginnt, in der wir dem verstorbenen Kollegen gedenken. Es fällt dabei mir zu, die einleitenden Worte zu sprechen und zwischendurch und am Ende immer mal wieder etwas Passendes zu sagen und so den Rahmen für die anderen zu geben, sich ihre Gedanken und Gefühle von der Seele zu reden. Mit ein paar Tagen Abstand geht das jetzt auch erstaunlich gut und fühlt sich glaube ich für alle stimmig an. Ich bin stolz auf mich – hätte nicht gedacht, dass ich das so gut hinbekomme. Der Mensch wächst wohl wirklich mit seinen Aufgaben.
Es bleibt nicht viel Zeit, lange weiter darüber nachzudenken, denn direkt danach nimmt der Arbeitstag gehörig an Fahrt auf – mein Team muss heute drei große Aufgaben abschließen und zu festen Uhrzeiten nach draußen kommunizieren, während eine von uns zeitweise im Flugzeug und Auto sitzt, eine zeitweise beim Arzt, eine zeitweise in einem Keller ohne Internetempfang und einer zeitzonenbedingt noch schläft. Die, die übrig bleibt, bin ich.
Ich koordiniere zwischen den beteiligten Personen, ich arbeite Last-Minute-Änderungswünsche des CEOs in das eine Projekt ein – dafür brauche ich eigentlich die Hilfe eines Designers, der gerade in Brasilien ist und noch schläft, mache dann aber einiges selbst und lasse mir bei anderem von einer Kollegin in Polen und einem Kollegen in Warschau helfen, ich schließe das erste Projekt ab und schicke es als erstes raus an die komplette globale Belegschaft, ich denke vor dem Rausschicken des zweiten Projekts rechtzeitig daran, dass da noch ein Schritt fehlt, den nur die Kollegin durchführen kann, die gerade im Keller sitzt, bereite aber schon mal alles andere vor.

Dann ist Mittagspause. Ich verräume die Biokistenlieferung, bringe Müll runter, gehe Lebensmittel fürs Wochenende einkaufen und als die Kollegin endlich Vollzug meldet drücke ich auf dem Handy auf „Absenden“ und die zweite Kommunikation geht an die gesamte Belegschaft raus. Ich habe einen guten Zeitpunkt fürs Rausgehen erwischt, blauer Himmel und Sonne auf weißem Schnee. Zwischendurch telefoniere ich kurz mit dem Liebsten, der ein Magen-Darm-krankes Teilzeitkind pflegt und sich selbst schon sehr blümerant fühlt. Wochenendpläne endgültig gestrichen. Das Teilzeitkind und ich schicken uns ein paar Sprachnachrichten. Schön, dass das jetzt geht.
Der Nachmittag wird dann etwas weniger hektisch, an dem dritten Projekt bin ich nur insofern beteiligt, als dass ich nochmal Korrektur lese und eine Änderung vom CEO einpflege. Ansonsten kann ich mich jetzt um meine eigentlichen Aufgaben für diesen Tag kümmern. Ich ziehe einen Report und bereite die Daten auf, ich bereite einen Newsletter vor und schicke ihn zur Abnahme, ich übersetze den Text für eine Pressemitteilung und töckle ihn schonmal ins System ein, ich kommuniziere mit einer Kollegin in Chicago zu den Angelegenheiten des verstorbenen Kollegen, ich koordiniere Termine für die nächste Woche, ich schreibe meinen Wochenbericht.
Gegen 17:30 mache ich Feierabend. Theoretisch hätte ich noch mehr für Montag vorbereiten können, praktisch ist jetzt einfach die Luft raus. Ich mache mir die Ofengemüsereste von gestern warm (Mittag habe ich ausfallen lassen, weil ich den ganzen Arbeitstag über an meinem Frühstück – Porridge mit Kaki und Birne – gegessen habe) und gehe aufs Sofa. Erstmal brauche ich Abstand von Bildschirmen und fange deshalb den nächsten Roman auf meinem Bücherstapel an – Thorsten Nagelschmidt: Arbeit. Das geht für ein Stündchen ganz gut, dann wird es mir inhaltlich zu anstrengend (sehr viele Drogen) und ich wechsle doch wieder zum Bildchirm. Ich reise gedanklich in meine Jugend und gucke erst die Doku über Echt und dann die Doku über VIVA, beide in der ARD Mediathek. VIVA konnte ich ja damals nur bei Oma und Opa gucken, aber trotzdem kommen Erinnerungen hoch. An Echt sowieso. Wie krass lange her das alles ist und wie krass, dass das alles schon so lange her ist. Dann ist es auf einmal schon fast 1 und ich gehe so langsam ins Bett.