Die Bezeichnung Sonntag ist heute eine gehörige Etikettenfälschung, es müsste eigentlich Regentag heißen. Schon gestern Abend wurde ich bedauert, dass ich ausgerechnet bei so einem Wetter da sei, das sei ja gar kein Sommer. Ich bin hingegen einfach froh, nach ziemlich genau zwei Jahren wieder in Rostock zu sein und ergebe mich der Situation. Immerhin ist es ja nicht wirklich kalt und ich habe sogar eine Regenjacke dabei. Heute morgen schlafen dann alle länger als gestern, ich zum Beispiel bis halb 8. Das bedeutet dann also Aufstehen gegen 10.

Ich mache mir einen Pfefferminztee, begrüße den Hund und setze mich dann mit einem meiner liebsten Kindheitsbücher aufs Sofa – lange nicht mehr hineingelesen! Als die anderen dazu kommen, decken wir den Frühstückstisch. Währenddessen ruft auch der Liebste an und wir versichern uns alle, wie müde wir noch sind. Während des Essens lade ich mein Handy auf – mein Ladekabel hatte heute Nacht anderweitige Verpflichtungen – und angesichts des Wetters ist ja eh keine Eile und wir erzählen einfach sehr lange und gemütlich. Gegen Mittag packe ich dann meine Sachen zusammen, ziehe meine Regenjacke über und wage mich nach draußen. Da der Regen wirklich aushaltbar ist, wähle ich nicht den Weg mit der Tram (Ich muss Straßenbahn sagen, hatte mich mein Cousin beim Frühstück noch ermahnt und Recht hat er! Was hat mich das früher immer aufgeregt, wenn die Berliner*innen nach Rostock kamen und Tram sagten. Allerdings hat die Straßenbahn in der App der RSAG – Rostocker Straßenbahn AG wohlgemerkt – das gleiche Tram-Symbol – mit Beschriftung „Tram“ – wie bei der Beschilderung im Rest des Landes. Aber: Regionalsprachen akzeptieren!), sondern laufe wieder den idyllischen Weg durch die Natur, am Fluss entlang und an den Segelclubs, zum Fähranleger und nehme dann die Fähre nach „drüben“.

Auf der anderen Seite dann ein kurzer Fußweg, eine Station Straßenbahn und dann rein in die S-Bahn und wieder nach Warnemünde. Eigentlich hatte ich ja gedacht, den Regentag im Stammcafé zu verbringen, auf dem Bett sitzend, lesend, mit dem Besitzer und hereinschneienden Bekannten parlierend, aber da der Besitzer ja dieses Wochenende frei hat und ich die histaminarmen Törtchen alle schon durch habe, entschied ich mich kurzerhand doch für mehr Meer. Ich komme kurz vor 15 Uhr in Warnemünde an und lenke meine Schritte zuerst in Richtung eines alteingesessenen Fischlokals, in dem ich schon öfter mit Familie saß und dessen Name gerade eine gewisse Brisanz hat. Leider machen sie erst abends auf.

Schade! Dann pfeife ich also auf Insiderwissen und entscheide mich stattdessen für Location, Location, Location. Ich laufe schnurstracks zum Teepott – durch die Alexandrinenstraße, die etwas weniger überlaufen ist als der Alte Strom – und lasse mir dort einen Tisch möglichst nah am Wasser zuweisen. Spätes Mittagessen mit sowas wie Seeblick.

Nach ausführlichem Studium der Karte entscheide ich mich für das „Warnemünder 3-Gang-Menü“ [sic], das typische lokale Spezialitäten enthält und laut meiner App erfreulich histaminarm ist. Etwaige versteckte Histamine muss das viele Vitamin C aus der Sanddornschorle richten. Einzig die Erdbeeren im Nachtisch stechen heraus, ich bitte schweren Herzens (Erdbeeren!!), die durch anderes Obst ersetzen zu lassen und bin am Ende hin und weg, wie das gelöst wurde – gut, dass zum Haus eine Cocktailbar gehört.



Hui, bin ich gut gesättigt, aber es gibt ja auch heute nichts mehr. Ich brauche dringend einen Verdauungsspaziergang und laufe auf die Mole hinaus, und zwar an das Ende, auf dem früher der Leuchtturm meiner Kindheit stand. Hier stand auch Oma, mit einem weißen Taschentuch winkend, als wir 1990 das erste Mal die Fähre rüber nach Dänemark nahmen. (Oder vermischt sich das dramatisch in meinem Kopf und es war zwei Jahre später, beim zweiten Mal? Es gibt nämlich m. E. Video-Aufnahmen und ich bezweifle, dass wir 1990 schon die Kamera hatten…) Anyway, ich sauge nochmal tief Meeresluft und Möwengeschrei in mich ein und ärgere mich über die laute Musik, die vom Strand hinüberbölkt und über den schwarzen Rauch aus dem Kreuzfahrtschiff. Dann hört der Regen endgültig auf und zum Abschied kommt die Sonne ein bisschen raus und ich bin versöhnt.






Ich verabschiede mich vom Meer, was leichter fällt, weil ich in zwei Wochen am Atlantik sein werde, nehme die S-Bahn zurück nach Rostock und steige in den schon eingesetzten RE5 nach Berlin. Der fährt zwar erst in einer guten halben Stunde, aber so habe ich bereits einen bequemen Sitzplatz sicher. Auf der Heimfahrt höre ich zwei Podcasts und löse ein Kreuzworträtsel, beim Lesen würde ich ganz sicher einschlafen. Kurz vor halb 10 komme ich zuhause an, füttere zwei hungrige Katzen und setze mich dann mit einer köstlichen Quittenschorle auf den dunklen Balkon, um mit dem Liebsten zu telefonieren. Kurz nach halb 11 liege ich, stürmisch beschnurrt und bekuschelt, im Bett und schlafe sofort ein.